Unerbittlicher US-Wahlkampf "Mit Trump hat Harris einen Gegner, der jedem den Sauerstoff nimmt"
25.07.2024, 16:13 Uhr Artikel anhören
Die Wahlneigung junger demokratischer Wähler hat Harris deutlich erhöht.
(Foto: REUTERS)
Der Wahlkampf tobt schon zwischen der designierten US-Präsidentschaftskandidatin Harris und ihrem Kontrahenten Trump. Zu Beginn ihrer Kampagne betont Harris die Verurteilung Trumps als Straftäter. Um die Wahl zu gewinnen, müsse sie aber noch viel mehr tun, sagt Politik-Experte Jäger.
ntv.de: Kamala Harris wird so gut wie sicher die US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten sein, Joe Biden hat gestern Abend seinen Verzicht auch im Fernsehen erläutert. Wie kann Harris nach all der Medienaufmerksamkeit jetzt die Initiative im Wahlkampf behalten?
Thomas Jäger: Noch ist eine Frage offen, die alle interessiert: Wer wird Harris‘ Vize-Präsidentschaftskandidat? Solange das nicht geklärt ist, sind alle Augen noch auf sie gerichtet. Diese Phase muss sie nutzen, inhaltlich ein paar Pflöcke einzurammen auf den Gebieten, auf denen sie momentan noch nicht so firm ist. Mit Trump hat Harris einen Gegner, der jedem den Sauerstoff nimmt, der alle Medienaufmerksamkeit auf sich zieht. Das weiß sie. Und das muss sie versuchen, zu verhindern.
Welcher Vize-Präsidentschaftskandidat wäre aus Ihrer Sicht für Harris strategisch sinnvoll?
Es gibt zwei Namen, die herausstechen: die Gouverneure von Pennsylvania, Josh Shapiro, und von North Carolina, Roy Cooper. Und zwar deshalb, weil die, wenn sie ihre Bundesstaaten gewinnen, richtig viele Wahlleute mitbringen: 19 beziehungsweise 15. Das ist die Hürde gewesen, an der Joe Biden zumindest in den Umfragen gescheitert ist - dass er Wisconsin, Michigan, Pennsylvania nicht mehr so sicher hatte. Diese Staaten müsste Harris gewinnen, um ausreichend Leute zusammenzubekommen. Es hilft nichts, wenn Harris in den Umfragen jetzt einigermaßen zulegt und wenn die Begeisterung der Demokraten in den Staaten steigt, in denen sie sowieso gewinnen.
In Umfragen haben die Demokraten tatsächlich etwas zugelegt, Harris schneidet ein wenig besser ab als es Biden tat. Ist vorauszusehen, ob das nachhaltig sein wird?
Zwar gibt es eine ganze Reihe von Umfragen, die wieder ein wenig mehr Unterstützung bei den Demokraten sehen. Das war auch zu erwarten, weil die Aufmerksamkeit jetzt zu den Demokraten gewandert ist. Auch wird zu erwarten sein, dass nach dem Parteitag der Demokraten die Zustimmung noch ein bisschen zunimmt. Aber insgesamt ist die Lage unverändert. Das heißt: leichter Vorteil für Trump, insbesondere in den Swing States.
Ex-US-Präsident Barack Obama plant laut Medienberichten gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Harris. Glauben Sie, Obamas Unterstützung kann Harris‘ Kampagne einen richtigen Schub geben?
Obama ist ein guter Wahlkämpfer, weshalb das die Kandidatur von Harris unterstützen wird. Aber Obama bringt wenig frischen Wind. Bei vielen Amerikanern ist nach der Obama-Präsidentschaft der Eindruck zurückgeblieben: Diese acht Jahre wurden nicht wirklich genutzt, da hätte man viel mehr machen müssen. Trotzdem ist Obama hilfreich für Harris. Insbesondere deshalb, weil sie in kurzer Zeit den Spieß umdrehen muss. Ob es ihr gelingt, dafür muss man die nächsten Wochen abwarten, wenn die ersten seriösen Zahlen rauskommen, und man die Zustimmungswerte länger gemessen hat.
Welche Wählerschichten könnte Harris mobilisieren?
