Politik

Europa könnte Panzer schicken Warum der "Leopard" die Lösung wäre

Wurde von Deutschland aus in 12 europäische Länder exportiert: der Kampfpanzer Leopard

Wurde von Deutschland aus in 12 europäische Länder exportiert: der Kampfpanzer Leopard

(Foto: picture alliance / ANP)

"Wovor fürchtet sich Berlin?", fragt die ukrainische Regierung. Der Kampfpanzer "Leopard" könnte in einer gemeinsamen Aktion aus vielen europäischen Ländern geliefert werden. Berlin müsste sie anschieben, fordert Militärexperte Gressel.

"Schwimmen, Reiten, Rennen", nennt Garry Kasparov, früherer Schachweltmeister aus Russland, die Disziplinen, in denen russische Truppen neuerdings brillieren. Beißender Spott im Netz für die Niederlage des Angreifers im Nordosten der Ukraine. 50 Kilometer trennten die ukrainischen Truppen zuletzt noch von der russischen Grenze, so meldete es Generalstabschef Walerij Saluschnyi.

Binnen nicht einmal zwei Wochen konnte die Ukraine nach Darstellung von Präsident Wolodymyr Selenskyj 6000 Quadratkilometer Land von den russischen Besetzern zurückerobern. Selbst wenn die Realität unter dieser Zahl bleiben würde, widerspricht der Erfolg der Ukrainer dem Narrativ, das seit Februar vom Kreml, aber auch von einigen deutschen Sicherheitsexperten vertreten wird: dass Russland qua Übermacht an Waffen, Truppen und Durchhaltevermögen seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland nicht verlieren könne.

"Keine Chance ohne westliche Waffen"

Das Gros der Experten, in Deutschland und international, hielt vom ersten Kriegstag an dagegen. Die Chancen der Ukraine, sich gegen den russischen Angriff nicht nur zur Wehr zu setzen, sondern diesen Krieg am Ende auch für sich zu entscheiden, stehen und fallen aus ihrer Sicht mit der Bereitschaft des Westens, Kiews Truppen massiv zu unterstützen. Ohne moderne, westliche Waffen hätte die Ukraine keine Überlebenschance, hieß es schon im Frühjahr.

Die spektakulären Erfolge der letzten Tage, nach vielen Wochen, in denen sich Russland zwar langsamer als gewünscht, aber dennoch stetig vorzuarbeiten schien, sind nicht nur das schlimmste russische Debakel in diesem Krieg, seitdem Moskaus Truppen den Versuch, die Hauptstadt Kiew einzunehmen, aufgeben mussten. Sie geben darüber hinaus der Debatte neues Futter, ob der Westen die mit dem Mut der Verzweiflung kämpfende Ukraine auch mit westlichen Kampfpanzern unterstützen sollte.

Bundeskanzler Olaf Scholz vermied es bislang, eine eigene Position in dieser Frage einzunehmen. Auf einer Pressekonferenz zum Besuch des israelischen Ministerpräsidenten wiederholte er am Montag die Aussage, die schon seit Wochen aus dem Kanzleramt kommt: Es werde keine deutschen Alleingänge geben.

Dasselbe erklärte auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf einer Sicherheitskonferenz und verwies darauf, dass noch kein Land Schützen- oder Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert habe. Überdies stößt die Bundeswehr laut der Ministerin bei der Abgabe eigenen Materials "an die Grenzen". Die Verteidigungsfähigkeit dürfe nicht gefährdet werden, Deutschland müsse weiterhin in der Lage sein, seine Aufgaben und Zusagen auch im NATO-Verbund einzuhalten.

Am Kurs festhalten, "um unser selbst willen"

Doch dieses Argument wurde von der NATO selbst bereits vergangene Woche relativiert. Generalsekretär Jens Stoltenberg machte am Freitag öffentlich deutlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlicher hält als unter Plan gefüllte Waffenlager von NATO-Staaten. Der Westen müsse am bisherigen Kurs festhalten - "um der Ukraine und um unser selbst willen".

In der Ampelkoalition mehren sich seit dem Wochenende wieder die Stimmen, die das ukrainische Heer stärker aus Deutschland unterstützen wollen. Vom Liberalen Christian Lindner bis zur Grünen Ricarda Lang pochen führende Köpfe der Regierung darauf zu prüfen, was noch gehen könnte, über die bereits zugesagten Lieferungen hinaus.

Kiew hat die Bundesregierung schon vor längerer Zeit und mehrfach um eine Hilfslieferung des Schützenpanzers "Marder" gebeten. Inzwischen ist auch der Kampfpanzer "Leopard" im Gespräch. Flankiert werden die Forderungen aus den Reihen von FDP und Grünen von den Aussagen namhafter Verteidigungsexperten, die weitere Lieferungen zum jetzigen Zeitpunkt für dringlich erachten und die Stichhaltigkeit des Kanzler-Arguments in Frage stellen.

Demnach wäre ein deutscher Alleingang bei der Lieferung von Kampfpanzern weder nötig noch gegeben, wenn die Bundesregierung etwa bereit wäre, Spanien grünes Licht für eine Lieferung des "Leopard" 2 zu geben. Madrid hatte Kiew den Typen aus deutscher Produktion angeboten, kann diese jedoch nicht liefern, solange Deutschland dem nicht zustimmt. Aus Berlin kam jedoch nichts, schließlich hieß es, die Panzer seien zu reparaturbedürftig, daher sei eine Lieferung nicht möglich.

