US-Wahl 2024

Schimpftiraden auf Einwanderer Volkstribun Trump krönt sich - und zeigt neue Seite

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Die Partei ist längst ein Familienunternehmen: Der Trump-Clan mit seinem Anführer auf der Bühne in Milwaukee.

Die Partei ist längst ein Familienunternehmen: Der Trump-Clan mit seinem Anführer auf der Bühne in Milwaukee.

(Foto: AP)

Bei der ersten Rede seit dem Attentat schimmert bei Donald Trump eine versöhnliche Facette durch. Er kündigt konkret an, wie er eine zweite Amtszeit als US-Präsident beginnen würde. Immigranten beschimpft er. Einmal erwähnt er Kontrahent Joe Biden - ungeplant.

Als die Luftballons zum Abschluss des Parteitags der Republikaner endlich von der Hallendecke auf die Delegierten, Gäste und Journalisten fallen, haben sie eine Zickzackrede von Donald Trump erlebt. Gefühlig und andächtig zu Beginn, mit Versprechen und der Ankündigung seiner ersten Vorhaben nach einem Wahlsieg im November, mit wilden Anschuldigungen gegen Einwanderer und ungewöhnlichen Rufen nach Versöhnung. "Ich kandidiere für das Amt des Präsidenten für ganz Amerika, nicht für die Hälfte von Amerika, denn es ist kein Sieg, wenn man für die Hälfte von Amerika gewinnt", sagt Trump an einer Stelle. Die Halle jubelt ihm zu.

Wer hätte das vorhergesehen, als Trump vor acht Jahren vom Politikbetrieb und der Welt verlacht wurde. Als Außenseiter gestartet, sah er sich beim damaligen Parteitag zweifelnden Delegierten gegenüber. Sein Wahlsieg schockte den kompletten Politikbetrieb. Nach seiner Wahlniederlage 2020 inszenierte er sich als Opfer von angeblichem Wahlbetrug, und definierte Gefolgschaft auch darüber, ob Politiker seine Vorwürfe öffentlich wiederholten. Er wurde zum Partei-Paten im Hintergrund, um dessen Unterstützung mit bedingungsloser Loyalität gebuhlt werden musste. Und jetzt, 2024, hat Trump zum dritten Mal die Kandidatur der Republikaner erhalten. Schafft er es ins Weiße Haus, hätte er die Partei am Ende einer zweiten Amtszeit zwölf Jahre lang geprägt.

Doch er schimpft diesmal nicht über eine "radikale Linke". Feuert keine Beleidigungen oder abfällige Spitznamen für seine Gegner ins Rund der Mehrzweckhalle in Milwaukee. Stattdessen dies: "Die Zwietracht und Spaltung in unserer Gesellschaft muss überwunden werden. Und zwar schnell." Oder: "Ich bin heute Abend hier, um eine Vision für die ganze Nation darzulegen. Jedem Bürger, ob jung oder alt, Mann oder Frau, Demokrat, Republikaner oder Unabhängiger, schwarz oder weiß, Asiate oder Hispanoamerikaner, reiche ich eine Hand der Loyalität und Freundschaft." Von kulturkriegerischen Tiraden keine Spur. Der 78-Jährige fühlt sich dabei sichtlich wohl, streut immer wieder Anekdoten ein.

Doch Trump verbreitet auch Halbwahrheiten und Lügen über die Wirtschaft, Sicherheitslage und Südgrenze, schert die "Millionen Einwanderer" der "Invasion" über einen Kamm als Mörder, Wahnsinnige und Terroristen, die andere Länder in die USA schickten. "Wir sind eine Mülldeponie der Welt geworden und sie lachen uns aus. Sie denken, wir seien dumm." Woanders würden die Kriminalitätsraten deshalb sinken. Auch die Opioid-Krise um Fentanyl setzt Trump in diesen Zusammenhang. Er verspricht die "größte Abschiebeaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten" - und die Anwesenden danken es ihm mit stehenden Ovationen.

Trump ganz obenauf

Hier in der Halle des Fiserv Forums hat er sich von der kritiklosen Begeisterung tragen lassen, jeden Tag: Aus den Katakomben hinaus, ein paar Meter bis zur Treppe auf den kleinen Balkon, von wo er ins Rund und nach unten in die Arena winkt. Wo so seine Lippen ein "Thank you" nach dem anderen formen, er seine Faust ballt oder in die anonyme Menge deutet. Von den weißen Sesseln der sogenannten Familienbox aus beobachten der Trump-Clan und ausgewählte Politiker an diesem Donnerstag den Höhepunkt: Der Volkstribun krönt sich, als er die offizielle Nominierung vom Montag auch annimmt.

