Politik

"Wenn die Duschen verschimmeln" Warum die Bundeswehrsoldaten die Geduld verlieren

Dem Eindruck der Wehrbeauftragten Eva Högl nach wirkt die Bundeswehr für Nachwuchs derzeit nicht attraktiv.

Dem Eindruck der Wehrbeauftragten Eva Högl nach wirkt die Bundeswehr für Nachwuchs derzeit nicht attraktiv.

(Foto: imago stock&people)

Das billigste Problem gibt den besten Effekt: "Schimmelige Duschen" sorgen unter anderem dafür, dass die Bundeswehr nicht genug Soldaten hat. So sieht es jedenfalls die Wehrbeauftragte Högl und sie spart auch sonst nicht an Kritik.

Die Frau weiß, wie Schlagzeile geht: Eva Högl hat vorab für den Morgen schon einen öffentlichkeitswirksamen Satz aus ihrem Wehrbericht unter die Leute gebracht: "Bei unseren Soldatinnen und Soldaten ist 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen", lautet eine Bilanz der Wehrbeauftragten des Bundestags, die es flächendeckend in deutsche Nachrichtenformate schafft.

Später am Vormittag, vor der Presse, schiebt sie noch einmal nach. Auf die Frage, wie die große Lücke denn zu schließen sei zwischen 183.051 Soldatinnen und Soldaten derzeit in der Truppe und 203.000, die es bis 2031 werden sollen, stellt Högl fest: "Wenn man weiß, dass es kein WLAN in der Kaserne gibt und dass die Duschen verschimmeln, dann ist es nur eingeschränkt attraktiv, sich für die Bundeswehr zu entscheiden."

Laut Högl sind deutsche Kasernen "in einem erbärmlichen Zustand". Wenn es beim bisherigen Sanierungstempo bliebe, "würde es etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Infrastruktur der Bundeswehr komplett modernisiert wäre". Das sind Sätze, die sitzen - auch bei Leuten, die sich nicht unbedingt thematisch in Wartungsprobleme bei Jagdfliegern einarbeiten möchten oder in die Anforderungen als Kern-Nation der Very High Readiness Joint Task Force, der schnellen Einsatztruppe der NATO.

Högls Bericht macht auf 171 Seiten deutlich, was man innerlich bei ihrem Fallbeispiel sofort befürchtet hat: Wenn es schon nicht gelingt, Kasernenbäder von Pilzbefall zu befreien, dann wäre die Hoffnung auf zeitnahe Ertüchtigung der Bundeswehr mit moderner Ausrüstung für die Soldaten, mit schweren Waffen und Munition blanke Illusion.

Eva Högl von der SPD, Wehrbeauftragte des Bundestages, bei der Vorstellung ihres Jahresberichts für 2022.

Eva Högl von der SPD, Wehrbeauftragte des Bundestages, bei der Vorstellung ihres Jahresberichts für 2022.

(Foto: picture alliance/dpa)

Und dieses Versagen hat Folgen: Wenn etwa aus dem Sondervermögen noch nichts bei der Truppe angekommen ist, wie Högl kritisiert, so bedeutet das dieser Tage konkret: Die 1450 deutschen Soldaten, die gerade in Litauen im Wald den Ernstfall trainieren - also einen Angriff russischer Truppen, der möglichst aufzuhalten wäre, bis Verstärkung aus der NATO eintrifft - können sich leider nicht ohne Weiteres mit ihren litauischen Kameraden verständigen. Denn die nutzen moderne, digitale Funkgeräte. Die Bundeswehr funkt, so sagen Experten, eher so auf Zweiter-Weltkrieg-Niveau.

"Die Bundeswehr hat von allem zu wenig"

"Digitaler Truppenfunk ist ein immens wichtiger und großer Beschaffungsposten", sagt Militärhistoriker Gustav Gressel im Gespräch mit ntv.de. Fast 20 Prozent des Sondervermögens soll für die Digitalausstattung verwendet werden. "Dieses Problem wollte man eigentlich binnen eines Jahres lösen", so der Forscher vom European Council on Foreign Relations. Passiert ist laut Högl-Bericht leider nichts.

"Die Bundeswehr hat von allem zu wenig", konstatiert sie - Panzer, Boote, Schiffe, Flugzeuge. Es gebe "kein großes Gerät, das in größerer Stückzahl vorhanden ist". Dieser Missstand schlägt sich in der Stimmung nieder. Es sei eine enorme Erwartungshaltung in der Truppe, sagt Högl, "und die darf nicht enttäuscht werden". Das vom Bundeskanzler proklamierte "Deutschlandtempo", mit dem ein LNG-Terminal in knapp zehn Monaten hochgezogen wurde, fordert Högl auch für die Bundeswehr.

