Mehr extremistische Straftaten Verfassungsschutz stuft "Ende Gelände" als Verdachtsfall ein
18.06.2024, 11:17 Uhr Artikel anhören
Sowohl linksextreme als auch rechtsextreme Gruppen gewinnen an Anhängern. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht hervor. Aber auch radikale Klimaschützer werden erfasst. Die Gruppe "Ende Gelände" ist nun ein Verdachtsfall.
Der Verfassungsschutz hat die radikale Klimaschutz-Bewegung "Ende Gelände" als linksextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit kann der Inlandsgeheimdienst zur Beurteilung der Aktivitäten nun auch nachrichtendienstliche Mittel nutzen, wie etwa Observation oder Informanten. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023, der heute veröffentlicht wurde, ist von einer "Verschärfung von Aktionsformen bis hin zur Sabotage" die Rede.
Grundsatzpapiere von "Ende Gelände" lassen nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zudem "deutlich eine Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen der Gruppierung erkennen". Im April hatten rund 100 Klimaaktivisten der Gruppe in Gelsenkirchen das Uniper-Steinkohlekraftwerk Scholven blockiert.
Auch die gegen Israel gerichtete Boykottbewegung BDS wurde als extremistischer Verdachtsfall eingestuft. Die Bewegung weise "Bezüge zum säkularen palästinensischen Extremismus" auf, heißt es. Demnach "liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" dafür vor, dass BDS unter anderem "gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstößt". Die international aktive Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS - deutsch: Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) war 2005 ins Leben gerufen worden. Sie fordert aus Protest gegen die Behandlung der Palästinenser eine wirtschaftliche und politische Isolation Israels. Propagiert werden ein totaler wirtschaftlicher Boykott, der Abzug von Investitionskapital sowie Sanktionen gegen den Staat Israel.
Insgesamt hat der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr einen Zuwachs sowohl bei Linksextremismus als auch im Rechtsextremismus festgestellt. Dem Bericht zufolge stieg die Zahl derjenigen, die dem linksextremistischen Spektrum zugerechnet werden, um rund 500 Menschen auf rund 37.000 Menschen an. Rund 11.200 Linksextremisten galten im vergangenen Jahr als gewaltbereit. Das waren 3,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Ähnlich verlief die Entwicklung im rechtsextremistischen Spektrum. Der Verfassungsschutz schätzte hier 14.500 von insgesamt rund 40.600 Rechtsextremisten als gewaltbereit ein - das sind etwa 35 Prozent. Den Parteien Heimat (vormals NPD) und Die Rechte rechnet der Nachrichtendienst inzwischen weniger Mitglieder zu als noch vor Jahresfrist.
Äußerungen von Parteifunktionären ausgewertet
Anders sieht es bei der AfD aus, die der Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Aus den Reihen der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation, Junge Alternative (JA), rechnet das Bundesamt inzwischen 11.300 Mitglieder dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zu, wobei Doppelmitgliedschaften in Partei und JA abgezogen sind. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 waren rund 10.200 AfD-Mitglieder und JA-Angehörige aufgeführt worden.
Um das extremistische Potenzial innerhalb der AfD einzuschätzen, hatte sich der Verfassungsschutz damals auf die Wahl- und Abstimmungsergebnisse beim Bundesparteitag 2022 in Riesa sowie auf Äußerungen von Parteifunktionären berufen. Im aktuellen Bericht heißt es: "Es besteht weiterhin eine - wenn auch signifikant abnehmende - Heterogenität innerhalb der Partei, sodass nicht alle Parteimitglieder als Anhänger extremistischer Strömungen betrachtet werden können." Die AfD hat seit 2022 nach eigenen Angaben insgesamt Mitglieder dazugewonnen.
Neuer Höchststand von extremistischen Straftaten
Angesichts von inneren und äußeren Bedrohungen sah Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Demokratie in Deutschland "unter erheblichem Druck". "Wir müssen unsere Demokratie aktiv verteidigen", sagte die SPD-Politikerin bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts. "Wir müssen uns inneren Bedrohungen durch Extremismus ebenso entschieden entgegenstellen wie äußeren Bedrohungen, vor allem durch das russische Regime".
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sprach von einem "sehr hohen Niveau von Bedrohungen". Das Risiko dschihadistischer Anschläge sei seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel weiter gestiegen. Deutschland stehe im Fokus islamistischer Terrorgruppen, aber auch radikalisierte Einzeltäter stellten eine große Gefahr dar. Der Nahostkonflikt habe zudem "wie ein Brandbeschleuniger für den Antisemitismus in Deutschland" gewirkt. Laut Verfassungsschutzbericht wurde 2023 ein neuer Höchststand von Straftaten mit extremistischem Hintergrund registriert. Sie stiegen um knapp 4000 auf 39.433. Die Zahl politisch motivierter Straftaten insgesamt erhöhte sich auf 60.028 von 58.916 im Jahr 2022.
Die Bedrohung durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe habe gleichzeitig "eine neue Dimension erreicht", sagte Faeser. Hauptakteure seien dabei Russland, China und Iran. Laut Bericht haben Propaganda und Desinformation vor allem durch Russland noch einmal deutlich an Intensität gewonnen. Auch Chinas Vorgehen fordere die Cyber- und Spionageabwehr in besonderem Maße.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP