Politik

US-Grenzer "ähneln Geheimdienst"So züchtet Trump den "Abschiebeindustrie-Komplex" hoch

04.12.2025, 18:40 Uhr rpeters_foto1x1Von Roland Peters, New York
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Der Kommandeur der Grenzbehörde, Greg Bovino (Mitte), zeigte sich am Mittwoch mit Beamten bei Razzien gegen Migranten in New Orleans. (Foto: REUTERS)

Die US-Regierung hat das Budget für Grenzschutz und Abschiebungen massiv erhöht. Das hat Folgen: Die Grenzpolizei ist landesweit aktiv, ein Überwachungsnetz meldet "verdächtige" Routen von Autos, eine private Infrastruktur für Massenabschiebungen entsteht.

An der US-Südgrenze zu Mexiko ist nicht mehr viel los. So wenige Migranten wie zuletzt vor 60 Jahren werden wegen illegalem Übertritt in die Vereinigten Staaten aufgegriffen. Die etwa 20.000 Grenzer haben offenbar nicht viel zu tun - und tauchen anderswo im Land auf. Dort unterstützt die Grenzbehörde Customs and Border Protection (CBP) unter anderen die bewaffneten Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde ICE sowie Polizeikräfte dabei, Migranten und Kriminelle festzunehmen. Die Definitionsgrenzen dessen, wer was ist, verschwimmen. So betrachtet die Regierung unter Donald Trump jeden, der egal vor wie langer Zeit die Grenze abseits der Kontrollpunkte übertreten hat, als Kriminellen.

Das US-Heimatschutzministerium, zu dem sowohl CBP als auch ICE gehören, hat durch den "Big Beautiful Bill", das riesige Gesetzespaket von US-Präsident Donald Trump, das die Republikaner im Sommer durch den Kongress brachten, nun enorm viel Geld zur Verfügung. Die progressive Denkfabrik Brennan Center for Justice warnt, das immens erhöhte Budget von zusätzlich 170 Milliarden Dollar - mehr Geld als das Jahresbudget aller lokalen und bundesstaatlichen Strafverfolgungsbehörden in den USA zusammen - schaffe in den kommenden vier Jahren einen "Abschiebeindustriekomplex". Einmal etabliert, könne der nur schwerlich wieder abgeschafft werden.

Der Begriff ist eine Anlehnung an den "militärisch-industriellen Komplex", vor dem der scheidende US-Präsident Dwight Eisenhower 1961 gewarnt hatte - eine schwer zu stoppende Profitmacherei aus Militär, Kongress und privater Rüstungsindustrie. Vier Jahre darauf traten die USA offiziell mit eigenen Soldaten in den Vietnamkrieg ein. Mehr als 60 Jahre später wird angesichts der riesigen Finanzspritze und des von der Regierung gesetzten Ziels von einer Million Abschiebungen jährlich im privaten Sektor viel Geld unter der Überschrift Grenzsicherheit verdient.

"WIR WOLLEN SIE NICHT"

Trumps Regierung, also auch Heimatschutzministerin Kristi Noem, weist immer wieder auf Kriminelle unter Migranten und deren grenzübergreifende Netzwerke hin Manche davon hat sie zu Terrororganisationen erklärt, weil sie Drogen und Gewalt in die Vereinigten Staaten brächten. Die geschätzte Anzahl von Migranten, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in den USA befanden, war 2022 und 2023 in die Höhe geschossen, auf eine Rekordzahl von 14 Millionen Menschen. Vorläufigen Daten zufolge ist die Zahl rückläufig - die Umkehrung begann unter Trumps Vorgänger Joe Biden im vergangenen Jahr.

Nach dem Angriff auf Nationalgardisten in Washington D.C., angeklagt ist ein Afghane mit Aufenthaltsgenehmigung, hat die Regierung schnell gehandelt und für Staatsbürger aus 19 Ländern, darunter auch Venezuela, vorläufig einen Einwanderungsstopp verhängt. Zuvor gab es strenge Einreisebeschränkungen für Besucher aus mehreren Staaten. Heimatschutzministerin Noem forderte am Montag nach einem Treffen mit Trump, Staatsangehörige aus mindestens zehn weiteren Herkunftsländern auszusperren. "Ich empfehle ein vollständiges Einreiseverbot für jedes verdammte Land, das unsere Nation mit Mördern, Blutsaugern und Sozialprogramm-Junkies überschwemmt hat", schrieb sie: "WIR WOLLEN SIE NICHT. KEINEN EINZIGEN."

Green-Card-Interview als mögliche Falle

Die Wortwahl hat sich schon seit dem Präsidentschaftswahlkampf extrem verschärft, immer wieder äußern sich Noem, Trump, dessen stellvertretender Stabschef im Weißen Haus, Stephen Miller, oder andere Regierungsmitglieder geradezu extremistisch über Einwanderer. Zuletzt bezeichnete Trump somalische Migranten als "Müll". Seine Anti-Migranten-Rhetorik ist so extrem wie bei keinem US-Staatschef seit einem Jahrhundert, haben Wissenschaftler festgestellt.

Die Auswirkungen des Politikwechsels, der unter Biden an der Grenze begann und den Trump noch viel weitertreibt, sind in verschiedenen Bereichen zu beobachten. Da ist die rigorose Vorgehensweise der Behörden, die Migranten oder sogar US-Amerikaner ohne viel Rücksicht auf Umstände und Ort auch wegen ihres Aussehens festnehmen. Zuletzt wurden zudem mehrere Fälle von mit US-Amerikanern verheirateten Ehepartnern bekannt, die im Rahmen ihres Interviews für eine Greencard, also eine ständige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, festgenommen wurden, da eines ihrer vorherigen Visa abgelaufen war. Darunter war auch ein Deutscher.

