Politik

Schnelltests "mehr als genug da" Spahn prescht nach vorn - im Rücken die Wand

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt sich zuversichtlich, dass die Schnelltestkampagne gut anlaufen wird.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt sich zuversichtlich, dass die Schnelltestkampagne gut anlaufen wird.

(Foto: imago images/Jürgen Heinrich)

Gesundheitsminister Spahn steht massiv unter Druck. Drei Tage vor Start der Testkampagne gibt er sich überzeugt von den Kapazitäten der Hersteller. Die wenig subtile Botschaft: Wenn es schief läuft, sind die Länder schuld.

Wir fahren höchstes Risiko, aber passieren kann eigentlich nichts. So lassen sich die zentralen Aussagen Jens Spahns vom Freitag zusammenfassen. Ein Widerspruch in sich? Allerdings, der Bundesgesundheitsminister gibt sich denn auch in seinen Statements viel Mühe zu erklären, warum das aus seiner Sicht trotzdem alles stimmt.

"Wir gehen damit an die Grenzen dessen, was aus Gesichtspunkten des Gesundheitsschutzes verantwortbar ist", sagt Spahn über die Lockerungen, die Bund und Länder am Mittwoch beschlossen haben, obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuinfektionen weiterhin steigt, also eher in Richtung Verschärfungen weist. Spahn begründet: "Nach Monaten des Lockdowns war klar, keine Öffnungsschritte zu wagen, wäre auch nicht verantwortbar gewesen."

Unterm Strich heißt das: Die Öffnungsschritte, vor denen viele Epidemiologen und Vertreter der Intensivmedizin gewarnt haben, sind aus Sicht der Bundesregierung nun genauso alternativlos, wie man zuvor über Monate die Schließungen dargestellt hat.

Arztpraxen sollen ab April mitimpfen

Doch zum Glück, so bemüht sich der Minister die Lage darzustellen, ist Deutschland bei den Maßnahmen, die jene riskanten Öffnungsschritte absichern sollen, inzwischen bestens aufgestellt. Die Impfstrategie? "Es kommt mehr und mehr Impfstoff. Die Länder haben angekündigt, ihre Kapazitäten rasch hochzufahren. Das ist entscheidend für unser Tempo." Ab April sollen laut Spahn routinemäßig auch die Arztpraxen mitimpfen und dafür die Logistik nutzen, die heute bereits für andere Impfungen steht.

Wovon nicht die Rede ist: Ein Vorreiter in der Impfstrategie wie Israel, der mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung bereits mindestens einmal immunisiert hat, kämpft weiterhin mit einer sehr hohen Sieben-Tage-Inzidenz. Aktuell schwankt der Wert um 300 Neuinfektionen. Das legt den Schluss nahe, dass die Impfquote in Deutschland sich zwar - schon jetzt - auf die Zahl der Todesopfer und schweren Verläufe auswirkt, aber noch über viele Wochen kein scharfes Schwert im Kampf gegen den Anstieg der Infektionszahlen sein wird.

Es wird also auf die Tests ankommen, wenn Deutschland vor einer dritten Welle bewahrt werden soll, die sich schon ankündigte, noch bevor überhaupt ein einziger Lockerungsbeschluss in Kraft getreten war. Sie wird die stärkere Ansteckungskraft der britischen Mutante ausgleichen müssen und noch dazu den teilweisen Präsenzunterricht an Schulen, die Öffnungen unter anderem bei Friseuren und Pflanzmärkten, die Lockerung beim Kontaktverbot.

"Ich habe jetzt gestern noch in einigen Telefonaten von einigen Herstellern gesagt bekommen, sie schaffen sogar 20 Millionen Selbsttests pro Woche zu liefern", berichtet Jens Spahn. Mit 20 Millionen Selbsttests pro Woche könne man jeden Schüler in Deutschland zweimal pro Woche testen. Subtext der Aussage: Die Meldungen der vergangenen Tage, der Bund habe noch gar keine Tests bestellt, waren zwar korrekt, aber unerheblich. Das Angebot ist da und kurzfristig abrufbar.

