Politik

Vom Westen umzingelt? Warum Chinas Präsident Xi die USA verbal angreift

Eine "Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas" wirft Präsident Xi den USA und ihren Verbündeten vor. Das führe zu Unwägbarkeiten. Der verbale Angriff zeigt, wie nervös Xi ist. Der von ihm vorangetriebene Systemkonflikt wankt wegen hausgemachter Probleme.

Der Nationale Volkskongress Chinas tagt nur einmal im Jahr in voller Größe. Etwa 3000 Abgeordnete gehören der Versammlung an, die im Rest des Jahres von einem ständigen Ausschuss mit etwa 150 Mitgliedern vertreten wird. Debatten sind auf dem Treffen der weltgrößten Legislative nicht zu erwarten. Hier werden Entscheidungen der Staats- und Parteiführung nur abgesegnet.

Dennoch wird die Jahrestagung auch im Westen mit Spannung verfolgt, denn sie gibt einen seltenen Einblick in die Strategie und Verfasstheit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Worüber sonst nur in abgeschirmten Machtzirkeln entschieden wird, gelangt hier zumindest in groben Zügen an die Öffentlichkeit. Dies gilt auch für Äußerungen der Staats- und Parteiführung - die in diesem Jahr für große Aufmerksamkeit sorgen. Schon zum Auftakt hatte der scheidende Premierminister Li Keqiang von zunehmenden "Unsicherheiten im externen Umfeld" gesprochen und eine massive Steigerung des Wehretats um 7,2 Prozent angekündigt - was er mit Chinas "Verantwortung als große Macht" begründete.

Noch mehr aufhorchen lässt nun jedoch Chinas Präsident Xi Jinping. Für chinesische Politiker ungewöhnlich drastisch meldet er sich zu Wort und macht vor allem den USA schwere Vorwürfe. Das Umfeld für Chinas Entwicklung habe sich "dramatisch verändert", wird er von Staatsmedien zitiert, die Unwägbarkeiten hätten stark zugenommen. Den "westlichen Ländern, angeführt von den USA" wirft er vor, eine "umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas" zu befolgen. Das habe "nie da gewesene, schwere Herausforderungen" für das Land zur Folge.

So direkt hat Chinas Präsident den Systemkonflikt mit den USA selten angesprochen, auch wenn er seit Jahren auf Konfrontationskurs geht. Das hat mehrere Gründe:

Erstens geht für den Präsidenten auf diesem Volkskongress eine Entwicklung zu Ende, die er nahezu seit seinem Amtsantritt 2012 vorangetrieben hat: die Erlangung uneingeschränkter Macht. Am Freitag will er sich zum dritten Mal in das höchste Staatsamt wählen lassen. Kein Machthaber seit Staatsgründer Mao Zedong hat eine so große Machtfülle erlangt, inklusive dem damit einhergehenden Personenkult. Schon seit Jahren hat Xi unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung Konkurrenten ausgeschaltet und Gefolgsleute in hohe Positionen gehievt. Auf diesem Volkskongress geht mit dem wirtschaftsliberalen Premier Li Keqiang ein weiterer innerparteilicher Widersacher in den Ruhestand. Er wird durch einen Xi-Getreuen ersetzt, Li Qiang. Das Konzept der kollektiven Führung ist am Ende, Xi herrscht unumstritten - was aber auch heißt, dass er bei Fehlentwicklungen direkt verantwortlich gemacht werden kann.

