Politik

"Ich bin am Limit" Schulz kämpft in Potsdam

Insgesamt 60 deutsche Städte besucht Martin Schulz während seiner Wahlkamptour.

Insgesamt 60 deutsche Städte besucht Martin Schulz während seiner Wahlkamptour.

(Foto: dpa)

Martin Schulz wirbt auf seiner Deutschlandtour trotz schlechter Umfragewerte unbeirrt für sich und seine Partei. Das SPD-regierte Potsdam ist quasi ein Heimspiel für ihn. Doch auch hier finden sich Anhänger schon mit der Niederlage ab.

Silvio Schwarz sitzt auf einer der Bierbänke und hört aufmerksam zu. Vor knapp vier Jahren ist der Student in die SPD eingetreten. Die anstehende Bundestagswahl ist seine erste als Parteimitglied. Er freut sich auf Martin Schulz. Der macht auf seiner Wahlkampf-Tour auch Halt in Potsdam. Schwarz ist von dem Kanzlerkandidaten und seiner Partei überzeugt. "Das Sozialdemokratische im Namen passt gut zu mir."

Schwarz studiert Geophysik in Potsdam. Ein Thema treibt ihn besonders um, auch deshalb ist er SPD-Mitglied geworden. "Wir brauchen Investitionen in der Bildung", sagt er. So formuliert es auch Schulz. Der ist mittlerweile auf der Bühne erschienen, im Publikum wehen Europaflaggen, Zuschauer halten Schilder mit der Aufschrift "Jetzt Kanzler" hoch. Schulz kämpft allerdings noch mit der Mikrofon-Technik. Schließlich ruft er: "Studenten dürfen nicht länger eine bezahlbare Wohnung suchen als sie studieren!" Schwarz nickt.

Weitermachen ist keine Option

Der Student kommt ursprünglich aus Thüringen. In seiner Familie seien viele Arbeiter gewesen, sagt er. Einige seiner Freunde finden seine SPD-Zugehörigkeit nicht gut. "Das sind aber vor allem so 'Schönwetter-Linke', die alles kritisieren und keine Vorschläge haben, wenn es darauf ankommt, etwas zu verändern." Er stehe zu seiner Meinung, sagt der 28-Jährige.

Haltung versucht derweil auch Schulz auf der Bühne zu zeigen. Gegen Merkels Rentenpolitik, gegen die AfD, für die einfachen Leute und gegen Eliten. Witzig will er sein, als plötzlich ein kleiner Hund im roten T-Shirt neben ihm auftaucht. "Den hat bestimmt Sahra Wagenknecht geschickt", ruft Schulz ins Mikrofon.

Über 40 Mal ist der SPD-Chef innerhalb eines Monats schon aufgetreten, hat auf Marktplätzen und in Innenstädten vor Anhängern gesprochen. Knapp ein Dutzend Auftritte hat er noch vor sich. Ironisch ruft er: "Ich bin am Limit, ich muss Ihnen mein Programm und das von Frau Merkel erklären, um Ihnen dann die Unterschiede klar zu machen. Denn sie selbst sagt ja nichts."

Die schlechten Umfragewerte versucht Schulz in Potsdam zu zerreden. Laut einer aktuellen Prognose wollen nur noch knapp 20 Prozent seine Partei wählen. Hier, im SPD-geführten Land, kann er auf breite Unterstützung hoffen. "Wer Angela Merkel abwählen will, muss schon für die SPD stimmen", wiederholt er gebetsmühlenartig. Weitermachen wie bisher, komme für ihn nicht in Frage.

Das sieht Silvio Schwarz genauso. Konsequent wäre es für ihn allerdings, wenn die SPD für ein paar Jahre in die Opposition wechseln würde. Eine Große Koalition käme für ihn nur in Frage, wenn die CDU bereit wäre, Bürokratie abzubauen und in die Bildung zu investieren.

SPD aus Gewohnheit, nicht aus Überzeugung

Weiter hinten im Publikum sitzen die drei Freunde Dennis*, Titus* und Tom*. Wählen dürfen die 17-Jährigen zwar noch nicht, eine klare Meinung zu Schulz und zur SPD haben sie aber dennoch. "Ich habe kein Vertrauen in die SPD, die ist mir zu populistisch", sagt Titus. Er würde die CDU wählen, wenn er dürfte. Als Grund nennt er ausgerechnet den Klimawandel. "Da greift Merkel durch und stellt sich auch mal gegen ihre eigene Partei, das gefällt mir." Ohne sie als Vorsitzende würde er aber auch die Partei nicht wählen, gibt der angehende Abiturient zu. Sein Freund Dennis fügt hinzu: "Brandenburg ist seit Jahren SPD-geführt und trotzdem müssen wir unser Kopiergeld selbst bezahlen. Es hat sich nichts geändert."

Auch die Jugendlichen wünschen sich künftig keine Große Koalition mehr. Lieber wäre ihnen ein Bündnis aus CDU, FDP und Grünen. Hauptsache die AfD werde nicht drittstärkste Kraft, so Titus. "Wir haben das Parteiprogramm gelesen, nur um festzustellen, dass es Blödsinn ist."

Schulz macht in der Zwischenzeit weiter mit seiner Kritik. Jetzt sind die Journalisten an der Reihe. Er habe den Charme eines Eisenbahnschaffners, solche Dinge müsse er immer wieder in der Presse lesen. "Und die nennen sich Analysten! Was ist an einem Schaffner eigentlich so schlecht?", ruft er in die Menge. Wer für seine Ideen sei, solle die SPD wählen. Wer dagegen sei, solle es laut aussprechen. Von weit hinten ertönt ein Protestruf. Schulz bügelt ihn ab. "Wenn gute Argumente Glück sind, dann hast du aber schon lange eine Pechsträhne", ruft der SPD-Chef zurück und geht zum nächsten Thema über.

Knapp zwei Stunden später ist alles vorbei. Schulz gibt die letzten Interviews, die SPD-Anhänger verlassen nach und nach den Luisenplatz. Auf einer Bank sitzt Fred Gleis und isst ein Brötchen. Der 79-Jährige hat beim Thema Rente genau zugehört. Die müsse erhöht werden, findet er, da habe Schulz schon Recht.

Dabei gehe es ihm noch vergleichsweise gut, sagt Gleis. 1100 Euro bekommt er monatlich, seine Miete kann er davon gut zahlen. Doch bei seinem Sohn sieht er die Probleme. "Der kann sich hier in Potsdam keine Wohnung mehr leisten." Auch deshalb wird Gleis am kommenden Sonntag für die SPD stimmen. Das habe er schon sein ganzes Leben gemacht, sagt der Rentner. Für Martin Schulz spricht das nicht unbedingt. Der verschwindet zu dem Zeitpunkt bereits im Auto. Der nächste Termin wartet schon.

*Namen von der Redaktion geändert.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen