Kritik von Verbänden an Plänen Spahn will Pflegereform noch vor Wahl
05.10.2020, 16:12 Uhr
Jens Spahns Vorschläge gingen in die richtige Richtung, seien aber nicht ausreichend, heißt es.
(Foto: picture alliance/dpa)
Gesundheitsminister Spahn will den Eigenanteil für Heime verringern und so Pflegebedürftige und deren Angehörige entlasten. Zudem soll die Bezahlung von Pflegekräften erhöht werden. Das stößt zwar auf Lob, doch einigen gehen seine Vorschläge nicht weit genug.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will seine geplante Pflegereform möglichst noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr umsetzen. In der Koalition werde man jetzt besprechen, ob und was in dieser Legislaturperiode noch gehe, sagte Spahn in Berlin. Sein Vorschlag zeige auf, wo es hingehen solle. Idealerweise komme es von der großen Koalition noch zu entsprechenden Entscheidungen und zur Gesetzgebung, sagte der CDU-Politiker. "Was wir wollen, ist vor allem einen Rahmen setzen, der Pflege kalkulierbarer macht."
Spahn hatte am Wochenende Vorschläge für eine Reform gemacht. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen finanziell entlastet werden. Heimbewohner sollen demnach für die stationäre Pflege künftig für längstens 36 Monate maximal 700 Euro pro Monat zahlen. Zuletzt lag der Eigenanteil für die reine Pflege im Schnitt bei 786 Euro. Zuzüglich weiterer Kosten - etwa für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen der Heime - waren im bundesweiten Schnitt insgesamt 2015 Euro pro Monat fällig, wie aus Daten des Verbandes der Ersatzkassen (Stand 1. Juli) hervorgeht. Der Gesundheitsminister will mit seiner Reform außerdem erreichen, dass Mitarbeiter von Pflegeheimen nach Tarif bezahlt werden.
Spahn rechnet mit Kosten von sechs Milliarden Euro. Zum großen Teil solle dies über Steuern finanziert werden. "Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe." Deswegen sei das richtig, sagte er weiter. "Pflege ist die soziale Frage der 20er Jahre." Jeder in die Pflege investierte Euro sei eine Investition in Mitmenschlichkeit einer alternden Gesellschaft.
"700 Euro reichen nicht"
Als ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt der Paritätische Wohlfahrtsverband die Ankündigung, die Eigenanteile in der stationären Pflege künftig zu deckeln. So werde sichergestellt, dass die Finanzierung künftiger Verbesserungen nicht zulasten der Pflegebedürftigen geht. Aus Sicht des Verbandes müsste der Eigenanteil jedoch viel deutlicher begrenzt werden, um Pflegebedürftige wirksam vor Armut zu schützen. Perspektivisch fordert der Paritätische den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer einheitlichen solidarischen Vollkaskoversicherung.
"Der Vorstoß des Gesundheitsministers trifft den wunden Punkt der Pflegeversicherung und weist in die absolut richtige Richtung. Pflegebedürftigkeit darf nicht länger Armutsrisiko sein, die Eigenanteile müssen gedeckelt werden. Es kann nicht sein, dass Menschen fast ihr Leben lang in die Pflegekasse einzahlen und am Ende trotzdem in der Sozialhilfe und in Armut landen", so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Der Paritätische betont jedoch, dass eine Deckelung des Eigenanteils auf 700 Euro nicht reiche, zumal für die Betroffenen ja auch noch zusätzliche Kosten für Unterkunft und Verpflegung anfallen, und auch noch die Investitionskosten auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden.
Im Durchschnitt fallen insgesamt rund 2000 Euro pro Monat für die Betreuung und Pflege in einem Heim an, die von den Pflegebedürftigen selbst getragen werden müssen. Die Rente reiche meist nicht, um die eigene Pflege zu finanzieren, warnt Schneider. So liege laut Deutscher Rentenversicherung die durchschnittliche Rente für Neurentner*innen bei 918 Euro (West) bzw. 1065 Euro (Ost) und damit deutlich unter den durchschnittlich anfallenden Eigenanteilen für einen Heimplatz. Ein Drittel der Bewohner*innen in Pflegeheimen sei bereits heute auf Sozialhilfe angewiesen. "Es ist offensichtlich, dass die Pflegeversicherung bei der Absicherung der Pflege bisher kläglich versagt. Es braucht eine grundlegende Reform, um die Betroffenen zu entlasten und die Pflegefinanzierung vom Kopf auf die Füße zu stellen", so Schneider.
Der Paritätische fordert eine andere Haltelinie als Jens Spahn: 15 Prozent der pflegebedingten Kosten insgesamt seien das äußerste, was den Pflegebedürftigen an Eigenanteil zuzumuten sei. Perspektivisch sei die Einführung einer einheitlichen solidarischen Bürgerversicherung für alle anzustreben.
Reform in "Salamitaktik"
Auch Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie in Deutschland, kritisiert die Pflegereform im Gespräch mit "Phoenix" und bezeichnet sie als "Salamitaktik". Spahns Vorschläge gingen zwar in die richtige Richtung, seien aber nicht umfassend: "Was Herr Spahn vorgetragen hat, sieht nach politischen Trippelschritten aus und nicht nach einer überzeugenden Gesamtkonzeption."
Als grundsätzlich richtig bezeichnet der Präsident der Diakonie Spahns Ansatz, den Eigenanteil zu begrenzen und Pflege über Steueranteile mitzufinanzieren. Zudem fordert Lilie eine zukunftsfähige Bürgersozialversicherung, die allen Menschen in einer älter werdenden Gesellschaft die notwendige Pflege garantiert. Lilie betonte, die Reform der Pflege sei dringend nötig, und bezeichnet sie als eine der politischen Aufgaben des 21. Jahrhunderts.
Quelle: ntv.de, nan/dpa