Wer führt die Militär-Allianz? Stoltenberg-Nachfolge wird für NATO zum Problem
13.03.2024, 17:09 Uhr Artikel anhören
Seine Amtszeit als NATO-Generalsekretär endet Anfang Oktober: Jens Stoltenberg.
(Foto: IMAGO/TT)
Eigentlich will die NATO angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine Geschlossenheit zeigen. Beim Gipfel im Sommer soll der Wechsel an der Spitze einhellig und geräuschlos über die Bühne gehen. Doch Ungarn stellt sich gegen den Favoriten für die Stoltenberg-Nachfolge quer. Und Osteuropa meldet ebenso Ansprüche an.
"Einer für alle, alle für einen", lautet das Bündnisversprechen der NATO. Wie brüchig die viel beschworene Einigkeit zuweilen ist, zeigt die Suche nach dem Nachfolger für Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nur vier Monate vor dem NATO-Jubiläumsgipfel in Washington zeichnet sich kein Konsens ab. Eigentlich war die NATO-Planung klar: US-Präsident Joe Biden wollte auf dem Gipfel in Washington ab dem 9. Juli Stoltenbergs Nachfolger präsentieren und damit die Geschlossenheit der Allianz unterstreichen, gut 75 Jahre nach Unterzeichnung des Nordatlantik-Vertrags am 4. April 1949.
Doch das Kandidaten-Rennen ist offen. Zuletzt hat der rumänische Präsident Klaus Iohannis sogar offen seine Kampfkandidatur gegen Mark Rutte erklärt. Dass der Niederländer ihr Wunschkandidat ist, haben die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien bereits kundgetan. Der 57-Jährige sei ein "exzellenter" Bewerber, ließ Biden im Februar erklären. "Mit seiner immensen Erfahrung, seiner großen sicherheitspolitischen Expertise und seinem ausgeprägten diplomatischen Geschick ist Mark Rutte ein herausragender Kandidat", ließ Kanzler Olaf Scholz mitteilen.
Traditionell gilt in der NATO jeder als verbrannt, dessen Name öffentlich kursiert. Mit ihrer deshalb ungewöhnlichen Erklärung wollten die vier großen NATO-Länder Druck auf alle Verbündeten machen, sich endlich mit der nötigen Einstimmigkeit festzulegen. Den Widerstand gegen Rutte hätten sie dabei unterschätzt, heißt es in Brüssel.
Ungarn legt Veto gegen Mark Rutte ein
An der Spitze der Gegner des liberal-konservativen Niederländers steht Ungarn. Der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orban hat nicht vergessen, dass sich Rutte auf EU-Ebene mehrfach kritisch zu Rechtsstaatsmängeln in Ungarn geäußert hat. Das Veto aus Budapest stehe weiter, heißt es von Diplomaten. Daneben legt es Orban offensichtlich darauf an, Biden zu düpieren.
Der US-Präsident hatte dem Ungarn kürzlich wenig diplomatisch vorgeworfen, er strebe nach einer "Diktatur". Budapest bezichtigte Biden daraufhin der "Lügen" und bestellte den US-Botschafter ein. Orban zeigte sich darüber hinaus in Florida mit seinem "guten Freund" Donald Trump, er unterstützt den Ex-Präsidenten im US-Wahlkampf. Ein gewisser Autoritätsverfall Bidens ist aber auch anderswo im Bündnis spürbar.
Rumänien hatte wiederholt über diplomatische Kanäle in der NATO verbreitet, es habe mit seinem 64-jährigen Präsidenten Iohannis einen guten Kandidaten - auch weil dieser perfekt Englisch und Deutsch spricht. Dass Iohannis seine Kandidatur nun gegen Bidens erklärten Willen öffentlich macht, verdeutlicht eine breitere Unzufriedenheit bei den Osteuropäern: Sie haben durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark an Stellung und Selbstbewusstsein gewonnen, jedoch noch nie den NATO-Generalsekretär gestellt.
Doch Iohannis hilft dies alles wohl nicht. Laut Diplomaten hat er keine nennenswerte Unterstützung im Bündnis. Favoritin bei den Osteuropäern soll vielmehr die estnische Regierungschefin Kaja Kallas sein. Zumal sie die erste Frau an der Spitze des Bündnisses wäre.
Verlängert Stoltenberg nochmals?
Auch Lettlands Außenminister Krisjanis Karins bewirbt sich. Gegen beide spricht aus Sicht westlicher Staaten, dass sie zu eng in den Konflikt mit Russland involviert sind. Der russische Angriffskrieg hat auch den Posten des NATO-Generalsekretärs aufgewertet. Er ist das "Gesicht" der Allianz und soll für alle Mitgliedstaaten sprechen.
Zudem ist er mehr denn je als Vermittler gefragt - wie Stoltenberg im Beitrittsstreit zwischen Schweden und der Türkei. Die Nachfolge-Saga könnte damit auf eine ebenso bekannte wie geschätzte Persönlichkeit zulaufen: Stoltenberg selbst.
Diplomaten wollen nicht ausschließen, dass der seit fast zehn Jahren amtierende Norweger um ein weiteres Jahr gebeten wird. Schon nach Beginn des Ukraine-Kriegs ließ sich Stoltenberg im Frühjahr 2022 zum Weitermachen beknien und verzichtete auf den prestigereichen Posten des norwegischen Zentralbankchefs. Diesmal müsste Biden seine ganze Überredungskunst einsetzen, um den 64-Jährigen noch einmal zu gewinnen. Stoltenbergs Amtszeit endet regulär Anfang Oktober.
Quelle: ntv.de, lar/AFP