Nahe deutscher Grenze Umstrittener Atomreaktor geht endgültig vom Netz
30.01.2023, 17:47 Uhr
Tihange 2 geht vom Netz, Block Tihange 1 soll 2025 folgen. Tihange 3 allerdings bleibt noch viele Jahre in Betrieb.
(Foto: picture alliance / dpa)
Von seinem Ursprungsziel Atomausstieg 2025 hat sich Belgien längst verabschiedet, das Land lässt zwei Meiler noch viele Jahre in Betrieb. Für einen weiteren ist das Aus jetzt allerdings endgültig: Tihange 2. Der Reaktor hat in der Vergangenheit zweifelhaften Ruhm erlangt.
Am Dienstag um 23.59 Uhr ist es so weit: Dann wird Belgiens umstrittenster Atomreaktor abgeschaltet, nach genau 40 Jahren Laufzeit. Deutsche Politiker und Atomkraftgegner sprechen von einem großen Erfolg. Sie kämpften jahrelang für das Aus des Meilers Tihange 2 rund 50 Kilometer von der deutschen Grenze. Walter Schumacher vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie berichtet, in seinem Umfeld hätten einige bis zuletzt nicht an die Abschaltung geglaubt. Der pensionierte Mathematiker engagiert sich seit Jahren für das Ende des "Riss-Reaktors" bei Lüttich, wie er bei Atomkraftgegnern heißt.
Im Reaktordruckbehälter hatten Experten bereits im Jahr 2012 tausende haarfeine Risse gefunden. Schumacher und die anderen Aachener Aktivisten fürchteten nach seinen Worten, der Meiler Tihange 2 könne "bersten" und dann eine radioaktive Wolke nach Osten ziehen, "die Aachen vernichtet". Ungemach drohte auch von einem belgischen Reaktor gleicher Bauart bei Antwerpen. Dieser ging bereits Ende September endgültig vom Netz.
Umweltminister: NRW wird durch Abschaltung sicherer
Mit der Abschaltung der beiden Pannenreaktoren geht nicht nur eine Ära der Angst, sondern auch mehr als ein Jahrzehnt juristischer Streitigkeiten zu Ende. Denn Belgien ließ die "Riss-Reaktoren" zunächst weiterlaufen, ohne die Nachbarländer anzuhören und ohne die Umweltverträglichkeit zu prüfen - widerrechtlich, wie unter anderem der Europäische Gerichtshof urteilte. In Deutschland stieß dies auf Kritik bis hin zur Bundesregierung, auch in Luxemburg und den Niederlanden protestierten Atomkraftgegner.
Nicht nur Nordrhein-Westfalen wird durch das Aus für die Pannenmeiler sicherer, wie Landes-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) betont. Einen Wermutstropfen sieht der Grünen-Politiker allerdings. Denn eigentlich wollte Belgien 2025 ganz aus der Kernkraft aussteigen und damit dem deutschen Beispiel folgen. Das sah ein bereits 2003 beschlossenes Ausstiegs-Gesetz vor. Doch der Ukraine-Krieg und die Energiekrise haben auch im Nachbarland zu einer Zeitenwende geführt. Horrende Gas- und Stromrechnungen sowie die Furcht vor flächendeckenden Stromausfällen veranlassten die Regierung von Ministerpräsident Alexander De Croo, die Notbremse zu ziehen.
Belgien lässt zwei Reaktoren bis 2035 weiterlaufen
In Belgien regiert eine "Ampel plus" aus Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten sowie flämischen Christdemokraten, dort wurde die Atomdebatte zeitweise noch erregter geführt als in Deutschland. Zu Jahresbeginn folgte dann die Grundsatzeinigung: Die Brüsseler Regierung verabredete mit dem Atompark-Betreiber Engie, die beiden jüngsten Reaktoren - Tihange 3 und Doel 4 - zehn Jahre länger laufen zu lassen, also bis 2035. Bei ihrer Abschaltung dürften sie dann 50 Jahre auf dem Buckel haben.
Auch Tihange 3 ist nicht unumstritten. Der Meiler wurde zum Beispiel im Oktober 2022 unerwartet vom Stromnetz genommen. Grund war dem Betreiber zufolge ein Druckabfall in einem der drei Dampfgeneratoren. Tihange 1 soll am 1. Oktober 2025 abgeschaltet werden.
Zunächst aber läuft der Countdown für den Pannenmeiler Tihange 2 unweit der deutschen Grenze. Der Block am Fluss Maas wird Dienstag ab 18.30 Uhr schrittweise heruntergefahren und soll dann pünktlich "eine Minute vor Mitternacht vom Netz gehen", wie ein Sprecher des Betreibers Engie sagt. In Aachen sorgt das Reaktor-Aus zwei Wochen vor Karneval für gute Laune. Karnevalesk klingt auch das Motto der Feiern, die die Atomkraftgegner in der Domstadt angekündigt haben. Es lautet: "Tihange zwei: aus und vorbei."
Quelle: ntv.de, rog/AFP