Spahn bietet sich als "Kontaktbörse" an

Bei den Schnelltests, die von geschultem Personal in kommunalen Testzentren genutzt werden, ist die Lage laut dem Minister ähnlich entspannt. "Von diesen Schnelltests sind mehr als genug da, sind verfügbar, sind einfach bestellbar. Und jedes dieser Testzentren, das beauftragt wird, weiß auch, wo es sie bestellen muss."

Die Taskforce, die eiligst einberufen wurde, um die Bestellungen auf den Weg zu bringen? Eine Arbeitsgemeinschaft wie jede andere auch, so stellt Spahn es dar. Er arbeite quasi ständig in Arbeitsgemeinschaften, zu jedem Thema. Und überhaupt: Am Wochenende biete er sich als "ministerielle Kontaktbörse" an. "Ich werde jedem Ministerpräsidenten anbieten, einen Kontakt zu den Herstellern direkt zu vermitteln, damit für die Schulen und Kitas bestellt werden kann. Und ich möchte dann aber nicht in sechs Monaten lesen: Warum hat der Minister selbst telefoniert?"

Es wird der einzige Moment in dieser Pressekonferenz bleiben, wo sich andeutet, dass Spahn in den vergangenen zwei Wochen auch Nachrichtenportale gelesen und Fernsehberichte verfolgt hat. Da müssten ihm einige kritische Analysen begegnet sein, auch Forderungen nach seinem Rücktritt wurden gestellt. Weil entscheidende Abläufe zu langsam und chaotisch erscheinen, weil es Hinweise gibt, dass das Ministerium Masken zu Wucherpreisen gekauft haben könnte, weil die Politik gerade messbar an Vertrauen verliert und Spahn nach Feierabend wider eigene Appelle handelte.

Flieger mit Masken ist nie gelandet

Nichts von diesen Vorwürfen schwingt im sonstigen Auftritt des Ministers mit. Und Spahns Antwort auf eine Frage zur Causa Georg Nüßlein, dem CSU-Abgeordneten, der im Verdacht steht, für Vermittlungen von Maskendeals hohe Provision kassiert und nicht versteuert zu haben, deutet an, warum das so sein könnte: Das sei jetzt 12 Monate her, sagt Spahn und: "Es waren Wildwest-Zeiten." Er wisse noch, "der eine Flieger, der in Amsterdam landen sollte. 50 LKW waren auf dem Weg, um die Masken abzuholen, und der ist nie gelandet. Obwohl vertraglich zugesichert". Gleichzeitig sei die Not ziemlich groß gewesen. Und auch hier weiß Spahn noch, "wie die Uniklinik Köln gesagt hat: Wir haben ab nächster Woche keine Masken mehr für unser Personal. Macht was!"

Verglichen mit der damaligen Situation erscheint tatsächlich ein aktueller Markt von sieben zertifizierten Selbsttestanbietern, bei denen man jederzeit bestellen kann, eine überschaubare Angelegenheit. Und das ist das Credo, um das sich Jens Spahn derzeit bemüht: Alles ganz überschaubar auf der Seite der Herstellung und Lieferung, und für den Rest - die Bestellung, die Logistik vor Ort, die Digitalisierung der Abläufe - sind die Länder zuständig.

"Ich finde, wir sollten doch einfach gemeinsam positiv wahrnehmen, was da vor Ort alles pragmatisch, kreativ, agil, innovativ schon längst entstanden ist", regt Spahn an, mit sich und den Dingen zufrieden. Doch muss er auch darauf hoffen, dass die Kompetenzen vor Ort zum Erfolg führen. Denn es stimmt zwar, dass die Bundesländer und Kommunen für die Logistik der Testkampagne verantwortlich sind. Doch es war niemand anderes als Jens Spahn, der vor Wochen voller Überzeugung einen Starttermin für die Massentests ankündigte, der sich kurz darauf als nicht haltbar erwies.

Quelle: ntv.de

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