Beleidigungen, Gefahren, Frauen "Beschimpft Trump Harris zu sehr, geht das nach hinten los"
23.07.2024, 19:40 Uhr Artikel anhören
Donald Trump wird Kamala Harris anders als Joe Biden attackieren müssen.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Donald Trump steht unter Druck. Der Republikaner hat mit Kamala Harris nun eine Gegnerin, die im US-Wahlkampf eine härtere Gangart einlegen wird. Das verändert die bisherige Dynamik komplett, erklärt Thomas Greven, Experte für das Parteiensystem und den Wahlkampf in den USA am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Trump wird sein Hauptangriffsplan und das Momentum geklaut, sagt er im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Vor einer Woche wurde Donald Trump fast ermordet. Am Sonntag hat US-Präsident Joe Biden seine Kandidatur für die Wiederwahl aufgegeben. Wie chaotisch und historisch kann dieses Präsidentschaftswahljahr noch werden?
Thomas Greven: Mittlerweile kann man davon ausgehen, dass Kamala Harris wirklich die Kandidatin der Demokraten wird. Nun geht es um die Entscheidung, wen sie als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft ins Boot holen würde. Das sollte möglichst ein jüngerer weißer Mann mit Regierungserfahrung aus den Südstaaten oder dem Mittleren Westen beziehungsweise dem Rust Belt sein. (Der sogenannte Rostgürtel, die traditionelle Industrieregion der USA, Anm. d. Red.)
Trump sagt: Harris ist leichter zu besiegen als Biden. Hat er recht?
Nein, auf keinen Fall. Zwar werden die Republikaner versuchen, Harris in einer negativen Art zu porträtieren, etwa als zu links oder zu radikal, aber das bisher dominante Altersargument fällt weg. Harris zwingt Trump einen offeneren Schlagabtausch und eine deutlich schwierigere Aufgabe auf. Insbesondere, weil die Demokraten die Reihen schnell hinter Harris schließen. Wäre es zu Chaos und Kampfkandidaturen gekommen, hätte sich das Bild natürlich geändert.
Welche Bedeutung hat der Rückzug von Biden für Trump?
Trump selbst und seine Kampagne haben sich in der jüngeren Vergangenheit auf den Rückzug Bidens und auf Harris vorbereitet. Sie tun zwar öffentlich so, als wäre das ein Skandal und eine Wählertäuschung, aber sie haben damit gerechnet. Auch in rechten Medien ging der Rückzug schon länger als Verschwörungsszenario herum.
Wird Trump mit Harris sein Hauptangriffsplan genommen, weil sie das Altersargument des Republikaners komplett umdreht?
In der Tat, vor allem, wenn sie noch einen jüngeren Vize hat. Das hat Trump deshalb mit JD Vance, einer Art jüngerer Trump-Kopie, ja auch gemacht. Trump wird von Harris ein wesentliches Argument genommen, deshalb reagiert er jetzt verärgert. Nach dem Attentat - welches als traumatische Erfahrung noch Folgen haben könnte, bisher hat Trump das überspielt - wollte Trump auf Versöhnungskurs gehen. Aber das entspricht nicht seinem Naturell, das kann er nicht. Das Altersargument ist vielleicht weg, aber an der aggressiven Stoßrichtung des Wahlkampfs wird sich nichts ändern, es wird schnell wieder sehr spalterisch werden.
Die Präsidentschaftswahl wird wieder einmal auf den Rust Belt und Bundesstaaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin hinauslaufen. Spielt es Trump in die Karten, wenn er nun gegen Harris antritt, die er als kalifornische Liberale, mit der sich die Menschen dort nicht identifizieren können, abstempeln kann?
Das werden die Republikaner auf jeden Fall versuchen. Trump hat sich mit Vance jemanden ausgewählt, der in diesen Staaten eine gewisse Kredibilität genießt. Das muss Harris mit einer geschickten Auswahl kontern, sonst tappt sie in die Hilary-Clinton-Falle und bekommt in der Tat Probleme. Sie könnte als zu elitär und radikal rüberkommen, obwohl sie das eigentlich gar nicht ist, gerade, wenn man sich ihre Law-and-Order-Vergangenheit anschaut.
Wie wird Trump sein neues Gegenüber angreifen?
Als Mitglied der Regierung kann Kamala Harris dem nicht entkommen, dass sie mit Bidens Politik in Verbindung gebracht wird. Von den Republikanern wird sie als ein Teil der - wie sie absurderweise behaupten - "schlechtesten Regierung aller Zeiten" angegangen werden. Für die Demokraten ist es ein Glück, dass Biden nicht als Präsident zurücktritt, sodass Harris sich ein wenig von der Regierung distanzieren und etwas befreiter auftreten kann. Für Trump gibt es ein Risiko: Wenn er Kamala Harris zu sehr beschimpft oder sie mit hämischen Spitznamen traktiert, so wie er das mit Biden gemacht hat und worin er sehr geschickt ist, geht das nach hinten los. Das könnten die Wechselwähler und unabhängigen Wähler bestrafen.
