Politik

Der Kriegstag im Überblick Ukraine erwartet Großangriff im Donbass - Vollständiges Öl-Embargo vom Tisch

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Russische Soldaten nähern sich der Stadt Sjewjerodonezk durch den Wald.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Im Donbass rechnet die Ukraine mit einem Großangriff auf das Zentrum ihrer Verteidigungskräfte. Die ukrainischen Behörden berichten zudem von einer eigenen Offensive im Süden des Landes. Derweil bemühen sich die EU-Staaten um eine Einigung zum Öl-Embargo gegen Russland. Der 96. Kriegstag im Überblick.

Ukraine: Russland bereitet Großoffensive auf Slowjansk vor

Die russischen Truppen verlegten neue Einheiten nach Slowjansk, um das Gebiet sowohl von Isjum als auch von der kürzlich eroberten Kleinstadt Lyman aus anzugreifen, hieß es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Der Raum Slowjansk-Kramatorsk ist der größte Ballungsraum im Donbass, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der Streitkräfte im Osten des Landes stationiert. Daneben steht aber auch weiterhin der Raum Sjewjerodonezk-Lyssytschansk im Fokus der russischen Angriffsbemühungen im Donbass. In Sjewjerodonezk haben sich russische Einheiten demnach bereits im Nordosten und Südosten der Stadt festgesetzt. Auch hierhin sollen zur Unterstützung weitere Einheiten aus Russland verlegt werden.

Der französische Kriegsreporter Frédéric Leclerc-Imhoff kam bei Sjewjerodonezk ums Leben, als er eine humanitäre Evakuierung begleitete. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Außenministerin Catherine Colonna sprachen der Familie und den Kollegen des Journalisten, der für den Sender BFMTV arbeitete, ihr Mitgefühl aus. Frankreich verlange eine zügige und transparente Untersuchung der Umstände dieses zutiefst schockierenden Dramas, erklärte die Außenministerin. "Der Journalist Frédéric Leclerc-Imhoff war in der Ukraine, um die Realität des Krieges aufzuzeigen", schrieb Macron auf Twitter. "An Bord eines humanitären Busses, zusammen mit Zivilisten, die gezwungen waren, vor den russischen Bomben zu fliehen, wurde er tödlich getroffen."

Kämpfe im Süden des Landes

Das ukrainische Militär setzte nach eigenen Angaben seine Offensive an der Grenze zwischen den Gebieten Mykolajiw und Cherson im Süden der Ukraine fort. "Die Lage im Süden ist dynamisch und gespannt", teilte das Oberkommando des ukrainischen Wehrkreises Süd in der Nacht zum Montag mit. Russland ziehe Reserven zusammen und versuche, die Frontlinien im Gebiet Cherson zu befestigen. Das russische Militär beschoss nach eigenen Angaben eine Werft in Mykolajiw. Mit Luft-, Raketen- und Artillerieangriffen seien zudem in den vergangenen 24 Stunden Dutzende Kommandopunkte und Gefechtsstände im ostukrainischen Donbass-Gebiet, Fernmeldestellen und zahlreiche Truppenansammlungen vernichtet worden. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

London sieht "verheerende Verluste" bei russischen Offizieren

Nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes hat Russland bisher "verheerende Verluste" in seinem Offizierskorps erlitten. Brigade- und Bataillonskommandeure seien an vorderster Front aktiv, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Dies liege zum einen daran, dass sie für den Erfolg ihrer Einheiten persönlich verantwortlich gemacht würden. Zudem fehlten der russischen Armee qualifizierte Unteroffiziere, die bei westlichen Streitkräften diese Rolle erfüllten.

Die Ukraine kann indes auf weitere Unterstützung aus Frankreich setzen. Frankreichs neue Außenministerin Catherine Colonna sicherte dem Land bei einem Besuch in Kiew weitere Hilfe und Waffenlieferungen zu. Colonna traf in der ukrainischen Hauptstadt ihren Amtskollegen Dmytro Kuleba. Dieser dankte Frankreich für die bisherige Hilfe und forderte angesichts der anhaltenden russischen Aggression die Lieferung schwererer Artillerie-Geschütze als bisher. Die von Frankreich bereits gelieferten Haubitzen seien "präzise und effizient". Colonna versicherte, die militärische Unterstützung der Ukraine werde weitergehen, auf Kulebas Bitte werde es "eine konkrete Antwort" geben.

