Deutsch-russische Beziehungen Steinmeier und Putin arbeiten an Annäherung
25.10.2017, 23:10 Uhr
Bundespräsident Steinmeier und der russische Präsident Putin geben sich am Ende einer Pressekonferenz nach ihrem Gespräch im Kreml die Hand.
(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)
Der letzte deutsche Bundespräsident, der Russland besucht hat, war Christian Wulff. Das ist ziemlich genau sieben Jahre her. Nun weilt Frank-Walter Steinmeier in Moskau. Ein Staatsbesuch ist es nicht, dafür gibt es zu viel zu tun.
Kurz nach 19 Uhr wollte Frank-Walter Steinmeier eigentlich längst im Tschaikowsky-Konzertsaal sitzen, um Johann Sebastian Bachs "Matthäus-Passion" als Ballettinszenierung zu genießen. Der kunstbegeisterte Bundespräsident hatte sich auf diese Aufführung des Hamburg Balletts gefreut. Doch er wird nur die zweite Hälfte sehen, denn gerade als das Ballett beginnt, tritt Steinmeier gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml vor die Presse.
Der Raum, in dem deutsche und russische Kamerateams, Fotografen und Reporter auf die beiden warten, ist brechend voll. Vor allem russische Medien interessieren sich für diesen Besuch eines deutschen Bundespräsidenten. Das Gespräch mit Putin sollte eine Stunde dauern, ein Essen direkt im Anschluss noch einmal eine Stunde, Steinmeier hätte es vor der "Matthäus-Passion" sogar noch kurz in sein Hotel geschafft. Doch aus den geplanten zwei Stunden werden drei. Sieben Jahre nach dem letzten Besuch eines deutschen Bundespräsidenten hatte sein russischer Gastgeber offensichtlich einiges zu besprechen.
Und Themen gibt es tatsächlich genug. Die Situation auf der Krim und in der Ost-Ukraine, die russische Rolle im Syrien-Krieg, die Moskauer Position zum Konflikt mit Nordkorea. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland, die trotz der internationalen Sanktionen nie gänzlich zum Erliegen gekommen sind, waren allenfalls am Rande Thema, im Vier-Augen-Gespräch der Präsidenten wurden sie überhaupt nicht angesprochen.
Ist eine Wiederannäherung möglich?
Umso überraschter zeigt sich der deutsche Bundespräsident, als Putin groß ausholt, die Wirtschaftsbeziehungen in rosigen Farben malt und dabei den Eindruck vermittelt, als hätten die beiden vor allem darüber gesprochen. Haben sie nicht, wie aus Delegationskreisen zu hören ist, und Steinmeier ist über diese Darstellung seines Gastgebers sogar richtig sauer. So sauer, dass sein Gesicht während Putins ellenlangen Ausführungen rot anläuft - vor Wut, darf man unterstellen - mindestens aber vor Verärgerung darüber, dass sich Putin wieder einmal als unberechenbar gezeigt hat.
Steinmeier war nach Moskau gereist, um auszuloten, ob nach Monaten der tiefen Entfremdung zwischen Deutschland und Russland eine Wiederannäherung möglich ist, ob die Russen - und in erster Linie Putin - überhaupt bereit sind, über ihren Anteil daran nachzudenken. Dass bei diesem ersten Besuch seit 2010 und nach allem, was inzwischen passiert ist, auch kritische Töne angeschlagen werden, dürfte Putin kaum überrascht haben. Steinmeier hatte schon zum Auftakt seines Gesprächs im Kreml betont, dass er gekommen war, um auszuleuchten, "wie die Beziehungen, mit denen beide Präsidenten nicht zufrieden sein können, in Zukunft besser gestaltet werden können". Dafür gelte es, Konflikte zu lösen, "die uns getrennt haben".
Für diesen Vorstoß hat er sich weit vorgewagt. Viele Stimmen in Deutschland und auch in Europa sagen, dass es noch zu früh dafür ist, Russland eine Hand entgegenzustrecken. Das sieht der Bundespräsident anders. Schon als Außenminister hatte er unermüdlich dafür geworben, nie den Gesprächsfaden zum schwierigen Partner Russland abreißen zu lassen. Jetzt hat sich mit der Rückgabe einer 1938 durch den russischen Staat enteigneten Kathedrale eine gute Gelegenheit ergeben, wieder mal in Moskau vorbeizuschauen.
Der Anfang ist gemacht
Am Mittag war er dabei, als die evangelisch-lutherische Gemeinde der Kathedrale St. Peter und Paul mit einer Zeremonie die Rückübertragung feierte - fast 70 Jahre nach der Enteignung. Steinmeier hatte sich noch als Außenminister dafür eingesetzt, die Geste der russischen Seite zum Ende des 500-jährigen Reformationsjubiläums in Deutschland hatte diesen Besuch buchstäblich erst ermöglicht.
Man darf davon ausgehen, dass Putin seinen Einfluss geltend gemacht hat. Der russische Präsident hat ein großes Interesse an einer Wiederbelebung der Beziehungen zu Deutschland. Der Bundespräsident hatte sogar von tiefer Entfremdung gesprochen. Das mag er am meisten von allen politischen Akteuren in Deutschland bedauern, aber auch Steinmeier kann und will nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, nach dem Motto "Schnee von gestern und Schwamm drüber". Erstens ist das, was zur Entfremdung zwischen beiden Ländern geführt hat, kein Schnee von gestern, sondern immer noch von brennender Aktualität, und zweitens will Steinmeier die Russen auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Dass er trotzdem nach Moskau gereist ist, zeigt, dass er noch lange nicht bereit ist, die deutsch-russischen Beziehungen aufzugeben, auch wenn er selbst sagt, dass er sich "keine Illusionen über den aktuellen Stand" macht. Aber, und auch das sagt der Bundespräsident, "Sprachlosigkeit ist keine Alternative", egal wie schwierig die Beziehungen sind. Diesem Besuch müssen noch viele weitere folgen, bevor sich beide Seiten wieder in Richtung Normalität bewegen können.
Viele Besuche, viele Gespräche und viele Schritte aufeinander zu, vor allem die Russen müssen sich bewegen. Dafür gibt es im Moment keine Anzeichen. Das allerdings hieße, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis wieder einmal ein deutscher Bundespräsident zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Russland kommt - mit großem Protokoll, Staatsbankett und Ehefrau. Und auch schlichtere Arbeitsbesuche wie diesen kann Steinmeier nicht so oft machen, schließlich ist er das Staatsoberhaupt und nicht mehr der Außenminister.
Quelle: ntv.de