Politik

"Wo steht das?" Sätze aus dem Wahlprogramm der AfD - und was sie bedeuten

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Raus aus dem Euro? Weidel wiegelt ab.

Raus aus dem Euro? Weidel wiegelt ab.

(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Rechtsextreme Kampfbegriffe, Konfrontation mit dem Embryo vor einer Abtreibung oder CO2 als Lösung für den Welthunger. Im Wahlprogramm der AfD stehen radikale Forderungen und skurrile Aussagen. Eine Auswahl.

Am Mittwochabend legt Tino Chrupalla in der ZDF-Sendung "Lanz" einen für Vertreter seiner Partei typischen Auftritt hin. Der AfD-Chef zetert: "Nein, das steht nicht drin in unserem Wahlprogramm." Dann legt er nach: "Wo steht das?"

Zuvor war Chrupalla mit einer Forderung aus seinem Parteiprogramm konfrontiert worden. Auf Seite 25 schreibt die AfD, dass in Zukunft eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ohne "aufstockende" Sozialleistungen von mindestens zehn Jahren für den Bezug von Bürgergeld notwendig sein soll. Allerdings gilt das nur für Ausländer. Darüber hinaus soll für Ausländer der Bürgergeldbezug zeitlich begrenzt werden. Chrupalla wollte davon nichts wissen.

Schon am Sonntag hatte Kanzlerkandidatin Alice Weidel bei Caren Miosga geleugnet, ihre Partei wolle raus aus dem Euro. Scheinbar kennt die Parteispitze ihr eigenes Parteiprogramm nicht - oder sie leugnet es gezielt, um von den teilweise schrillen und radikalen Forderungen abzulenken.

Unkenntnis oder Taktik?

22 Tage hat es gedauert, bis die AfD ihr Wahlprogramm fertiggestellt hat - so viele Tage lagen zwischen der Verabschiedung auf dem Parteitag in Riesa und der Veröffentlichung des Textes. Durch die ungewöhnlich lange Dauer entstand der Eindruck, dass die Partei die Veröffentlichung des kompletten Programms so lang wie möglich verzögerte, um in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl möglichst wenig über Inhalte reden zu müssen. Erst seit Montagnachmittag sind die insgesamt 177 Seiten online abrufbar.

Und einzelne Sätze haben es in sich:

Die AfD will "eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ohne 'aufstockende' Sozialleistungen von mindestens zehn Jahren in Deutschland zur Voraussetzung für den Bürgergeld-Bezug ausländischer Staatsangehöriger machen und ihren Bürgergeld-Bezug auf ein Jahr begrenzen".

Es ist der Satz, der AfD-Chef Chrupalla offenbar nicht bekannt ist. Oder von dem er nichts wissen will, weil er unangenehme Fragen aufwirft. In der Konsequenz würde das nämlich bedeuten, dass nach jahrelanger Arbeit für Ausländer bei Jobverlust keine soziale Absicherung nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I besteht.

Gleiches gilt für die Forderung, den Bürgergeldbezug auf ein Jahr zu begrenzen. Denn ob es im Anschluss eine andere soziale Absicherung für diese Menschen gibt, beantwortet das Programm nicht. Im Grundgesetz ist dies festgeschrieben. Das Bürgergeld ist in Deutschland die Sozialhilfe, die das Existenzminimum sichert.

Trotzdem behauptete Chrupalla: "Nein, für Bürgergeld ist nicht Schluss." Chrupalla betonte, dass sich dies auf ukrainische Bürgergeldempfänger beziehe. Eine Ausgliederung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen aus dem Bürgergeld ist allerdings in einer anderen Forderung aufgeführt.

"Während der Schwangerschaftskonfliktberatung sollen den Müttern Ultraschallaufnahmen des Kindes gezeigt werden, damit sie sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind."

Um die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren, spricht die AfD von einer "Willkommenskultur für Kinder", will die Partei auf harte Konfrontation setzen. Frauen sollen beim Beratungsgespräch Bilder ihres Embryos präsentiert werden. Das soll geschehen, "damit sie sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind". Suggeriert wird, dass Frauen sich die Entscheidung momentan zu einfach machen.