Weil sie eine Frau ist und dazu noch of Color?
Genau, es ist heikler, sie anzugreifen, als einen alten, weißen Mann. Und bei der Präsidentschaftswahl kommt es immer auf Wechselwählerinnen und -wähler an. Vor allem in den Battleground States, den vielleicht sieben umkämpften Bundesstaaten, in denen noch nicht klar ist, wer am Ende die Wahlleute für sich gewinnt. Scharfe Angriffe auf die Person Kamala Harris könnten dort einigen Menschen in Erinnerung rufen, was für ein mieser Typ Trump ist.
Eine Analyse des Pew Research Center zur Wahl 2016 ergab, dass Trumps Sieg damals zum Teil auf einen Zwei-Punkte-Vorsprung bei weißen Wählerinnen zurückzuführen war, die 41 Prozent der Wählerschaft ausmachten. Mittlerweile läuft Trump aber der Zuspruch von Wählerinnen weg, in JD Vance hat er sich einen vehementen Abtreibungsgegner als Vize ausgesucht. Ist es eine Gefahr für ihn, dass ihm eine Frau gegenübersteht?
Ganz bestimmt, denn die Wählerinnen in den Battleground States sind der Preis, den es zu gewinnen gilt. Mit ihnen kann man die Wahl entscheiden. Die schlechte Stimmung in dieser wichtigen Wählerschaft, weil man mit Biden nicht zufrieden war, könnte sich dank Harris für die Demokraten zum Positiven umkehren. Das Thema Abtreibung ist potenziell das Gewinnerthema für die Demokraten. Kamala Harris hat schon länger an der demokratischen Basis dazu gearbeitet und war immer präsent, wenn irgendwo ein Gesetz zur Verschärfung der Abtreibungsregeln verabschiedet wurde.
Den Bundesstaat Georgia hatten die Demokraten schon fast abgeschrieben und nun könnten sie mit Harris dort einen erheblichen Vorteil bei Wählerinnen und Wählerinnen und Wählern of Color haben.
Die Demokraten hoffen, dass Harris wegen ihres Hintergrunds und starken Engagements für Frauenrechte punkten kann. Zuvor hatte es auch dort eine gewisse Lustlosigkeit in Bezug auf Biden gegeben, auch wenn er fast die gleichen Positionen vertritt. Aber Harris bringt eine andere Dynamik mit, die Trump gefährlich werden könnte, weil sie für eine Mobilisierung bei dieser Wählerschaft sorgen könnte.
Wird Trump als Konsequenz etwas an seiner Macho-Attitüde ändern, mit der er eine große Anziehungskraft auf männliche Wähler ausübt?
Trump hat immer wieder einen enormen politischen Instinkt bewiesen, sogar als er unter Beschuss war, hat er ganz bewusst für ein ikonisches Foto des Attentats gesorgt. Dem steht aber entgegen, dass es so jemandem schwerer fällt, sich taktisch zurückzunehmen. Es würde mich sehr überraschen, wenn er dazu in der Lage wäre. Allein, weil er dem Personenkult in seiner Basis keinen Knacks hinzufügen will, wird er das wohl nicht tun.
Biden vergeigte die TV-Debatte gegen Trump. Muss er vor Harris mehr Angst haben?
Donald Trump muss bei Kamala Harris mit einer anderen Debattendynamik und einer härteren Gangart rechnen; er trifft mit ihr auf ein anderes Kaliber im Vergleich zu Joe Biden. Als ehemalige Staatsanwältin, Senatorin und Präsidentschaftskandidatin hat sie immer wieder gezeigt, dass sie in Debatten sehr scharf und pointiert sein kann. Trump hat deshalb schon den Vorstoß gemacht, dass die nächste Debatte vom Sender ABC zum konservativen Sender Fox wechseln und man die Regeln ein wenig ändern solle. Er weiß, dass das mit Harris nicht so einfach werden würde.
Wird es für Trump in den Debatten auch gefährlich, weil Harris als eine ehemalige Staatsanwältin einen verurteilten Verbrecher anders als Biden attackieren könnte?
