
Giorgia Meloni versucht sich in einem strategischen Balanceakt zwischen einem radikalen und einem konservativen Profil.
(Foto: IMAGO/ANP)
Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und Frankreichs Marine Le Pen wetteifern um dasselbe Zepter. Und dabei kennt die Freundschaft kein Pardon. Überhaupt muss die Italienerin gerade ein paar Enttäuschungen schlucken.
Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni tut sich in letzter Zeit schwer mit ihren Freunden. Da ist etwa der ungarische Premier Viktor Orbán. In Budapest sitzt seit 13 Monaten Ilaria Salis in Untersuchungshaft, eine 39-jährige italienische Lehrerin. Ihr wird vorgeworfen, im vergangenen Jahr bei der Neonazidemo "Tag der Ehre" zwei Teilnehmer krankenhausreif geprügelt zu haben. Da es aber keine echten Beweise gibt, haben die Bilder von Salis, die nicht nur mit Hand- und Fußfesseln, sondern auch an einer Kette im Gerichtssaal vorgeführt wurde, die italienische Öffentlichkeit zutiefst verstört.
Sogar Politiker der italienischen Regierung kritisierten diese Vorgehensweise. Meloni hat sich zwar dazu in Schweigen gehüllt, hätte sich aber zweifelsohne gefreut, wenn ihr Freund Orbán hinter den Kulissen dafür gesorgt hätte, dass Salis nicht mehr so zu den Verhandlungen gebracht worden wäre. Dem war aber nicht so, ganz im Gegenteil: Der ungarische Premier hat wissen lassen, dass jeglicher Versuch Italiens, in dieser Sache Druck auf die ungarische Regierung auszuüben, zwecklos sei, "denn das Gericht ist bei uns unabhängig".
Mit von der Leyen besser nicht mehr so dicke Freundin
Auch die Freundschaft mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, auf die Meloni seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 gesetzt hatte, um sich in der EU Gehör zu verschaffen, scheint sich anders zu entwickeln als bislang vermutet. Bis vor ein paar Wochen galt die Wiederwahl von Ursula von der Leyen an der Spitze der EU mehr oder weniger als ausgemacht. Jetzt stehen ihre Chancen nicht mehr so gut. Daran schuld ist maßgeblich, aber nicht nur, der sogenannte Pfizer-Deal. Es geht dabei um die Lieferung des Impfstoffs während der Pandemie. Die europäische Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht von geheimen Absprachen zwischen von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla nach.
Dass Meloni von der Leyens Wiederwahl unterstützen würde, war so gut wie sicher, auch wenn sie es nie offiziell bestätigt hatte. Man könnte sagen, sie tat es indirekt. Auf die Frage, die ihr der nationalpopulistische Lega-Chef Matteo Salvini immer wieder stellte - ob sie wirklich bereit wäre, zusammen mit den Sozialdemokraten die Wiederwahl von der Leyens zu unterstützen -, antwortete Meloni, die Frage, wer die nächste EU-Kommission führen werde, stelle sich erst nach der Wahl im Juni. Doch lieber wäre es ihr jetzt wahrscheinlich, nicht mehr so dicke Freundin mit von der Leyen gewesen zu sein.
Und dann ist da noch Marine Le Pen, ehemalige Vorsitzende der rechtsextremen Partei Front National, die heute unter dem Namen Rassemblement National firmiert. Auch sie zählte zu Melonis Freundeskreis. Zumindest bis vor Kurzem. Noch im Januar hatte die Premierministerin lobende Worte für Le Pen. Umso überraschender kam deswegen der Angriff der Französin vor ein paar Wochen. Die Freundschaft hört nicht nur beim Geld, sondern auch bei den Machtansprüchen auf. Und die zwei Politikerinnen verfolgen dasselbe Ziel. Wollte man es aus der Märchenwelt schöpfen, könnte man das Wetteifern dieser zwei Politikerinnen mit dieser wohlbekannten Frage darstellen: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist Europas rechte Königin?"
Auf Salvinis Fest attackiert Le Pen Meloni frontal
Momentan geht das Zepter wohl an Meloni. Sie ist Premierministerin eines der wichtigsten EU-Länder und in Europa Vorsitzende der rechten Partei "Europäische Konservative und Reformer" (ECR), die bei den anstehenden EU-Wahlen den dritten Platz im nächsten EU-Parlament besetzen könnten.
Le Pen bereitet sich stattdessen wieder einmal auf Präsidentschaftswahlen in Frankreich vor. Die nächsten finden in zwei Jahren statt. Im EU-Parlament ist der Rassemblement National Mitglied der noch rechteren Fraktion "Identität und Demokratie" (ID), der auch die AfD und die italienische Lega von Matteo Salvini angehören, in Italien Melonis Koalitionspartner. Doch die Anwesenheit der AfD in ihrer Fraktion bereitet Le Pen in letzter Zeit Unbehagen. Nachdem im Januar das Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam bekannt wurde, bei dem auch AfD Politiker anwesend waren, distanzierte sie sich öffentlich von der deutschen Partei. Wie Meloni versucht sich auch Le Pen in einem strategischen Balanceakt zwischen einem radikalen und einem konservativen Profil.
Und damit zu Le Pens Angriff auf Meloni. Ende März hatte Salvini die Vertreter der europäischen rechtsradikalen Parteien zu einem zweiten Treffen nach Rom eingeladen - das erste hatte im Dezember auf Einladung Melonis in Florenz stattgefunden. Le Pen ließ sich auch diesmal nicht blicken, schickte aber wieder eine Videobotschaft. In dieser wandte sich die Politikerin direkt an die Premierministerin und fragte sie geradewegs, ob sie von der Leyen unterstützen werde oder nicht. "Heute ist Matteo Salvini auf der rechten Seite der einzige Kandidat, der sich meiner Meinung nach gegen von der Leyen und seine Wiederwahl stellen wird."
Ein paar Tage später fügte Jordan Bardella, der Vorsitzende von Rassemblement National, hinzu, dass der ECR-Fraktion eine Spaltung bevorstehe, weil viele Mitglieder nicht gewillt seien, von der Leyens Wiederwahl zu unterstützen und deshalb lieber der ID-Fraktion beitreten würden. Wäre dem so, könnte die ID der ECR nach der Europawahl den dritten Platz streitig machen.
Ob Bardellas Ankündigung wahr wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Meloni könnte sich in diesen Tagen vielleicht an einen Ratschlag ihres Vorgängers Mario Draghi erinnert haben. Dieser sagte einmal bei einer Pressekonferenz, es sei sehr wichtig, sich in Europa die richtigen Freunde zu machen.
Quelle: ntv.de