Politik

Corona-Talk bei Illner "Reißen Sie sich am Riemen, Herr Kretschmer"

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In der Talkshow von Maybrit Illner teilt der zukünftige Justizminister Marco Buschmann (Foto) gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer aus.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Die Ministerpräsidenten haben sich gemeinsam mit Noch-Kanzlerin Merkel und dem designierten Kanzler Scholz beim Kampf gegen Corona auf weitere Verschärfungen geeinigt. Sie gelten vor allem für Ungeimpfte. Maybrit Illner wollte von ihren Gästen wissen, ob das wirklich reicht.

Erst einmal die Antwort auf die Frage des Abends: Wird Karl Lauterbach Gesundheitsminister der neuen Ampelregierung, die am kommenden Mittwoch vom Bundestag gewählt wird? Oder doch eher Andrea Nahles? Lauterbach, einer der Gäste der Talk-Runde von Maybrit Illner, beantwortet die Frage ausweichend: "Ich bin zuversichtlich, dass die SPD das Amt sehr kompetent besetzen wird." Am Montag werden wir mehr wissen.

Schon am Donnerstag hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam mit Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz auf eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes verständigt. Sie sieht einen Quasi-Lockdown für Ungeimpfte vor, die nun nicht mehr essen gehen, shoppen oder Wellnessleistungen in Anspruch nehmen können. In Gebieten mit hohen Inzidenzwerten gilt das auch für Geimpfte: Dort dürfen Gastronomiebetriebe nicht mehr öffnen, wenn dies vor Ort entschieden wird. Doch können diese Maßnahmen wirklich helfen, die vierte Corona-Welle zu brechen? Und was bringt eine totale Impfpflicht?

Fragen, denen sich die Gäste bei Maybrit Illner in einer spannenden Diskussion stellten, bei der es einen ziemlich heftigen und kurzen Schlagabtausch zwischen dem zukünftigen Justizminister Marco Buschmann und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gab.

"Klein-Klein musste dringend aufhören"

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist sich sicher, dass die am Donnerstag gefassten Beschlüsse ausreichen. Sie seien nicht ad-hoc getroffen worden. Er habe sich am Wochenende mit anderen Wissenschaftlern zusammengeschaltet und überlegt, welche Maßnahmen die Welle bremsen würden und dies dann Olaf Scholz mitgeteilt. "Es war gut, dass die Wissenschaft enormen Einfluss hatte", sagt der SPD-Politiker, der damit die ersten Gespräche eines Wissenschaftsrats leitete, der in Zukunft den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz beraten könnte.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer denkt an die prekäre Lage in seinem Bundesland und findet richtig, dass das "ewige Klein-Klein" nun ein Ende hat. Es sei richtig gewesen, "Schutzmaßnahmen auf Vorrat einzuführen", sagt er. "Sachsen muss jetzt weiter nacharbeiten." "Es ist klug, wenn sich die Lage verändert, auch die Instrumente anzupassen", sagt Buschmann. Die Lage hatte der Politiker noch im Oktober völlig falsch eingeschätzt. Heute erklärt er, dass man das Infektionsschutzgesetz der aktuellen Situation angepasst habe. Kritik an der bisherigen Arbeit der Ampelparteien lässt er nicht durchgehen: "Noch nie war ein Regierungs- und Mehrheitsübergang in Deutschland so komplex", gibt er zu bedenken. Lauterbach springt ihm bei: Der neue Kanzler habe nicht die Regierungsgeschäfte übernehmen können, wenn er noch nicht im Amt sei.

"Wir befinden uns in einer Notlage", sagt die Immunologin Christine Falk. Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie schlägt Alarm: "Wenn wir die Zahlen nicht in den Griff kriegen, ist absehbar, dass die Kapazitäten auf den Intensivstationen vor Weihnachten nicht mehr ausreichen", sagt Falk. Sie verlangt, dass alle Menschen in Deutschland die neuen Einschränkungen ernst nehmen. "Es liegt am Handeln jedes Einzelnen, dass wir die Zahlen nach unten bekommen."

Später erklärt die Wissenschaftlerin, wie ein Impfstoff das Coronavirus bekämpft und warum eine Impfung auch gegen die neue Omikron-Variante helfen könnte. Dabei nimmt sie sich ein Survival-Game als Vorbild - eine faszinierende Idee. Sie spricht von T-Zellen, von Fresszellen, von Abfangjägern. Und sie erklärt, die neue Virusvariante könne höchstens die Abfangjäger abschießen. Dann seien aber die restlichen Killerzellen noch da, die mit Hilfe eines Impfstoffs das Virus angreifen und vernichten könnten. Eine Erklärung, die jenseits der Vorstellungskraft von Buschmann und Kretschmer zu liegen scheint. Der eine verzieht keine Miene, der andere betrachtet den Fußboden. Vielleicht sitzt den Beiden aber auch das Wortgefecht in den Knochen, das sie sich kurz davor geliefert hatten.

"So können Sie mit mir nicht reden"

Da hatte Kretschmer Möglichkeiten aufzuzeigen versucht, die Impfquote nach oben zu bekommen. Kontrollen seien dazu notwendig, aber man müsse auch etwas gegen Impfgegner in sozialen Netzwerken tun. Als Beispiel nannte er Gruppen im Nachrichtendienst Telegram, "die bösartige und zersetzende Dinge proklamieren", und forderte den zukünftigen Justizminister Buschmann auf, etwas dagegen zu tun. Der meinte: "Andere Dinge sind wichtiger", und er nannte auch gleich ein Beispiel: Der Bund habe Geld zur Verfügung gestellt, um die Impfkapazitäten in Sachsen auszubauen. "Ich würde Sie auffordern, dieses Geld zu nehmen und in Impfzentren zu stecken."

Und dann ging's zur Sache. Kretschmer: So könne man mit ihm nicht reden. "Wenn jemand aus Berlin kommt und mir was von Geld bezahlen erzählt, dann ist Schluss!" Buschmann: Kretschmer möge sich doch am Riemen reißen, bitte. Er müsse jetzt die katastrophale Lage in seinem Bundesland lösen. "Sie ist außer Kontrolle geraten, und jetzt versuchen Sie es mir und dem Bund in die Schuhe zu schieben. So geht das nicht." Am Ende ist es Karl Lauterbach, der dafür sorgt, dass sich wieder alle lieb haben. Die jüngsten Kontaktauswertungen zu Sachsen zeigten eine sehr positive Tendenz. "Die Maßnahmen wirken", sagt er, und: "Wir müssen zusammenhalten, sonst kommen wir nicht weiter."

Und beim Thema Impfpflicht sind sich dann auch alle wieder einig: Sie sind dafür. Man müsse aber klar den Unterschied zwischen der Impfpflicht und einem Impfzwang erläutern, fordern Buschmann und Kretschmer, und man müsse den Menschen klar machen, dass es keinen physischen Zwang zum Impfen gebe. Lauterbach fasst am Ende die ganze Diskussion in einem einzigen Satz zusammen: "Wir dürfen in der Pandemie keine Zeit verlieren."

Quelle: ntv.de

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