Zweitens läuft es derzeit für Chinas Wirtschaft alles andere als ideal. Das angestrebte Wachstum für 2022 wurde nicht erreicht, die erzielten 3 Prozent waren die zweitschlechteste Wachstumsrate seit 1976. Auch der Außenhandel mit westlichen Staaten ging zurück. Mitschuld daran trägt neben der schwächeren Nachfrage die von Xi durchgesetzte strenge Null-Covid-Politik, die erst nach Demonstrationen in zahlreichen chinesischen Metropolen abrupt endete - und eine Infektionswelle auslöste. Aber auch unabhängig davon schwächelt das Wachstum, wegen "nachlassender Wirtschaftsdynamik und geringen Fortschritten bei Strukturreformen", wie der Internationale Währungsfonds urteilte. Ein großes Risiko ist demnach der Immobiliensektor - das Drama um Evergrande ist noch gut in Erinnerung. Die Blase ist eine Bedrohung für die gesamte Weltwirtschaft. Nicht nur die USA - zum Beispiel in der Chipindustrie -, sondern auch Europa und Deutschland haben die Gefahr erkannt und streben zwar keine Abkehr, sehr wohl aber eine Lösung von chinesischen Abhängigkeiten an.

Das hängt aber - drittens - auch mit Chinas zunehmend aggressivem Auftreten zusammen. Der Druck auf Taiwan steigt, Peking sieht die Republik als Teil der Volksrepublik an - gerade erst hat Premier Li erneut zu einer "friedlichen Wiedervereinigung" aufgerufen. Hinzu kommen territoriale Ansprüche im Süd- und Ostchinesischen Meer. Mit Xis Gefolgsleuten stiegen Hardliner - sogenannte Wolfskrieger - in der Hierarchie auf, die seinen außenpolitischen Kurs unterstützen. Dieser trifft aber auf den zunehmenden Widerstand der USA, die Taiwan im Falle einer Aggression Unterstützung zugesagt haben. Längst baut Washington in Ost- und Südostasien seine militärische Präsenz aus - sehr zum Missfallen Pekings. Dass der Westen nach dem Überfall auf die Ukraine gegenüber Russland so geschlossen wie seit Jahren nicht auftritt, ist ein deutliches Zeichen, dass ein Angriff auf Taiwan keinesfalls ein Selbstläufer wäre.

Xi kann sich keine Schwäche erlauben

Mit seinen deutlichen Worten in Richtung der westlichen Staaten dürfte Xi also zweierlei signalisieren: Einerseits versucht er, die derzeitige wirtschaftliche Schwäche seines Landes auf äußere Umstände, auf Druck der USA und ihrer Verbündeten zurückzuführen. Er braucht die USA und den Westen als Feindbild, um innere Konflikte zu überdecken. Andererseits macht er klar, dass er im Ringen mit den USA zu keinen Kompromissen bereit ist - gerade in Zeiten, in denen eine Affäre um vermeintliche chinesische Spionage-Ballons und - bisher unbelegte - Vorwürfe der USA zum Ursprung des Corona-Virus für heftige diplomatische Verstimmungen sorgen.

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Aufhorchen lassen seine Worte aber auch, weil er von "Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas" spricht. Die Wortwahl erinnert an Russlands Machthaber Wladimir Putin, der seinen Angriffskrieg auf die Ukraine auch mit einer angeblichen Bedrohung durch die NATO begründete. Diese versuche, Russland einzukreisen, lautete einer der Vorwürfe - angesichts der vergleichsweise kleinen gemeinsamen Grenze eine absurde Behauptung. Für Xi aber ist Putin ein wichtiger Verbündeter. Zwar hat Peking lange vermieden, sich eindeutig auf die Seite Russlands zu stellen und etwa klar vor einem Atomwaffeneinsatz gewarnt - doch ein russlandfreundlicher Friedensplan, der selbst in Moskau wenig Anklang fand, und Gerüchte über Waffenlieferungen an Moskau sprechen eine andere Sprache.

Xi hat seine Präsidentschaft auf den Systemkonflikt mit den USA ausgerichtet. Er will China zur führenden Weltmacht machen. Doch angesichts großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten im eigenen Land und des gegenüber Russland geeint stehenden Westens wankt dieser Plan gehörig. Mit seinen Vorwürfen gegen die USA versucht Xi, die Reihen hinter sich zu schließen. Zeichen von Schwäche kann er sich derzeit nicht erlauben, gerade nicht auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Quelle: ntv.de

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