Doch das wird komplizierter, als es zunächst den Anschein hat, denn Tempo ist im Verteidigungswesen nicht nur eine Frage des Geldes. Mindestens genauso entscheidend ist die Frage, wie schnell es möglich ist, sich durch den Wust von gesetzlichen Vorgaben des öffentlichen Ausschreibungswesens zu arbeiten und diese schlussendlich alle zu erfüllen. Wenn es überhaupt möglich ist.

"Jeder Panzer ist ein öffentlicher Arbeitsplatz", erklärt Gressel, "in allen Belangen unterliegt die Bundeswehr öffentlich-rechtlichen Standards, der Soldat ist im Grunde wie ein uniformierter Beamter". Das Beschaffungsrecht ist aber nicht auf eine Bundeswehr zugeschnitten, der es gerade dramatisch an Munition fehlt, sondern eher auf die Belange einer mittelgroßen Gemeinde, die in absehbarer Zeit plant, ihren Marktplatz neu zu pflastern.

Reformpläne produzierten noch mehr Personal

"In den gesetzlichen Vorgaben geht es daher eher darum, Korruption und Vetternwirtschaft zu verhindern", sagt Gressel, "und selten um Zeitdruck". Bedeutet: Selbst mit einem deutlich höheren Verteidigungsetat würde es die Bundeswehr noch nicht automatisch schaffen, die Ausstattungsprobleme zeitnah in den Griff zu bekommen. Dazu wäre der Schritt nötig, den NATO-Partner Frankreich gegangen ist: Die Franzosen haben für ihre Armee Ausnahmen per Gesetz erlassen. So ist sie von vielen Bestimmungen befreit, die ein öffentlicher Arbeitgeber normalerweise beachten müsste - etwa zur Sicherheit am Arbeitsplatz.

In Deutschland sind derlei Erleichterungen bislang nicht in Sicht und die Vergangenheit lehrt, dass auch der Wille zur Veränderung allein nicht ausreicht. Die Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer und auch Ressortchef Karl-Theodor zu Guttenberg versuchten in ihrer Amtszeit, die Verwaltung zu reformieren und das Beschaffungswesen zu verschlanken. "Das Resultat aller Reformbestrebungen war", so Gressel, "dass am Ende das Bundesamt für Ausrüstung in Koblenz mehr Mitarbeiter hatte als vorher".

Verteidigungsminister Boris Pistorius erwartet die anspruchsvollste Aufgabe womöglich im Ministerium selbst: Denn wer sich anschickt, das eigene Haus zu verschlanken, muss mit Widerstand rechnen. Immer wieder hat es deutsche Verteidigungsminister das Amt gekostet, dass sie im Bendlerblock zu viele Gegner hatten.

Da könnte es sogar die einfachere Übung für Pistorius sein, Finanzminister Christian Lindner zu überzeugen, dass der Verteidigungsetat noch zehn Milliarden Euro zusätzlich braucht. "Ich drücke die Daumen, dass sich der Verteidigungsminister durchsetzt", sagt Eva Högl mit Blick auf diese Baustelle.

Obendrein werden in der Öffentlichkeit die 100 Milliarden Euro Sondervermögen als ein Faktor gesehen, der den Wehretat entlasten kann. Jedoch ist das Gegenteil der Fall. Denn um die Geräte, die beschafft werden, auch benutzen und warten zu können, ist viel mehr Infrastruktur nötig, als die Bundeswehr derzeit hat. Die 100 Milliarden machen also weitere Investitionen nötig. Schon allein, weil in neuen Geräten in der Regel weit mehr elektronische Komponenten verbaut sind als an bisherigem Material.

Sondervermögen verursacht mehr Kosten

"Neue Fahrzeuge werden oft größer und wartungsaufwändiger, beim Panzer Puma ist das gut zu sehen. Dafür sind andere Hallen notwendig, größere Kräne, neues Personal", sagt Gressel. Die Krux am Sondervermögen aus seiner Sicht: Man nimmt jetzt Geld in die Hand, um modernes Material zu kaufen. Doch die Investitionen in die Infrastruktur standen schon vorher im Stau. Dieses Problem wird durch die Neuanschaffungen deutlich verschärft. "Ich kann einen F-35 Kampfjet einfach nicht in den Wald stellen und sagen, 'Tarn dich, aber geh mir nicht damit auf die Nerven, dass du eine Flughalle willst und Turbinenwechsel'."

Aus dieser Perspektive erscheint Eva Högls Forderung, den Verteidigungshaushalt "stetig und in deutlichen Schritten hin zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO" zu bewegen, erstaunlich defensiv. Denn teurere Energie und Rohstoffe schwächen die Kaufkraft des Etats, gleichzeitig ist der Nachholbedarf immens. Unter Sicherheitsfachleuten wird das Ziel für den NATO-Verteidigungshaushalt mittelfristig bei 2,5 Prozent gehandelt. Diesen Pflock will Eva Högl am Dienstag offenbar noch nicht einhauen. Da vertraut sie wohl darauf, dass Schimmel in der Dusche Öffentlichkeit und Regierungskoalition besser alarmiert.

Quelle: ntv.de

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