Politik

Flüchtlingsaufnahme aus Moria Regierung bleibt hinter Möglichkeiten zurück

Im September brannte das Lager Moria auf Lesbos fast vollständig nieder.

Im September brannte das Lager Moria auf Lesbos fast vollständig nieder.

(Foto: AP)

Wäre es nach den Bundesländern gegangen, hätte Deutschland mehr Menschen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufgenommen. Das geht aus einer Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. "Ärzte ohne Grenzen" widerspricht zudem der Schilderung der humanitären Lage auf Lesbos.

Ein Vierteljahr nach dem verheerenden Brand des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos wird klar: Die Bundesregierung ist mit ihren Zusagen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Die Bundesländer wären bereit gewesen, mehr als doppelt so viele Menschen aufzunehmen als von der Bundesregierung geplant. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, die RTL/ntv vorliegt, hervor.

Demnach haben die Länder im September die Aufnahme von 3709 bereits anerkannten Flüchtlingen zugesagt. Der Bund beließ es aber bei 1553 Menschen. Darüber hinaus hätten die Länder 544 unbegleitete Minderjährige aufgenommen, während die Bundesregierung über ein EU-Kontingent lediglich 150 einreisen ließ. Innenminister Horst Seehofer verweist immer wieder darauf, dass Asylpolitik Sache des Bundes ist. Zu weiteren Aufnahmen aus Griechenland ist die Bundesregierung laut der Antwort auch weiterhin nur dann bereit, wenn die EU gemeinsam vorgeht.

Aus der Antwort geht außerdem hervor, dass inzwischen alle 150 Minderjährigen in Deutschland eingetroffen sind. Darüber hinaus wurden 149 anerkannt Schutzberechtigte ins Land geholt. Laut Bundesregierung konnten 36 Personen aus dem geplanten Kontingent nicht aufgenommen werden, weil es Sicherheitsbedenken gegeben habe. Sie stammen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und der Demokratischen Republik Kongo.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Luise Amtsberg, erkennt zwar an, dass es der Bundesregierung "unter den schwierigen Umständen" der Corona-Pandemie gelungen sei, etwas mehr als tausend Menschen eine Aufnahme zu ermöglichen. Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mehr als zehntausend Schutzsuchende auch weiterhin ohne Perspektive und unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den griechischen Inseln ausharren müssten. "Es ist beschämend, dass die europäischen Mitgliedsstaaten zusehends ihren Wertekompass verlieren und diesen Zuständen kein Ende bereiten", sagte Amtsberg RTL/ntv.

Ist das Ersatzlager für den Winter gerüstet?

Nach dem Feuer in Moria, der das dortige Flüchtlingslager fast vollständig zerstört hatte, wurde auf Lesbos das provisorische Lager Kara Tepe errichtet. Dort leben derzeit rund 7600 Flüchtlinge. Zu den Bedingungen dort gibt es unterschiedliche Ansichten. Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage, das Camp sei nach ihren Erkenntnissen "aktuell mit winterfesten Zelten ausgestattet". Stephan Oberreit, Einsatzleiter von "Ärzte ohne Grenzen" in Griechenland, stellt dagegen im Video-Interview mit RTL/ntv fest: "Das Lager ist einfach nicht vorbereitet für den Winter." Gegen die Kälte machten sich die Menschen in ihren Zelten Feuer - eine Gefahr wegen des Rauchs und weil die Zelte abbrennen könnten. Ein weiteres Problem, so Oberreit, der gerade selbst in Kara Tepe ist: Aus den Duschen im Camp käme weiterhin kein warmes Wasser. Bis Anfang Oktober konnten sich die Menschen noch im Meer waschen, doch das ließen die Wassertemperaturen der Ägäis jetzt nicht mehr zu. Als Folge gäbe es immer wieder Fälle von Krätze im Lager.

"Leider ist genau das eingetreten, was wir seit dem Brand in Moria befürchtet haben", sagt dazu Amtsberg. "Das schnell errichtete Ersatz-Zeltlager Kara Tepe konnte die katastrophalen Lebensbedingungen der Schutzsuchenden in keinster Weise verbessern." Viel mehr verschlimmere sich die Situation, je kälter die Tage würden. Einsatzleiter Oberreit ergänzt, dass Kara Tepe "der falsche Ort" für ein Flüchtlingslager sei. Es habe Gründe, warum keine Einheimischen an dieser Stelle der Insel wohnen: der starke Nordwind, die hohe Luftfeuchtigkeit. Nicht zuletzt handele es sich um einen ehemaligen Militärübungsplatz. "Das Camp ist eine Schande für die Europäische Union", so Oberreit.

Zum Thema Corona-Schutz schreibt die Bundesregierung: "Die Einhaltung der üblichen Schutzmaßnahmen (…) erscheint nach aktuellem Stand überwiegend möglich." Dem widerspricht "Ärzte ohne Grenzen": Abstand halten sei in dem beengten Lager genauso schwierig wie die Isolation von Erkrankten. In der vergangenen Woche allein habe es zehn Neuinfektionen gegeben. Bis September 2021 soll das Lager von der EU durch ein dauerhaftes "Pilot-Aufnahmezentrum" auf Lesbos ersetzt werden.

Quelle: ntv.de

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