Das gab es vorher so nicht und erweckt den Eindruck, die Regierung nutze eine lange Zeit übliche Praxis als Falle: Bislang war es nicht ungewöhnlich und selten ein Problem, länger im Land zu bleiben, während der Antrag auf eine Greencard läuft. Anwälte rieten deshalb ihren Klienten, alle Karten auf den Tisch zu legen. Denn wer beim Lügen erwischt wurde, bekam auf keinen Fall eine Aufenthaltsgenehmigung. Legale Einwanderer, die in der Vergangenheit die üblichen Regeln befolgten, befinden sich nun in einem Dilemma.

Algorithmus markiert verdächtige Reisende

Zugleich sind die Überwachungsmaßnahmen in den USA inzwischen umfassender als bislang bekannt und werden mit den neuen Geldern weiter ausgebaut. Die Grenzbehörde CBP etwa hat in den vergangenen Jahren ein landesweites Netz an Kameras installiert, die Millionen Autofahrer kontrollieren, hat die Nachrichtenagentur AP recherchiert. Sie scannen und speichern demnach Fahrzeugkennzeichen, die ein "vorausschauender" Algorithmus wegen ihrer Herkunft, ihres Zielortes und ihrer Route als verdächtig markiert. Die CBP verwende auch Nummernschild-Leser der Anti-Drogenbehörde DEA und benachrichtige dann örtliche Behörden.

Die Grenzpolizei hat dem Bericht zufolge das System so aufgebaut, dass auch im Landesinnern das Reiseverhalten und Kontakte von US-Amerikanern überwacht werden, anstatt sich auf gesuchte Verdächtige zu konzentrieren. Das Überwachungsprogramm war demnach vor etwa einem Jahrzehnt ins Leben gerufen worden, um illegale Aktivitäten an der Grenze sowie Drogen- und Menschenhandel zu bekämpfen. In den vergangenen fünf Jahren, also unter Trump und dessen Vorgänger Joe Biden, sei es engmaschiger geworden. Nun soll es mit KI weiterwachsen.

Die US-Grenzpolizei habe jahrelang Details dazu geheim gehalten und versucht, jegliche Erwähnung des Programms aus Gerichtsdokumenten und Polizeiberichten herauszuhalten, schreibt AP. Die Behörde habe sogar Strafverfahren einstellen wollen, um die Standorte der verdeckten Kameras nicht preisgeben zu müssen. Die Lesegeräte für Nummernschilder befinden sich häufig in Fässern oder Tonnen getarnt an Autobahnen. Die aktive Rolle der CBP weit über die Grenzen hinaus - üblich waren Kontrollen bis 160 Kilometer ins Landesinnere, die bereits ein Drittel der US-Bevölkerung einschließen - ähnele "eher der Arbeitsweise eines inländischen Geheimdienstes", schreiben die AP-Journalisten.

Abschiebezentren werden zahlreicher und größer

Bereits Anfang des Jahres hatte Trump per Dekret den Aufbau neuer Abschiebezentren, also Gefängnisse angeordnet. Im November befanden sich etwa 66.000 Menschen in den vorhandenen Einrichtungen. Bei Trumps Amtsantritt waren es etwa 39.000 Menschen. Im Gesetzespaket des Sommers ist die Finanzierung für 41.000 zusätzliche Betten enthalten, die in mehreren neuen Gefängnissen entstehen sollen. Denn die bestehenden Gefängnisse sind überbelegt.

Etwa 90 Prozent der derzeitigen Insassen befinden sich in privaten Einrichtungen, schreibt das Brennan Center. Das wird sich in Zukunft wohl nicht ändern: "Die meisten Haftanstalten werden von gewinnorientierten privaten Gefängnisunternehmen und anderen privaten Auftragnehmern betrieben werden", so die Denkfabrik. Dadurch würden "starke wirtschaftliche und politische Interessen entstehen, die es sehr schwierig machen werden, diesen Apparat wieder abzubauen".

Früher kamen Männer aus Mexiko üblicherweise für Saisonarbeit wie die Ernte über die Südgrenze in die Vereinigten Staaten, arbeiteten eine Weile und kehrten irgendwann mit Erspartem wieder zur Familie in Mittelamerika zurück. Dieses Muster hat sich auch durch die strengeren Grenzkontrollen verändert; manche bleiben deshalb, fliehen vor der Gewalt krimineller Netzwerke, vor desaströsen Klimawandelfolgen oder sind Teil der von Venezuela ausgelösten Flüchtlingsbewegungen in der Region.

Unter Trump haben sich die Vereinigten Staaten bei ihrer Migrationspolitik auch in ihrer Kommunikation nach außen deutlich umorientiert. Mit markigen Videos und Memes warnen sie Menschen in den sozialen Netzwerken davor, in die USA zu kommen. Das bekannteste Beispiel ist "Alligator Alcatraz" im südlichen Florida, eine Zeltstadt im Sumpfgebiet, was Republikaner medial ausschlachteten. Offizielle Regierungskonten in den sozialen Medien posteten unter anderem ein KI-Bild mit Alligatoren, die ICE-Kappen trugen. Sie fordern Migranten auch auf, das Land freiwillig per "Selbstabschiebung" zu verlassen. Dafür zahlt der Heimatschutz einen "Exit Bonus" von 1000 Dollar.

Quelle: ntv.de

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