Ungarn blockiert Öl-Embargo

In Brüssel bemühten sich die EU-Staats- und Regierungschefs um eine Einigung auf weitere Sanktionen gegen Russland - wegen der Blockade Ungarns war ein vollständiges europäisches Öl-Embargo allerdings vorerst vom Tisch. Bei dem Gipfeltreffen zeichnete sich am Abend ab, dass sich die 27 EU-Staaten - wenn überhaupt - nur auf ein eingeschränktes Verbot von russischen Öl-Importen einigen. Demnach würden vorerst nur Öl-Lieferungen über den Seeweg unterbunden werden, die Lieferung von Öl aus Russland per Pipeline wäre hingegen weiter möglich. Ungarn könnte sich somit weiterhin über die riesige Druschba-Leitung mit Öl aus Russland versorgen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die EU-Staats- und Regierungschefs dazu auf, schnell weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. "Warum kann Russland mit dem Verkauf von Energie immer noch fast eine Milliarde Euro pro Tag verdienen?", fragte Selenskyj, der per Video beim Gipfel in Brüssel zugeschaltet war, laut Redetranskript. Er dankte den Vertretern der EU-Ländern jedoch dafür, dass sie über Kompromisse sprächen. Selenskyj forderte die EU auch auf, seinem Land noch im Juni den Kandidatenstatus für die EU-Mitgliedschaft zu erteilen. "Europa muss Stärke zeigen. Denn Russland nimmt nur Macht als Argument ernst", so Selenskyj.

Er wirft Russland einen Vernichtungskrieg vor. Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Russland - das seit Wochen ukrainische Agrarexporte übers Meer blockiert - aus dem besetzten Schwarzmeergebiet Cherson Getreide ins eigene Land bringt. Der Vizechef der prorussischen Militärverwaltung von Cherson, Kirill Stremoussow, sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, der Export der letztjährigen Ernte nach Russland habe begonnen. Laut Stremoussow geht es darum, Platz in den Speichern für die neue Ernte zu schaffen. Er machte keine Angaben, zu welchen Bedingungen die Bauern ihre Ernte nach Russland abgegeben haben. Fast 500.000 Tonnen Getreide hätten russische Truppen illegal aus Charkiw, Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk exportiert, wie der stellvertretende ukrainische Agrarminister, Taras Vysotskyi, sagte.

Gazprom stoppt Gasexporte in Niederlande

Das russische Staatsunternehmen Gazprom will ab Dienstag kein Gas mehr an die Niederlande liefern, weil der Gasimporteur seine Rechnung nicht in Rubel bezahlen will. Gazprom werde vom 31. Mai bis zum 30. September bestellte zwei Milliarden Kubikmeter Gas nicht liefern, teilte das niederländische Gasunternehmen Gasterra in Groningen mit. Große Folgen für Unternehmen und Haushalte werden aber nicht erwartet. Als Antwort auf die Sanktionen wegen der Invasion in die Ukraine hatte Moskau bestimmt, dass europäische Länder Energie in der russischen Währung bezahlen müssen. Andernfalls wurde mit dem Lieferstopp gedroht. Die Niederlande sind nicht das erste Land, bei dem diese Drohung wahr gemacht wird. Zuvor waren die Energie-Lieferungen bereits für Polen, Bulgarien und Finnland gestoppt worden.

Deutschland verspricht raschere Aufnahme gefährdeter Russen

In Deutschland einigte sich die Bundesregierung unterdessen auf Regelungen für die unkomplizierte Aufnahme von Russinnen und Russen, die in ihrem Heimatland als besonders gefährdet gelten. "Die immer brutalere Aggression Russlands gegen die Ukraine wird von immer stärkerer Repression nach innen begleitet, insbesondere gegen die Presse, gegen Menschenrechtler und Oppositionelle", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Für die schnelle und unbürokratische Aufnahme gebe es nun ein Verfahren, das die Einreise erleichtern und Verfahren beschleunigen werde.

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Quelle: ntv.de, chf/dpa

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