Ende Mai sah es noch wesentlich düsterer aus für den Präsidentschaftskandidaten. Im Schweigegeldprozess von Manhattan hatte die Jury ihn gerade schuldig gesprochen, und in der Folge gaben seine Umfragewerte nach. Doch dann begannen die Wochen der Erfolge. Der Supreme Court erklärte ihn und andere Präsidenten für teilweise immun gegen Strafverfolgung. Sämtliche Anklagen gegen ihn wackeln nun; die wegen der Geheimdokumente, wegen des versuchten Wahlbetrugs und nicht zuletzt des Aufstandes vom 6. Januar 2021. In der TV-Debatte gegen ihn demontierte sich ein klappriger US-Präsident Joe Biden selbst und stürzte die Demokraten ins Chaos. Und dann, zwei Tage vor dem Nominierungsparteitag in Milwaukee, überlebt er ein Attentat leicht verletzt.

Schon jetzt haben die Republikaner dies in ihre Geschichte eingesponnen. Wer nicht an ein Wunder oder Gottes Schutz glaubt, der sieht in diesen Wendungen und Ereignissen zumindest ein Zeichen der Stärke. Und Trump, so der Spin dieser vier Tage, der sich auch unter Delegierten in Milwaukee breitmacht, sei nun ein "anderer Mensch", ein Versöhner, der nicht nur die Republikaner, sondern gleich die ganzen USA wieder einen könne nach den vielen Jahren der Polarisierung. Nur darüber, dass Trump diese Polarisierung selbst an- und auf die Spitze getrieben hat mit seiner Rhetorik, wird nicht gesprochen. Sondern mit dem Finger auf die Demokraten gezeigt.

Konkrete Pläne fürs Weiße Haus

Seine Rede habe er umgeschrieben, sagte Trump am Tag nach dem Attentat zu einer Journalistin, den Ton deutlich entschärft. Doch bislang war er jemand, der nur Gefolgsleute oder Feinde kennt, und das ist an diesem Abend weiterhin wahrnehmbar. Einheit ja, aber unter ihm, so der Tenor. "Nie wieder" werde man eine Wahlniederlage wie 2020 zulassen, sagt Trump. Er lässt offen, was genau er damit meint. Seine erste Amtszeit verklärt er als goldenes Zeitalter, in dem alles hervorragend gewesen sei. Unter der derzeitigen Regierung der Demokraten sei alles desaströs. Er erwähnt Präsident Joe Biden nur ein einziges Mal, aber ohne, dass es im Teleprompter auftaucht. "Der Schaden, den er angerichtet hat, ist unvorstellbar", sagt Trump über Biden.

Trump macht an diesem Abend auch klar, wie er im Falle eines Wahlsiegs zu Beginn vorgehen will. Ab "Tag eins" werde er nach Öl und Gas "bohren, Baby, bohren", was die Anwesenden von ihren Stühlen reißt. Er werde direkt die Grenze schließen und die Schadstoffauflagen für die Autoindustrie abschaffen. Mit der im März eingeführten Regelung drängt die Regierung von Joe Biden die Autoindustrie in Richtung Elektromobilität; in acht Jahren sollen so etwa 60 Prozent der Neuwagen elektrisch sein. Und er kündigt noch etwas an: eine "eiserne Kuppel" (Iron Dome), ein Raketenabwehrsystem, wie es Israel hat.

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Den Ukraine-Krieg werde er beenden, wie alle anderen internationalen Krisen auch, im Handstreich. Mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un komme er ohnehin gut aus. "Ich glaube, er vermisst mich", sagt Trump mit einem Lächeln. Er verspricht den USA auch weitere Maßnahmen, um die "Erschwinglichkeitskrise" zu bekämpfen. Zölle auf Importe, Inlandsproduktionspflicht für ausländische Unternehmen, und günstige, einheimische Energie, um die Herstellungskosten für Konsumgüter zu drücken. Dass dies funktioniert, ist keineswegs sicher. Zuletzt hatten 16 Wirtschaftsnobelpreisträger in einem offenen Brief vor Trumps Vorhaben gewarnt: Sie würden die Inflation antreiben, nicht drücken.

In einer Umfrage von CBS hatten vor der Rede 54 Prozent der US-Wähler gesagt, seit dem Attentat habe Trump zu mehr Einigkeit aufgerufen, 46 Prozent meinen hingegen, er habe noch mehr gespalten. Die Wahlumfragen zeigen inzwischen einen klaren Vorteil für Trump, er liegt nun 4,3 Prozent vor Biden, und zudem in sämtlichen entscheidenden "Battleground"-Bundesstaaten wie Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Sein Vize-Kandidat J.D. Vance soll mit seiner Vorgeschichte eben dort die unentschlossenen Wähler überzeugen und insbesondere die Arbeiter. Ist er erfolgreich, wird Trump nicht mehr nur Ex-Präsident, sondern auch der kommende sein.

Quelle: ntv.de

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