Politik

Bürokratiemonster Bundeswehr Wenn der 3D-Drucker schneller hilft als das Amt in Koblenz

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Die Fregatte "Hamburg" in Wilhelmshaven (Archivbild).

Die Fregatte "Hamburg" in Wilhelmshaven (Archivbild).

(Foto: picture alliance/dpa)

Beschaffungen fürs Militär dauern lange. Piloten eines Hubschraubergeschwaders warten seit zehn Jahren auf einen am Markt verfügbaren Fliegerhelm und Fluggerätemechaniker seit fast sechs Jahren auf Blaumänner mit Kniepolstern. Immer öfter greifen Soldatinnen und Soldaten zur Selbsthilfe.

Boris Pistorius ist nicht der erste Verteidigungsminister, der sich eine bessere Ausrüstung und schnellere Beschaffung zum Ziel gesetzt hat. Seine Vorgängerinnen, Christine Lambrecht, Annegret Kramp-Karrenbauer, Ursula von der Leyen, sie alle haben versucht, das Beschaffungswesen der Bundeswehr zu reformieren und sie alle sind krachend daran gescheitert.

Auch im aktuellen Wehrbericht heißt es: "Den Soldaten fehlt es an allem!" Natürlich wird darüber in der Truppe viel gemeckert, aber letztlich gibt es für die Soldatinnen und Soldaten nur zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: warten, bis die Mängel behoben werden, oder selbst aktiv werden.

Eine Jägerkompanie im niedersächsischen Rotenburg wollte nicht länger warten. Bei einer Übung trugen sie zwar die gleiche Uniform, aber unterschiedliche Stiefel, Gurte, Taschen und Unterwäsche. "Von der persönlichen Ausrüstung ist das meiste selbstbezahlt", sagte ein Soldat im Gespräch mit ntv. Der Kompaniechef benutzte während der Übung in einem Waldstück ein privates Walkie-Talkie, denn das einzige Funkgerät der Kompanie war seit Monaten in Reparatur.

3D-Drucker für Ersatzteile

Für viele Soldatinnen und Soldaten gehört Eigeninitiative zum Alltag ihres Bundeswehrlebens. Auf der Fregatte "Hamburg" hat sich die Besatzung einen 3D-Drucker zugelegt. Damit können wichtige Ersatzteile hergestellt werden, wie Kraftstofffilter für den Antriebsdiesel. Auf Ersatzteile warten die Soldaten oft monatelang und selbst einfache Werkzeuge wie Akkuschrauber sind auf dem offiziellen Beschaffungsweg schwer zu bekommen - und wenn, dann dauert es eine Ewigkeit.

Auf der "Sachsen", einer weiteren Fregatte der Deutschen Marine, nutzen die meisten Soldaten selbst gekaufte LED-Taschenlampen. Das ist offenbar bei allen Marineeinheiten üblich. Der Grund: Die Handlampen der Bundeswehr stammen noch aus den 1980er Jahren, sie sind schwer und unhandlich, wenn man sie überhaupt geliefert bekommt. WLAN-Netze an Bord vieler Schiffe werden mit selbstgebauten IT-Komponenten aus der Mannschaftskasse oder durch Spenden Ehemaliger finanziert. Zum Glück gibt es inzwischen das sogenannte "Handgeld Kommandeure": 2000 Euro für die unbürokratische Beschaffung von Kleinkram, um das Leben und die Arbeit an Bord oder in den Kasernen zu vereinfachen.

Wie die Beschaffung schneller werden soll

Angesichts dieser Ausgangslage ist die Aufgabe, die Verteidigungsminister Pistorius sich gestellt hat, alles andere als leicht: Er will die Beschaffungsprozesse stark beschleunigen. Dafür muss er den Kampf mit einer Reihe von trägen Bürokratiemonstern aufnehmen. Da ist zum einen das Bundesverteidigungsministerium mit seinen rund 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Standorten in Bonn und Berlin. Pistorius will das Ministerium verschlanken, die Führungsstruktur soll umgebaut und ein neuer Planungsstab eingerichtet werden. Dadurch würden Entscheidungswege verkürzt und Doppelstrukturen abgeschafft.

Boris Pistorius soll Probleme lösen, die schon seit Jahren den Alltag der Soldaten belasten. Heute Nachmittag will er mitteilen, wie er für eine Beschleunigung der Beschaffungsverfahren sorgen will.

Boris Pistorius soll Probleme lösen, die schon seit Jahren den Alltag der Soldaten belasten. Heute Nachmittag will er mitteilen, wie er für eine Beschleunigung der Beschaffungsverfahren sorgen will.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Beschaffung der Bundeswehr will der Minister insgesamt neu aufstellen. Das betrifft auch das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz, Deutschlands größte technische Behörde mit rund 11.000 Beschäftigten. Sie besorgen alles, was die Truppe benötigt, vom Knieschoner bis zum Kampfjet. Die Chefin des Beschaffungsamtes hat Pistorius bereits ausgetauscht, doch das wird nicht reichen.

Die Angst vor Fehlern blockiert die Behörde

Das Amt hat einen sehr schlechten Ruf, es gilt als behäbig und viel zu langsam. Waldemar Kliwer meint, das liege nicht an trägen Mitarbeitern - die komplizierten Prozesse seien das Problem. Er selbst arbeitet seit Jahren im Beschaffungsamt. Normalerweise äußern sich die Mitarbeiter ungern in der Öffentlichkeit, aber Kliwer ist auch Verbandssprecher des Technischen Dienstes der Bundeswehr. Er beklagt die vielen Entscheidungsträger und Prüfschritte. Alles werde bis in Detail kontrolliert. Deshalb hätten viele Mitarbeiter Angst, Fehler zu machen. Die Folge sei ein großes Absicherungsdenken.

Kliwer wünscht sich eine bessere Fehlerkultur, mehr Entscheidungsfreiheit und weniger parlamentarische Kontrollen. Jedes Rüstungsprojekt über 25 Millionen Euro muss vom Haushaltsausschuss des Bundestages geprüft und genehmigt werden. Das Beschaffungsamt liefert die Vorlagen für den parlamentarischen Prozess, was zeitraubend und arbeitsintensiv ist. Das gilt auch für die vielen Ausschreibungen. Die dürfen nur wegfallen bei Einkäufen unter 5000 Euro. "Aber mit so einem Betrag kann man in der Rüstungsindustrie sehr wenig anfangen", meint Kliwer. Und es würde schon helfen, wenn Ersatzteile nicht mehr unter diese Regelung fallen.

Wird Pistorius Erfolg haben?

Pistorius hat offenbar genau zugehört, als er Anfang Februar in Koblenz das Gespräch mit Mitarbeitern des Beschaffungsamtes suchte. Jetzt will er die Eigenverantwortung in der Bundeswehr stärken. Die Ermessensspielräume sollen "im Sinne einer Beschleunigung" konsequent genutzt werden, heißt es in einem internen Entwurf des Bundesverteidigungsministeriums. Die Marktverfügbarkeit sei bei der Rüstungsbeschaffung die beste Lösung. Es soll also Material eingekauft werden, das auch andere Armeen nutzen. Das spart Zeit und Geld.

Das hat auch Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen schon mal versucht. Nun also ein erneuter Anlauf. Pistorius hat in einem Brief an die Mitarbeiter seines Ministeriums um Verständnis für Veränderungen gebeten und um Vertrauen. Er weiß: Allein kann er es nicht schaffen, die Bundeswehr wehrhafter zu machen. Und gegen den Willen der 180.000 Soldatinnen und Soldaten und rund 60.000 Zivilangestellten kann die Zeitenwende bei der Bundeswehr nicht gelingen.

Bisher - so scheint es - hat der neue Verteidigungsminister das Vertrauen und die Sympathien eines Großteils der Truppe. Pistorius hat in seinen ersten hundert Tagen für viel frischen Wind gesorgt, aber der Posten ist und bleibt ein Schleudersitz. Umfragen zeigen, dass Pistorius derzeit der beliebteste Politiker im Land ist. Aber das kann sich - siehe Robert Habeck - schnell ändern.

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 26. April 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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