Bei Rheinmetall stehen Panzer bereit

Nach Aussage des Militärexperten Gustav Gressel ist das ein vorgeschobener Grund, um die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu verschleiern. "Von den 100 Kampfpanzern sind etwa 40 in einem akzeptablen Zustand. Den Rest müsste man instandsetzen", sagt Gressel ntv.de. Lambrechts Verweis auf die Kampfbereitschaft der Bundeswehr greift in diesem Fall ebenfalls nicht: Die Lieferung würde nicht die deutschen, sondern die spanischen Truppen schwächen. Und auch diese Schwächung wäre marginal, da der "Leopard" bereits ausgemustert ist.

Ebenso wenig belastend für die Bundeswehr wäre eine deutsche Lieferung von Schützenpanzern des Typs "Marder". Zwar ist der als vielseitig geltende Schützenpanzer im deutschen Heer noch im Einsatz - seit inzwischen 51 Jahren -, doch hat der Rüstungskonzern Rheinmetall schon vor mehreren Monaten damit begonnen, ausgemusterte Fahrzeuge instandzusetzen.

Die Ukraine bittet immer wieder um den Schützenpanzer, da er den bislang eingesetzten Typen sowjetischer Bauart bei der Sicherheit weit überlegen ist. Während ein altes sowjetisches Modell nach einem Treffer in der Regel ausbrennt und die Panzergrenadiere in Inneren kaum eine Chance haben zu überleben, sind die deutschen Panzer robuster. Im Juni bot Rheinmetall eine Auslieferung erster Fahrzeuge an, wurde jedoch wie die Spanier ausgebremst, da aus dem Kanzleramt kein Go kam.

Olaf Scholz verweist auch in dieser Frage auf eine Abmachung zwischen den Unterstützerländern, die bislang alle keine im Westen entwickelten Schützen- oder Kampfpanzer geliefert haben. Nationale Alleingänge seien zu vermeiden. Allerdings sind die Übergänge fließend und ein "Marder" Schützenpanzer bleibt in seiner Kampf- und Zerstörungskraft hinter dem "Gepard" und der Panzerhaubitze 2000 zurück - zwei Kriegsgeräte aus deutscher Produktion, mit denen die ukrainischen Truppen bereits kämpfen. Gerade die 20 Flakpanzer "Gepard" haben nach Darstellung der ukrainischen Heeresleitung zu den jüngsten Erfolgen maßgeblich beigetragen.

"Alle in der Regierung wissen, dass mehr möglich wäre"

Doch die beachtlichen Geländegewinne der Verteidiger sind kein Garant dafür, dass es in den kommenden Monaten so positiv für die Ukraine weiterläuft. Die russischen Angriffe haben viele ukrainische Produktionsstätten für Munition zerstört, da kämpft die Truppe schon seit dem Sommer mit Engpässen. Gerade in der jetzigen Kriegsphase sieht Sicherheitsexperte Joachim Weber von der Uni Bonn im Interview mit ntv.de westliche Kampfpanzer als essenziell an. Die ukrainische Gegenoffensive wäre mit modernem Gerät erfolgversprechender. Dass da noch immer nichts geliefert wurde, sieht er als "westliches Versagen".

"Alle in der Regierung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre", kritisierte am Montag auch Grünen-Chef Omid Nouripour die Haltung von Scholz. Und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba lässt seiner Enttäuschung über Deutschland auf Twitter freien Lauf. Er sieht "kein einziges vernünftiges Argument" gegen die Lieferung von Panzern, "nur abstrakte Befürchtungen und Entschuldigungen. Wovor fürchtet sich Berlin, vor dem Kiew sich nicht fürchtet?"

Nach Auffassung von Militärexperte Gressel fürchtet sich Olaf Scholz vor allem vor dem Widerstand in seiner eigenen Partei. "Es sind nicht NATO-Absprachen, die den Kanzler hindern, sondern innerparteiliche Befindlichkeiten, wie sie von Leuten wie Kevin Kühnert oder Ralf Stegner geäußert werden."

Gressel hat sehr konkrete Vorstellungen, wie effektive Hilfe für die Ukraine aussehen könnte: Neben dem "Marder" könnte vor allem der Kampfpanzer "Leopard" 2 für die ukrainischen Truppen geliefert werden, und zwar in markanter Stückzahl, denn er findet sich nicht nur in der deutschen Armee, sondern in insgesamt 13 europäischen Ländern, darunter Norwegen, Griechenland, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, Dänemark und Finnland.

Insgesamt schätzt Gressel die in Europa vorhandene Zahl an "Leopard" 2 Panzern auf über 2000 - in unterschiedlichen Zuständen - und wünscht sich von Scholz den Anstoß für eine europäische Initiative. "Wenn jedes der 13 Länder nur eine geringe Zahl an Panzern abgibt, würde man damit schon eine kritische Masse zusammen bekommen", argumentiert er.

Die meisten sind hilfsbereiter als Deutschland

Bei einem Blick auf die Liste der 13 muss man zwar Länder wie das Putin-freundliche Ungarn, die neutrale Schweiz oder die unberechenbare Türkei aus der Gruppe der potenziellen Helfer streichen. Die große Mehrheit der europäischen "Leopard"-Nutzer jedoch gehört auch jetzt bereits zu den aktiven Unterstützern der Ukraine. Gemessen an ihrer Wirtschaftskraft sind die meisten hilfsbereiter als Deutschland.

Ein Berliner Alleingang könnte so vermieden werden. Gleichzeitig wäre es sinnvoll, wenn Scholz die Initiative anschiebt, da Deutschland als Produzent des Panzers jedem der beteiligten Länder seine Gabe genehmigen müsste. Käme es zu einer solch konzertierten Aktion unter europäischen Staaten, könnte das auch den verbündeten USA als bislang stärkstem Unterstützer der ukrainischen Armee signalisieren, dass Europa sich in ebensolcher Verantwortung sieht, die europäische Friedensordnung gegen den russischen Aggressor zu verteidigen.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen