Khashoggi-Urteil in Riad "UN machen sich mitschuldig an Fehlurteil"
24.12.2019, 15:58 Uhr
Eine Überwachungskamera zeigt Jamal Khashoggi beim Betreten der saudischen Botschaft in Istanbul. Er kam nicht lebend wieder heraus.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Prozess wegen des Mordes an Jamal Khashoggi in Riad stößt auf Kritik. Fünf Todesurteile, mehrere hohe Haftstrafen, doch die Vertrauten des saudischen Kronprinzen gehen straflos aus. UN-Sonderberichterstatterin Callarmard spricht von einer Farce. Aber der Fall könnte international wieder aufgerollt werden.
Nach dem Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi hat ein Gericht in Saudi-Arabien fünf Männer zum Tode verurteilt. Gegen drei weitere Angeklagte wurden Haftstrafen von insgesamt 24 Jahren wegen "Verschleierung des Verbrechens" verhängt. Freigesprochen wurde dagegen der frühere Vize-Geheimdienstchef Ahmed al-Assiri. Die Ermittlungen gegen Saud al-Kahtani, einen der engsten Vertrauten des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, wurden aus "Mangel an Beweisen" eingestellt, er kam ohne Anklage davon. Die UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard sprach von einer "Farce". Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie, es gebe dennoch weitere Möglichkeiten, zu ermitteln und Täter vor Gericht zu stellen - auch für Deutschland.
Der Prozess verlief lange im Geheimen, aber am Montag waren Repräsentanten der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates dabei. Wieso die plötzliche Entscheidung, den Prozess international zu öffnen?
Meiner Ansicht nach macht sich die internationale Gemeinschaft mitschuldig an einem Fehlurteil. Denn indem Saudi-Arabien den Repräsentanten dieser Länder Zugang zu dem Prozess gibt, gibt es vor, offen zu sein, aber tatsächlich zieht es den UN-Sicherheitsrat in einen Prozess mit hinein, der alles andere als fair ist. Da ist nichts an diesem Prozess, das internationalen Standards eines fairen Prozesses entspricht. Und dass diese fünf Länder beschlossen haben, da mitzumachen, ist absolut schändlich. Sie machen sich damit mitschuldig, dass der Mord an einem Journalisten ohne Strafe bleibt. Mir fehlen Worte, die stark genug sind, um anzuprangern, was diese fünf Länder getan haben. Sie haben nichts für die Gerechtigkeit getan. Doch sie haben alles getan, um den Interessen Saudi-Arabiens zu dienen.
Was sind nun die nächsten Schritte? Oder war das das Ende?
Nicht so ganz. Ich hatte schon in meinem Bericht im Juni gesagt, dass ich nicht erwarte, dass Gerechtigkeit aus Saudi-Arabien kommt - nicht aus dem Saudi-Arabien, das wir kennen. Und wir sollten Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi auch nicht den Launen des saudischen Justizapparats überlassen.
Was sind also die Optionen?
Wenn wir uns gerichtliche Verfahren anschauen, gibt es zurzeit drei Möglichkeiten. Das FBI in den USA, wo Khashoggi gelebt hat, könnte die Tötung untersuchen. Es kann ein Zivilprozess angestrengt werden gegen Saudi-Arabien. Zweitens haben die türkischen Behörden das verfassungsmäßige Recht, mit einem Prozess in Abwesenheit voranzugehen. Sie haben die Tötung in den vergangenen zwölf Monaten untersucht, sie haben eine Menge Informationen zur Verfügung - viel mehr, als öffentlich gemacht wurden und mir zur Verfügung standen. Jetzt müssen sie mit einem Prozess weitermachen, und sie müssen alle ihre Informationen offenlegen, auch zur Befehlskette des Mordes. Drittens ist die Tötung von Jamal Khashoggi aus meiner Sicht auch ein internationales Verbrechen, das die Anwendung des Weltrechtsprinzips ermöglicht.
Das ist ein juristisches Prinzip, wonach Länder bestimmte Verbrechen unter bestimmten Voraussetzungen verfolgen können, egal, ob sie in ihrem Land oder durch oder gegen ihre Staatsbürger begangen wurden.
Das bedeutet, dass Länder wie Frankreich, Belgien, Spanien, Großbritannien, Deutschland, alle diese Länder die rechtliche Möglichkeit haben, zuerst zu ermitteln und dann jede Person vor Gericht zu stellen, die mit der Tötung in Verbindung steht und die in ihr Territorium kommt. Und das könnte den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman betreffen, der zurzeit nicht Staatschef ist.
Gibt es noch andere Wege, um Saudi-Arabien zur Rechenschaft zu ziehen?

Agnès Callamard wurde 2016 vom UN-Menschenrechtsrat zur Sonderberichterstatterin zu außergerichtlichen und willkürlichen Hinrichtungen ernannt. In mehr als 30 Ländern hat sie Ermittlungen zum Thema Menschenrechte geleitet.
(Foto: dpa)
Es wird darum gehen, sicherzustellen, dass das Thema auf der Agenda bleibt und zwar an jeder Stelle und bei jedem Versuch von Saudi-Arabien, sich einen neuen Ruf zu kaufen, indem es in Kultur und Sport und Kunst investiert, und indem es Menschen kauft. Wir müssen verlangen, dass all die Journalisten und andere, die derzeit im Gefängnis sind, freigelassen werden, dass die Frauenrechtsaktivisten freigelassen werden. Da sind eine Menge Dinge, die auf der Agenda bleiben müssen, und das ist auch ein Teil der Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi.
Sie haben gesagt, dass es Saudi-Arabien nicht erlaubt sein sollte, im kommenden Jahr der Gastgeber des G20-Gipfels zu sein.
Ich bezweifle, dass Saudi-Arabien dabei zu stoppen sein wird. Aber es gibt mehrere Dinge, die passieren könnten. Wir können verlangen, dass der G20-Gastgeber König Salman ist und nicht der Kronprinz. Wir können verlangen, dass es während der G20 Diskussionen gibt zu Pressefreiheit und Menschenrechten generell. Es muss sehr klar sein, dass die G20 in Riad vom Land ausgenutzt werden, und wir müssen vorbereitet sein.
Quelle: ntv.de, Interview: Anindita Ramaswamy, dpa