Die Wahlneigung junger demokratischer Wähler hat Harris deutlich erhöht. Sie ist aber noch lange nicht da, wo Biden war, als er die Wahl 2020 gewonnen hat. Das heißt, hier ist noch insbesondere bei den jungen Wählern sowie bei Afroamerikanern und Hispanoamerikanern viel Arbeit zu leisten, damit sie erstens zur Wahl gehen und zweitens auch die Demokraten wählen. Denn auch die Republikaner haben jetzt weit stärker afroamerikanische Männer und hispanoamerikanische Männer in den Blick genommen und wollen hier ihre Wählerschaft ausbauen. Da müssen die Demokraten entgegenarbeiten.
Wie kann Harris die afro- und hispanoamerikanischen Wähler für sich begeistern?
Die Themen, die jetzt für sie wichtig sind, sind für die Amerikaner generell wichtig. Zwei stechen in den Umfragen heraus: Das ist einmal die Inflation, und das ist zum Zweiten die Einwanderung. Das sind die zwei Themen, die über allem stehen. Es gibt laut den Umfragen ein drittes, immerwährendes Thema: nämlich die Dysfunktionalität der Regierung. Zwei Drittel der Amerikaner sagen, das Land läuft in die falsche Richtung. Das heißt, Harris muss hier versuchen, sowohl die Erfolge der Regierungszeit Bidens zu betonen als auch, sich davon zu trennen und zu sagen: Mit mir gibt es aber einen anderen Weg in die Zukunft. Es wird jedenfalls nicht ausreichen, davor zu warnen, dass Trump ganz Fürchterliches mit den USA vorhat.
Die Auswirkungen der Inflation spüren die Amerikaner in ihrem Geldbeutel. Im Juni waren die Verbraucherpreise drei Prozent höher im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres. Aber generell geht es der US-Wirtschaft gar nicht so schlecht. Woher kommt dieser Eindruck der Amerikaner, das Land laufe in die falsche Richtung?
Da spielt Trump eine große Rolle. Ich erinnere mich an die Wahl 2016. Damals hat Rudy Giuliani für Trump Wahlkampf gemacht. Giuliani hat den Ruf als harter Mann in der Sicherheitspolitik. Er hat gesagt: Wir müssen unsere Städte sicherer machen. In Interviews wurde Giuliani vorgehalten: Gucken Sie sich die Kriminalitätsstatistiken an, die Zahlen haben sich alle verbessert, die Städte sind sicherer. Und Giuliani hat gesagt: Die Zahlen sind völlig egal. Die gefühlte Unsicherheit ist da, und die wird immer wieder angefacht. Trump feuert die gefühlte Unsicherheit immer wieder an - das Gefühl, alles läuft in die falsche Richtung. Dadurch überzeugt er nicht nur seine Anhänger, sondern hält darüber hinaus viele Menschen im Zorn auf die Regierung. Es ist bei allen Themen schwer, gegen dieses Gefühl mit Zahlen anzukommen - und zum Beispiel zu sagen: Seht ihr, an der Grenze zu Mexiko hat sich der Migrations-Druck deutlich gemindert. Oder seht ihr, die Inflation ist stark zurückgegangen.
Harris betont bei ihren Auftritten den Gegensatz zu Trump: Sie ist erfahrene Staatsanwältin, er verurteilter Straftäter. Zieht das bei den Wählern?
Bei einem Drittel der Wähler zieht das nicht, weil sie die Strafverfolgung Trumps für eine Hexenjagd der Regierung Biden und der Demokraten halten. Es kommt darauf an, wie die Wähler in der Mitte entscheiden, die Unabhängigen. Unter ihnen wollte sich ein gewisser Teil überlegen, ob man Trump als verurteilten Straftäter noch wählen kann. Jetzt ist Trump schon zweimal verurteilt, seine anderen Prozesse hängen noch in der Luft. Das Strafmaß in dem Schweigegeld-Prozess soll irgendwann im September verkündet werden. In diesem Zeitraum könnte Harris das aufgreifen und damit kräftig punkten. Ich glaube aber, Harris will mit dieser Taktik nicht nur Wähler gewinnen, sondern auch Trump abschrecken. Denn Trump versucht momentan, Harris als unfähige, linke Frau zu definieren. Sie hält dagegen und sagt: Trump ist ein Straftäter. Das ist der Versuch der beiden, sich gegenseitig in der Öffentlichkeit zu definieren.
Mit Thomas Jäger sprach Lea Verstl
Quelle: ntv.de