Die Einstellung der Partei ist Teil eines Frauenbildes, das sich durch das komplette Parteiprogramm zieht. Die AfD will zurück zu einem traditionellen Familienmodell aus Vater, Mutter und Kindern. Frauen sollen nach Vorstellung der AfD eine Rolle als Mutter einnehmen und erhalten sogar einen Baby-Bonus für jedes geborene Kind.

"CO2 erweist sich als Treiber eines verstärkten globalen Pflanzenwachstums und begünstigt damit die Welternährung."

Den Klimawandel akzeptiert die AfD zwar, verweigert aber die Erkenntnis, er sei menschengemacht. Der Klimawandel sei "ein komplexes Phänomen, verursacht durch eine Vielzahl von Faktoren", heißt es lapidar. Die Frage nach dem Anteil des Menschen an diesem sei "wissenschaftlich ungeklärt".

Das Treibhausgas CO2 verkauft die Partei, durch dessen Eigenschaft als "Treiber eines verstärkten globalen Pflanzenwachstums", als mögliche Lösung für den Welthunger. Was für ein Gewächshaus stimmt, überträgt die AfD einfach auf die gesamte Welt. Doch die Effekte aus einem kontrollierten Anbau lassen sich nicht einfach so auf komplexe Ökosysteme projizieren.

"Bei einer Wiedereinführung der Deutschen Mark (D-Mark) könnte das teilweise im Ausland gelagerte Staatsgold als temporäre Deckungsoption dienen."

2013 als vor allem EU-kritische Partei gegründet, findet man das noch immer in ihren Inhalten. Die AfD will die Europäische Union in ihrer jetzigen Form verlassen. Und auch den Euro hält sie als Währung für gescheitert.

Doch die Forderungen hören bei einer Rückkehr zur D-Mark nicht auf. Die AfD will eine durch Gold gedeckte Währung und damit praktisch eine Rückkehr zur Goldmark. Das zeigt die tiefe Skepsis gegenüber der staatlichen Ordnung, verkörpert durch den Zweifel an einer starken und krisenfesten Währung.

Um eine goldgedeckte Mark zu erreichen, müssen, so die AfD im Wahlprogramm weiter, die Edelmetallreserven allerdings nach Deutschland zurückgebracht werden: "Das deutsche Staatsgold muss als potenziell letzte Währungsreserve ohne Gegenparteien- und Verwahrrisiko im eigenen Land aufbewahrt werden." Heute ersetzen strenge fiskal- und geldpolitische Vorgaben den sogenannten Goldstandard. Doch dafür muss man auf diese auch vertrauen.

Die Sehnsucht nach wertstabilem Edelmetall ist in der AfD offenbar tief verwurzelt. So vertreibt das vorübergehend vom Innenministerium verbotene "Compact"-Magazin eine Silbermünze mit dem Konterfei des thüringischen Parteichefs Björn Höcke.

"Unser Maßnahmenkatalog zur Umkehr dieses migrationspolitischen Staatsversagens heißt Remigration".

Lange war das Wort "Remigration" ein Tabu für Kanzlerkandidatin Alice Weidel - bis Samstag, den 11. Januar 2025. Kurz zuvor war Weidel einstimmig zur Kanzlerkandidatin gewählt worden, offenbar beflügelt davon schrie sie den Delegierten in Riesa entgegen: "Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen. Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration."

Seit der "Correctiv"-Recherche vor einem Jahr hatte auch die breite Öffentlichkeit gelernt, dass rechtsextreme Kreise darunter auch die Ausweisung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund verstehen. Im Entwurf des Programms tauchte der Begriff bislang nicht auf. Doch eine größere und mächtige Gruppe Delegierter hob "Remigration" per Antrag ins Parteiprogramm.

Dort definiert ihn die AfD als Maßnahmenkatalog, der unter anderem die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern umfasst. Die Enttabuisierung des Begriffs ist ein Zugehen auf die rechten Kräfte in der Partei.

Quelle: ntv.de

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