
Putin wusste am Montag die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gerichtet.
(Foto: picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP)
Keine Mobilmachung, keine Kriegsziele und auch keine militärischen Erfolge: Putins Rede zum 9. Mai lässt vieles von dem aus, was westliche Beobachter erwartet hatten. Allerdings: Der russische Präsident rudert auch nicht zurück.
Der "Tag des Sieges" markiert in Russland mehr als nur einen Feiertag zum historischen Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges und die Leistungen der Sowjetarmee im Kampf gegen die deutschen Nazi-Besatzer. Der Tag markiert einen identitätsstiftenden Sieg über den Faschismus, eine unbestritten heroische Leistung des Vielvölkerstaats mit seiner bewegten, oft blutigen Geschichte. Russlands Präsident Wladimir Putin nutzt diese Tradition seit jeher, um mit viel Pomp die eigene Herrschaft zu legitimieren. An diesem Montag aber hielt er sich nur kurz mit der Geschichte auf. Vor allem konzentrierte er sich darauf, mit vermeintlichen Parallelen zum Kampf gegen den Hitler-Faschismus den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.
Allein: Weder das Wort "Krieg" noch den Namen der Ukraine erwähnte Putin. Beides hat seinen Grund: Seit Beginn des Überfalls am 24. Februar ist in Russland von einer "Spezialoperation" die Rede. Das hat einmal mit den ursprünglichen Erwartungen des Kremls zu tun, der erkennbar von einem wenige Tage dauernden Konflikt bis zum Sturz der ukrainischen Regierung ausgegangen war.
Zum anderen sollte wohl die Assoziation eines "Bruderkrieges" zwischen Russen und Ukrainern vermieden werden und die Ukraine durch den Begriff nicht zu einem Gegner auf Augenhöhe aufgewertet werden. Die Kreml-Ideologen bestreiten, wie schon die zaristischen Herrscher und Stalin, dass es so etwas wie eine ukrainische Kultur, Sprache, Identität und damit auch eine ukrainische Nation überhaupt gibt. Auch das war wohl ein Grund, warum Putin lediglich vom Donbass sprach, dem mehrheitlich russischsprachigen Gebiet im Osten der Ukraine.
Keine weiteren Kriegsziele genannt
Die Unterstützung der Menschen im Donbass, der Kampf gegen angebliche Nazis in der Ukraine und die Verteidigung des russischen Territoriums einschließlich der annektierten Krim sind Putins maßgebliche Rechtfertigungen für den Krieg - zumindest in seiner Rede vom 9. Mai. Dagegen erwähnte Putin den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj mit keiner Silbe. Dabei war ein Sturz des von Putin als drogensüchtig diffamierten Präsidenten im Februar noch ein Hauptziel des Kreml. Auch die lange Zeit geforderte Demilitarisierung der Ukraine zählte Putin nicht auf.
Zu möglichen anderen Kriegszielen neben einer Verteidigung des Donbass und der Abwehr eines Angriffs der Ukraine und ihrer NATO-Partner auf Russland sagte Putin ebenfalls nichts. Weder nannte er die Eroberung des ukrainischen Territoriums zwischen Krim und Donbass, wo die russischen Truppen viele Soldaten und Material im Kampf um die Hafenstadt Mariupol verloren haben. Noch erwähnte der Autokrat eine mögliche Eroberung der westlich der Krim gelegenen Schwarzmeerküste samt der Hafenstadt Odessa. In den vergangenen Wochen war befürchtet worden, dass russische Truppen von der separatistischen Moldau-Republik Transnistrien aus einen Zangenangriff versuchen könnten. Dieses Szenario bleibt gegeben, doch zumindest kündigte Putin nichts dergleichen an.
Keine Referenden, aber auch kein Zurückrudern
Auch die Befürchtung, der russische Präsident könne Volksabstimmungen über einen Anschluss der Regionen Luhansk und Donezk oder über eine Abspaltung der besetzten Gebiete um Cherson ankündigen, hat sich nicht bewahrheitet. Eine Bekanntgabe militärischer Erfolge blieb ebenfalls aus. Bis auf das Stahlwerk Asowstal, wo sich noch immer ukrainische Kämpfer verschanzt haben, kontrollieren russische Truppen mittlerweile das strategisch wichtige Mariupol. Doch der eroberte Korridor zwischen Krim und Donbass war Putin keine Erwähnung wert; genauso wenig wie die militärischen Erfolge im Donbass, wo russische Streitkräfte und separatistische Kämpfer nach westlichen Geheimdienstberichten kaum vorankommen.
Der Konflikt Russlands mit dem Westen blieb in Putins Rede vor allem ein militärischer. Trotz der massiven Wirtschaftssanktionen gegen sein Land eröffnete der Staatschef rhetorisch keine Heimatfront. Er verzichtete auf Durchhalteparolen - trotz Preissteigerungen, dem Verschwinden westlicher Unternehmen und Produkten vom russischen Markt und Reisebeschränkungen. Ebenso verzichtete Putin auf eine deutliche Eskalation: Weder drohte er mit dem russischen Atomwaffenarsenal noch kam es zur befürchteten Notstandserklärung und einer Generalmobilmachung.
Was das für den weiteren Kriegsverlauf bedeutet, ist unklar. Putin hat all diese Optionen weiter in der Hand und deutete andersherum auch keinerlei Rückrudern an. Denn: Von einem Ende des Krieges sprach Putin ebenfalls mit keinem Wort.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 09. Mai 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de