Trumps Verurteilungen sind nur ein Teil der Munition in den Händen der Demokraten. Biden hat es damit auch versucht, aber bei so einer Debatte geht es weniger um das Inhaltliche. Trumps rhetorische Strategie ist dabei: Mit hoher Geschwindigkeit und großer Überzeugung unfassbar viel Unfug zu erzählen, anzugeben und zu beleidigen. Dieses Tempo und diese Dichte kann man nicht mit Sachargumenten, Fakten und Zahlen beantworten. Es geht darum, den Gegner bloßzustellen und lächerlich zu machen. Spontan zu sein. Es kommt auf die Präsenz und die Performance an, aufs Emotionale. Genau das waren Bidens Schwächen. Harris bringt da auch dank ihrer Erfahrung als Staatsanwältin ganz anderes Potenzial mit.
Emotional wird Trump bei seinen auserkorenen Hauptfeinden, den illegalen Einwanderern. Er versprach "die größte Abschiebung aller Zeiten", falls er im Herbst gewinnt. Harris hat er als gescheiterte "Grenz-Zarin" beschrieben, weil sie unter Biden die Einwanderungspolitik nicht in den Griff bekam.
Harris' Aufgabe als Vizepräsidentin war es unter anderem, dieses schwierige Thema von Biden fernzuhalten, und sie wurde für die Probleme in diesem Bereich mitverantwortlich gemacht. Migration ist ein massives Einfallstor für Populismus und radikale Vorschläge. Neben der Inflation und der Ukraine ist es das Thema, bei dem Trump am meisten versuchen wird, inhaltlich zu punkten. Aber noch mehr als ohnehin schon kann er wohl gar nicht diesbezüglich angreifen. (lacht)
Trump und sein Slogan "Make America Great Again" stehen für Nostalgie. Und jetzt kommt eine Gegnerin in Kamala Harris, die als Schwarze und Frau, als Einwandererkind mit einer indischen Mutter für Veränderung und Diversität steht. Welche Folgen hat das?
Harris kann besser als Biden daran erinnern, dass die vergangenen Zeiten gar nicht so gut waren. Zumindest nicht aus der Perspektive vieler Amerikanerinnen und Amerikaner, die nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören. Harris kann die Behauptungen empirisch und authentisch kontern. Das macht sie auch gerne und griff selbst Biden diesbezüglich an, als beide 2019 um die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur konkurrierten. Genau deshalb dürfte sie für bestimmte Communities die glaubwürdigere und attraktivere Kandidatin sein. Wobei auch Teile dieser Communities, insbesondere hispano- und afroamerikanischen Männer, kritisch auf Themen wie Migration, Homosexualität und Frauen- und Transrechte schauen. Harris wird solche Trends nicht komplett umkehren können, aber sie ist besser dazu in der Lage als Biden und dadurch gefährlicher für Trump.
Trump befindet sich in der ungewohnten Position des führenden Spitzenkandidaten. Zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn ist es die andere Seite, die ihn herausfordert und von Chaos im Wahlkampf profitieren könnte.
Dass Harris jetzt nicht als Präsidentin, sondern als Herausforderin in den Wahlkampf geht, verändert die Dynamik. Trump wird all seine Munition gegen Harris auspacken, aber er hat es mit einer kämpferischen und etwas befreit aufspielenden Herausforderin zu tun. Harris könnte es schaffen, gewisse Sensibilitäten zu wecken und gewisse Teile der demokratischen Basis und der Bevölkerung, die sich eher als unabhängig betrachten, zu mobilisieren.
Im Fußball gibt es den viel zitierten psychologisch wichtigen Zeitpunkt beim Tor kurz vor der Halbzeit oder einen sogenannten Momentum Switch. Was kann so etwas im Präsidentschaftswahlkampf verändern?
Das Momentum ist ganz erheblich, weil es damit zu tun hat, wie viel Geld eingenommen wird. Auch Kleinstspender haben jetzt bereits das Harris-Momentum aufgenommen, während Biden zuletzt die Spender davongelaufen sind. Wenn sich die Reihen hinter Harris nun schnell schließen und sie mit der Auswahl des richtigen Vize-Kandidaten noch etwas Schwung erzeugt, kann sie Trump das Momentum nehmen. Zuvor schien alles für Trump zu laufen, diese Dynamik ist nun durchbrochen. Wir sind in einem völlig anderen Spiel.
Weil die Wahlen in den USA oft äußerst knapp sind, können sie nur gewonnen werden, wenn man es schafft, in den entscheidenden Staaten die Leute zu mobilisieren, zu motivieren und zu begeistern. Es ist selbstverständlich noch unklar, ob dies Harris gelingen würde und sie wird sicherlich keine Basis so mobilisieren können wie Trump seinen ihm ergebenen Personenkult. Aber sie wird viel besser an der demokratischen Basis ankommen als Biden. Das könnte für Trump zum Problem werden.
Mit Thomas Greven sprach David Bedürftig
Quelle: ntv.de