"Sind nicht auf einer Demo" Rentenreform erhitzt Parlament in Paris
06.02.2023, 18:40 Uhr
Das rechtsgerichtete Rassemblement National würde die Rentenreform gerne per Volksentscheid beerdigen.
(Foto: REUTERS)
Millionen Franzosen sind gegen Macrons Rentenreform schon auf die Straße gegangen. Nun verlagert sich der Streit von der Straße ins Parlament. Die Stimmung ist so geladen, dass Zwischenrufer zur Ordnung gerufen werden müssen. Zwei Wochen soll die Debatte dauern.
In aufgeheizter Stimmung hat die französische Regierung die geplante Rentenreform erstmals in der Nationalversammlung verteidigt. Es gehe um das "Überleben des Rentensystems", sagte Arbeitsminister Olivier Dussopt, der wegen aufgeregter Zwischenrufe aus dem Plenum erst nach mehreren Anläufen seine Rede halten konnte. Die Vorsitzende der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, rief die Abgeordneten wiederholt zur Ordnung. "Wir sind hier nicht auf einer Demo, wir sind im Plenum der Nationalversammlung", rief Braun-Pivet, sichtlich genervt. "Soll das noch etwa noch zwei Wochen so weitergehen?", fragte sie, und von der Opposition schallte ein vielstimmiges "Jaaaa".
Die geplante Reform werde das Rentensystem "verbessern und ausgleichen", betonte Arbeitsminister Dussopt. Er verwies auf den jüngsten Bericht der Rentenkommission, nachdem bis zum Jahr 2030 ein Defizit in der Rentenkasse in Höhe von knapp 14 Milliarden Euro drohe. Die Regierung sei aber "offen für Verbesserungen", fügte er hinzu. Präsident Emmanuel Macron will das Rentenalter bis 2030 schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben. In Frankreich scheiden Beschäftigte deutlich früher aus dem Arbeitsmarkt aus als in anderen Industrieländern. Parallel zur Anhebung des Rentenalters soll die Beitragszeit für einen vollen Rentenanspruch schneller als bislang geplant auf 43 Jahre ansteigen.
Unternehmen sollen ermuntert werden, verstärkt Senioren einzustellen. In einem ersten Schritt sollen sie daher offen legen, wie viele Senioren sie beschäftigen. Zudem soll die Mindestrente nach einer vollen Beitragszeit um 100 Euro auf 1200 Euro angehoben werden. Für Macron ist es eines der wichtigsten Vorhaben seiner zweiten und letzten Amtszeit. Ein erster Reformversuch wurde nach langen Protesten wegen der Corona-Pandemie 2021 abgeblasen. Seit Beginn der Rentendebatte in der Öffentlichkeit sind seine Zustimmungswerte auf 36 Prozent gefallen.
20.000 Änderungsanträge - begrenzte Debattenzeit
In den kommenden zwei Wochen befassen sich die Abgeordneten der Nationalversammlung mit der Reform und zumindest einem Teil der mehr als 20.000 Änderungsanträge. Anschließend geht der Text in den Senat. Die Debattenzeit ist begrenzt, weil Regierung die Reform in den Haushalt der Sozialversicherung eingefügt hat. Dies sei eine "Verweigerung der Demokratie", schimpften Abgeordnete der Opposition.
Die linke Opposition weist die Reform als "brutal und ungerecht" zurück. Zum Auftakt der Debatte soll über einen Antrag abgestimmt werden, der das Reformprojekt komplett ablehnt. Die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) hat ihrerseits einen Antrag eingebracht, zu dem Thema eine Volksabstimmung abzuhalten. Da das Regierungslager seine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren hat, ist Macrons Partei auf die Stimmen der konservativen Republikaner angewiesen. Aber sowohl bei den Republikanern als auch im eigenen Lager gibt es kritische Stimmen.
Dienstag neue Streiks
Nachbesserungen könnte es etwa bei der Anerkennung von Erziehungszeiten von Müttern geben. Derzeit können sich Mütter in der Regel zwei Jahre anrechnen lassen. Für Kinder, die nach 2010 geboren wurden, kann sich wahlweise auch der Vater ein Jahr anrechnen lassen, auch wenn Väter in Frankreich nur selten Elternzeit nehmen.
Weite Teile der Bevölkerung lehnen die Reformpläne ab. Bei den beiden bisherigen Protesttagen demonstrierten jeweils mehr als eine Million Menschen gegen die Reform. Die Gewerkschaften haben zu weiteren Protesten am Dienstag und Samstag aufgerufen. Am Dienstag wird mit zahlreichen Ausfällen im Zug- und Nahverkehr gerechnet. Für Samstag hat zumindest die Bahn auf einen Streikaufruf verzichtet, da an dem Tag für einen Großteil der Franzosen die Winterferien beginnen.
Quelle: ntv.de, mau/AFP