Europas strengste Asylpolitik Wie Dänemark seine Flüchtlingszahlen gesenkt hat


Dänemarks Ministerpräsidentin verordente erst ihrer sozialdemokratischen Partei und dann dem ganzen Land den wohl restriktivsten Asylkurs Europas.
(Foto: IMAGO/TT)
Flüchtlinge und Migranten bestimmen in Deutschland mehr und mehr die Debatte. Dabei richtet sich der Blick nach Dänemark. Im Vergleich zu den hiesigen Regeln geht das Land sehr streng mit Einwanderern um. Pläne, Asylverfahren in Ruanda durchzuführen, sind mittlerweile aber vom Tisch.
Während in Deutschland über Möglichkeiten nachgedacht wird, wie man die Zuwanderung begrenzen kann, hat Dänemark längst gehandelt. Ausgerechnet eine sozialdemokratische Regierung verfolgt die wohl strengste Einwanderungspolitik Europas: Als die Sozialdemokratin Mette Frederiksen 2015 Parteichefin wurde, verordnete sie ihrer Partei einen neuen Kurs. Statt Einwanderer und Flüchtlinge willkommen zu heißen, setzte sie auf Abschreckung.
Dazu gehören aufsehenerregende Maßnahmen wie das sogenannte Schmuckgesetz und der Ruanda-Plan. Seit 2016 dürfen dänische Grenzer Asylbewerbern Wertgegenstände im Wert von 10.000 Kronen (ca. 1340 Euro) abnehmen, um damit den Aufenthalt mitzufinanzieren. Nicht minder streitbar war der Plan, Asylbewerber nach Ruanda zu schicken. 2021 wurde ein Gesetz verabschiedet, das das ermöglichen sollte. Mittlerweile ist das Ziel aber in der Schublade verschwunden.
Zu den Elementen der strengen Politik gehört, dass Asylbewerber in Sammellagern leben müssen und nicht arbeiten dürfen. Ein Informationsfilm der Einwanderungsbehörde zeigt karge Mehrbettzimmer mit Stockbetten. Geldzahlungen wurden verringert und der Familiennachzug erschwert. Die Anforderungen an Sprach- und Einbürgerungstests wurden erhöht. Für Diskussionen sorgte auch das Ziel, dass in sozial benachteiligten Stadtteilen maximal 30 Prozent "nicht-westlicher" Ausländer leben sollen. Gesteuert wird das etwa über die Vergabe von Sozialwohnungen.
Auch gut integrierte Syrer abgeschoben
Für Proteste auch in Dänemark selbst sorgte die Ankündigung, auch Syrer wieder in ihr Heimatland abzuschieben. Dafür erklärte die Regierung mehrere Regionen des Bürgerkriegslandes als sicher. In der Folge reisten betroffene syrische Familien nach Deutschland aus. Abgeschoben wurden auch gut integrierte Syrer, die einen Job hatten - was von der Wirtschaft kritisiert wurde.
Scheitert eine Abschiebung - oft aus den gleichen Gründen wie in Deutschland - kommen die ausreisepflichtigen Menschen in ein Ausreisezentrum. Das Zentrum Kaershovedgaard ist ein ehemaliges Gefängnis. Die Anwesenheit der Bewohner wird täglich überprüft. Das Lager zu verlassen ist zwar möglich, aber es fahren nur wenige Busse.
In Österreich, der Schweiz, Schweden und mittlerweile auch in Deutschland wird der dänische Weg aufmerksam verfolgt - insbesondere von konservativen Parteien. Dabei wird häufig übersehen, dass der Kurs auch dadurch möglich war, dass Dänemark rechtlich nicht an das europäische Asylsystem gebunden ist, wie der Migrationsexperte Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ntv.de sagt. Abschiebungen nach Ruanda oder Syrien wären mit EU-Recht nicht vereinbar.
Zustimmung bei den Dänen
Bossong glaubt nicht, dass es Europa als Ganzem gelingen würde, die Flüchtlingszahlen mit dem dänischen Modell zu begrenzen. "Der Migrationsdruck bliebe bestehen", sagte er im Interview mit ntv.de. Wer jetzt nicht nach Dänemark einreisen könne, weiche nach Deutschland oder in andere Länder aus. Würde ganz Europa so restriktiv vorgehen wie Dänemark jetzt, gäbe es diese Ausweichmöglichkeit nicht. Insofern wäre zwar durchaus ein gewisser Rückgang erwartbar, aber nicht so ein deutlicher wie in Dänemark. Ginge Deutschland allein so restriktiv vor wie Dänemark, könnten zudem Nachbarländer destabilisiert werden, warnt der Experte.
Die neue Politik fand jedoch Anklang bei den Dänen. Bei der Wahl 2019, der ersten nach der Regierungsübernahme der Sozialdemokraten, blieben diese mit minimalen Verlusten stärkste Kraft. Spektakulärer war der Stimmenverlust der Rechtspopulisten von der Dänischen Volkspartei (DF). Von 21 Prozent bei der vorangegangenen Wahl blieben 8,7 Prozent übrig. 2022 kamen sie nur noch auf 2,6 Prozent. Zudem zeigten die Maßnahmen der Regierung Wirkung. Mittlerweile gehört Dänemark zu den Ländern in Europa, die am wenigsten Flüchtlinge aufnehmen - 2022 lag es auf Platz 21.
Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hatte gar das Ziel ausgerufen, die Zahl der Asylbewerber auf Null zu reduzieren. "Wir wollen Flüchtlingen helfen. Das ist unsere Pflicht als mitfühlendes Land", schrieb sie 2018 in einem Artikel, der in der Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung erschien. "Zugleich sind wir der Auffassung, dass es hinsichtlich der Zahl der Einwanderer, die in unser Land integriert werden können, Grenzen gibt." Sie begründete das mit den Belastungen für den in Dänemark hoch entwickelten Sozialstaat.
Seit kurzem wieder Lockerungen
Diese dänischen Ankündigungen sorgten schon 2018 für reichlich Kritik - und für Irritationen, weil ausgerechnet eine Sozialdemokratin diese Ziele verfolgte. Denn wie in Deutschland und anderen Ländern Europas waren auch die dänischen Sozialdemokraten bis dahin eher liberal in dieser Frage gewesen. Olaf Scholz sagte damals, er war noch Finanzminister, dass Abschottung nicht die Politik der SPD sein könne.
Im vergangenen Dezember ging Frederiksen eine neue Koalition mit zwei bürgerlich-liberalen Parteien ein. Seitdem wurde der strenge Migrationskurs etwas gelockert, bleibt aber im Kern bestehen. So bekommen mittlerweile Frauen und Mädchen aus Afghanistan generell Asyl in Dänemark, weil sie vom Taliban-Regime diskriminiert werden. Außerdem wurden die Hürden für Einwanderer abgesenkt, die im Gesundheitssystem arbeiten können und wollen. Es wurde auch leichter, einen nicht-europäischen Ehepartner ins Land nachzuholen.
Lars Lökke Rasmussen, Chef der an der Regierung beteiligten "Moderaten" und ehemaliger Regierungschef, räumte ein, dass es in den letzten Jahrzehnten einen Wettlauf um Verschärfungen gegeben habe. Dabei seien auch "Dummheiten" beschlossen worden. Ein generelles Umsteuern ist aber nicht zu erwarten. Erst Anfang August forderte Integrationsminister Kaare Dybvad in der "Welt", wesentliche Elemente des dänischen Modells auf Europa zu übertragen.
Quelle: ntv.de