Verstöße "aller Kriegsparteien" UN-Experten wollen mögliche Kriegsverbrechen prüfen
27.11.2023, 16:16 Uhr Artikel anhören
Untersucht werden soll auch die Zerstörung ziviler Infrastruktur bei israelischen Bombardierungen.
(Foto: IMAGO/APAimages)
Im Gaza-Krieg werfen sich Israel und Hamas gegenseitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Nun fordern UN-Experten eine Initiative der internationalen Gemeinschaft zur Aufdeckung möglicher Verstöße. Die Strafverfolgung müsse erleichtert werden, um Haupttäter identifizieren zu können.
UN-Menschenrechtsexperten haben unabhängige Untersuchungen zu möglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Israel und den Palästinensergebieten seit dem 7. Oktober gefordert. In einer Erklärung riefen der UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche Hinrichtungen, Morris Tidball-Binz, und die Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Jill Edwards, zu "sofortigen, transparenten und unabhängigen Untersuchungen" von möglichen Verstößen "aller Kriegsparteien" auf. Die Expertin und der Experte nannten selbst keine Beispiele.
Die Untersuchung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich jeglicher außergerichtlicher Tötung, Folter oder anderer Verstöße gegen die Menschenwürde, sei eine "grundlegende rechtliche Verpflichtung", hieß es in der Erklärung der beiden Experten, die zwar vom UN-Menschenrechtsrat ernannt wurden, aber nicht im Namen der Vereinten Nationen sprechen.
Weiter forderten die UN-Menschenrechtler die internationale Gemeinschaft dazu auf, "eine proaktive Rolle bei der Identifizierung mutmaßlicher Haupttäter" zu spielen und die Strafverfolgung zu erleichtern. Die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen müssten "unverzüglich vor Gericht gestellt" werden. Die Erklärung erfolgte vor dem Hintergrund einer viertägigen Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas.
Zivilisten als menschliche Schutzschilde
Menschenrechtler haben in den vergangenen Wochen mehrere Punkte genannt, die Verbrechen darstellen könnten: Die Verschleppung von mehr als 200 Menschen beim Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober in den Gazastreifen und Militante im Gazastreifen, die Zivilisten als menschliche Schilde missbrauchen sowie die israelische Abriegelung des Gazastreifens als kollektive Bestrafung und die Zerstörung ziviler Infrastruktur bei israelischen Bombardierungen mit Tausenden Toten.
Die Experten erinnerten daran, dass Gerichte in jedem Land Ermittlungen und Prozesse gegen Verantwortliche solcher Verbrechen durchführen können. Sie begrüßten die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs und der UN-Untersuchungskommission zu Israel und den besetzten Gebieten, die Beweise im Gazastreifen, in Israel und dem besetzten Westjordanland sammelten.
Morris Tidball-Binz ist UN-Sonderberichterstatter zu extralegalen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen. Alice Jill Edwards ist UN-Sonderberichterstatterin zu Folter und anderen grausamen, inhumanen und entwürdigenden Behandlungen oder Bestrafungen. Solche Berichterstatter werden aufgrund ihrer Expertise vom UN-Menschenrechtsrat bestellt. Sie berichten regelmäßig zu ihrem Thema, Entscheidungen kann nur der Menschenrechtsrat aus 47 Ländern treffen, die jeweils für drei Jahre in den Rat gewählt werden.
Gräueltaten an Frauen und Kindern
Hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten dort beispiellose Gräueltaten an Zivilisten verübt, darunter viele Frauen und Kinder. Israelischen Angaben zufolge wurden 1200 Menschen getötet und rund 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel erklärte der Palästinenserorganisation daraufhin den Krieg und griff aus der Luft und vom Boden aus massiv Ziele im Gazastreifen an. Angaben der Hamas zufolge, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seitdem fast 15.000 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet.
Nach langwierigen Gesprächen unter Vermittlung von Katar, Ägypten und den USA hatten sich Israel und die Hamas auf eine viertägige Feuerpause geeinigt, die bislang zur Freilassung von 39 israelischen Geiseln im Austausch für 117 freigelassene palästinensische Häftlinge führte. Ohne eine mögliche Verlängerung endet die Feuerpause am Dienstagmorgen.
Quelle: ntv.de, gut/dpa/AFP