Krisenmanager in Reserve Steinmeier mutet der SPD viel zu
24.11.2017, 16:27 Uhr
Bundespräsident Steinmeier redet SPD-Chef Schulz ins Gewissen.
(Foto: AP)
Jamaika ist gescheitert. Eine Lösung muss ausgerechnet ein Mann mit ruhender SPD-Mitgliedschaft finden. Bundespräsident Steinmeier drängt Parteichef Schulz zu einem Kompromiss. Und bringt die SPD damit in eine schwierige Lage.
In Deutschland ist es eigentlich so: Die Anführer der Partei, die bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen bekommen hat, suchen sich unter den anderen Parteien einen oder mehrere Partner. Sie gehen auf die Chefs dieser möglichen Koalitionäre zu und reden miteinander. Und irgendwann steht dann die Mehrheit für eine Regierung.
Dass das nicht so einfach sein kann, erfährt Deutschland in diesen Wochen zum ersten Mal. Im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarn, die leidvolle Erfahrungen mit ewigen Hängepartien bei der Regierungsbildung haben, ging es hier immer relativ schnell. Doch das kniffelige Ergebnis der Wahl im September und die Haltungen von FDP und SPD lassen nun die Reserve des Grundgesetzes ausrücken: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Das Staatsoberhaupt ist ganz offensichtlich gewillt, eine aktive Rolle bei der Beilegung der politischen Ausnahmesituation zu spielen. Seit dem Aus von Merkels Jamaika-Hoffnungen hat Steinmeier einen wahren Gesprächsmarathon ins Rollen gebracht: Die Parteichefs der Jamaika-Parteien, aber auch SPD-Chef Martin Schulz, mussten sich von Steinmeier ins Gewissen reden lassen. In der kommenden Woche lädt er die Protagonisten einer möglichen Großen Koalition vor. Es sind Treffen mit Linkspartei und AfD sowie allen Fraktionsspitzen geplant. Steinmeiers erklärtes Ziel: Neuwahlen zu verhindern und die Parteien zu einer Lösung auf Basis des Status quo zu drängen.
Steinmeiers Ambitionen sind ehrenwert. Sie sind aber auch ein wenig überraschend. Denn Steinmeier bekleidet ein Amt, das getrost als das staubigste der Republik bezeichnet werden kann. Formal ist er erster Mann im Staat. Macht üben andere aus – die Kanzlerin zuvorderst, das Parlament, die Länderchefs. Steinmeiers Aufgaben bestehen im Begrüßen neuer Botschafter oder im Sprechen warmer Worte bei Empfängen. Jetzt aber kommt es mit einem Mal auf ihn an.
Die SPD muss Jamaika-Probleme lösen
Die Verfassung deutet diese Rolle Steinmeiers nur an. Kanzler werden auf seinen Vorschlag hin gewählt. Wenn kein Kandidat eine absolute Mehrheit erhält, kann er einen Politiker ernennen, der eine relative Mehrheit zusammenbekommen hat. Er hat es dann in der Hand: Gibt es eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen? Denn es bleibt ihm auch die Option, den Bundestag nach nur wenigen Wochen wieder aufzulösen.
Was Steinmeier derzeit versucht, ist, diese Situation rechtzeitig zu verhindern. Er will den leichten Ausweg nicht ohne weiteres freimachen. "Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft", sagte er noch am Tag nach dem Scheitern von Jamaika. Und: Wer sich in Wahlen um Verantwortung bewerbe, dürfe sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen halte. Gemeint hat er damit vor allem FDP und SPD.
Steinmeiers staatspolitisch honorige Haltung bringt seine eigene Partei in eine schwierige Lage. Die SPD droht als Partei der Umfaller dazustehen. Allzu deutlich und erst am Montag wieder haben die Sozialdemokraten deutlich gemacht, nicht die Mehrheit für Merkel zu stellen. Das Jamaika-Schlamassel solle die Kanzlerin selbst lösen. Zum Ende der Woche rückt SPD-Chef Martin Schulz von dem kategorischen Nein ab. Stundenlange parteiinterne Debatten waren vorausgegangen. Zumindest unter Journalisten wurde über einen Rücktritt Schulz' gesprochen. Es folgten Dementis. Nimmt die SPD, ohnehin schon am Boden, im Chaos nach dem Jamaika-Aus weiter Schaden? Das sind Diskussionen, die auch Steinmeier der SPD eingebrockt hat.
Als Außenminister hat Steinmeier in den vergangenen Jahren Verhandlungsgeschick bewiesen. Noch ist er nicht am Ende seiner Pendeldiplomatie in Schloss Bellevue. Vertreter seiner SPD werden nicht müde zu betonen, dass es zwischen Großer Koalition und Neuwahlen ein weites Feld von Möglichkeiten gebe. Jetzt, da alle mit einer erneuten Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten rechnen, öffnet sich vielleicht eine Lücke für andere Auswege aus der Krise. Eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung etwa oder eine Große Koalition auf Zeit. Das wären zumindest Auswege, die für die Genossen etwas glimpflicher ausgehen könnten.
Quelle: ntv.de