
Vor der Schicksalswahl am Sonntag: Heinz-Christian Strache beim Wahlkampfabschluss.
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Einmal durch die Untiefen von Ibiza - und zurück? Heinz-Christian Straches Karriere entscheidet sich am Sonntag bei den Wiener Wahlen. Er plant sein Comeback - mit merkwürdigen Mitstreitern und steilen Thesen.
An einem windig-ungemütlichen Mittwoch im Oktober steht Heinz-Christian Strache auf dem Platz, den er sein "Wohnzimmer" nennt. "Ja, ich bin zu Boden gegangen", ruft er seinen Anhängern auf dem Wiener Viktor-Adler-Markt zu, "aber dank Euch werde ich wieder aufstehen." Was kraftvoll klingen soll, verebbt schon nach wenigen Metern, "lauter!" brüllen die Leute in den hinteren Reihen, Strache setzt an - und löst eine jaulende Rückkopplung aus. Schlechter Sound, ein Anfängerfehler, und das auf der Abschlusskundgebung. Das wäre zu seinen guten Zeiten nicht passiert.
Der Adler-Markt in Favoriten war in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Basislager für Straches rasanten Aufstieg vom jungen Radikalen im Neonazi-Dunstkreis zum Vizekanzler der Republik Österreich. Hier hat seine FPÖ traditionell ihre Wahlkämpfe beendet, hier hat die John-Otti-Band für ihn "Wir wollen den HC sehen" gespielt, hier haben Tausende seinen Namen skandiert. Das war vor Ibiza, vor dem vielleicht tiefsten Fall, den ein westeuropäischer Politiker in diesem Jahrtausend bislang hingelegt hat.
Heute, vier Tage vor den Wiener Gemeinderatswahlen, ist Straches Wohnzimmer kaum wiederzuerkennen. Luftballons und Fähnchen sind nicht mehr blau, sondern weiß, mit einem "Team Strache"-Schriftzug. Vor allem aber: Es war schon mal deutlich mehr Besuch da, selbst wenn man Corona einrechnet. Vier Bereiche haben die Organisatoren mit Hamburger Gitter und Ordnern abgetrennt, nur zwei sind gefüllt. Vielleicht 150 Fans verfolgen den Höhepunkt von Straches "Comeback-Tour", die mit Aktion Wiederbelebung wohl treffender beschrieben wäre. Und trotzdem schreibt Strache die Geschichte dieser Wiener Wahlen - nicht nur, weil er für die Medien noch immer VIP-Format besitzt, sondern weil seine Politik die Stadt und das Land noch immer prägt.
Drei Musketiere und fragwürdige Kandidaten
"Reinkommen", das antwortet Straches Mitstreiter Dietrich Kops, wenn er gefragt wird, was ein Erfolg wäre für das "Team HC" am Sonntag. Fünf Prozent also, zu einstiger Größe wäre es noch immer ein sehr weiter Weg. 2015 holte Strache mit der FPÖ noch 31 Prozent, für einen kurzen Moment sah es damals so aus, als könne er im "Roten Wien" sogar den SPÖ-Bürgermeister herausfordern. In diesem Jahr ist die Sperrklausel der größte Gegner.
Kops, in Blue Jeans und Mantel, ohne Maske, hofft sogar auf eine zweistellige Prozentzahl, viele Anhänger würden sich bei Umfragen nicht trauen, sich zu Strache zu bekennen, "das war schon zu FPÖ-Zeiten so", mit denen sich der 56-Jährige bestens auskennt. Kops gehört zu den "drei Musketieren" - eine Art Adelstitel von Strache für die drei Männer, die im Dezember 2019 aus der FPÖ austraten, um eine Wahlplattform für ihren Ex-Chef zu gründen, den die Partei kurzerhand rausgeschmissen hatte.
Weil den Musketieren weniger FPÖ-Mandatare folgten als erhofft, musste Strache seine Liste mit Quereinsteigern auffüllen, was der Polit-PR-Profi in einen Vorteil umdichtete: eine "breite Bürgerbewegung" habe sich ihm angeschlossen. Der Nachteil: Anfänger neigen zu Anfängerfehlern. Ein Neuling zog seine Kandidatur zurück, weil er Kanzler Sebastian Kurz in einem Live-Video auf Facebook als "Arschloch" beschimpft hatte, gefolgt von weiteren nicht druckreifen Beleidigungen.
Am 11. Oktober wählen 1,13 Millionen Wienerinnen und Wiener den Gemeinderat, der gleichzeitig als Landtag fungiert. Alles andere als ein Sieg der SPÖ von Bürgermeister Michael Ludwig wäre eine Überraschung, die Sozialdemokraten liegen in Umfragen konstant über 40 Prozent. Um Platz zwei kämpfen ÖVP (18-20%) und Grüne (13-17%). Die FPÖ muss nach den 31% bei den Wahlen 2015 froh sein, wenn sie zweistellig bleibt, das „Team HC“ knabbert an der Fünf-Prozent-Hürde. Fest mit ihrem erneuten Einzug rechnen die liberalen Neos (6-7%). Die Wahllokale sind von 7 bis 17 Uhr geöffnet, dürfen aber nur mit Mund-Nasen-Schutz betreten werden. Die erste Hochrechnung wird für 17.30 Uhr erwartet.
Eine Kandidatin skandierte auf einer Demonstration "Kurz muss weg, Soros muss weg, Rothschild muss weg, Rockefeller muss weg, Illuminati müssen weg". Die Parolen kosteten sie den Job als Flugbegleiterin bei der Austrian Airlines, nicht aber den 17. Listenplatz. Während Straches Rede reckt sie auf der Bühne mit anderen Unterstützern weiße "Team HC"-Schilder in die Höhe, wenn die Zeit für Applaus gekommen ist - etwa, wenn Strache ein Volksbegehren gegen den "Corona-Wahnsinn" ankündigt, wenn er an seinen Widerstand gegen den UN-Migrationspakt erinnert oder sich wie gewohnt als Opfer der Ibiza-Affäre darstellt. Der Affäre, die noch immer einen Untersuchungsausschuss im Parlament und mehrere Staatsanwälte beschäftigt.
Straches Version der "besoffenen Geschicht'" ist bekannt und auf dem Adler-Markt mehrheitsfähig: Strache wurde in eine Falle gelockt und Jahre später mit dem Material unschädlich gemacht, als er "den Mächtigen" lästig wurde - und das unter Mithilfe der Medien, die alles "erstunken und erlogen" hätten. Die Verschwörungstheorie ist stets nur ein Raunen entfernt, nur beherrscht ein Profi wie Strache die Kunst, es bei Andeutungen zu belassen.
"Das war Gold wert"
Die Fehler seiner Truppe fallen ohnehin kaum ins Gewicht, in der öffentlichen Wahrnehmung besteht das "Team HC" nur aus dem Mann, der im Alleingang genug Aufmerksamkeit für zwei Parteien generieren kann: Strache, der Schlagzeilengarant, Österreichs Silvio Berlusconi - minus das Geld und die politische Relevanz.
In den Wochen vor der Wahl erfüllte er seine Rolle zuverlässig: Einmal beichtete er auf der Titelseite der "Österreich" seine Eheprobleme mit Philippa. Dann sickerten Aussagen seines Bodyguards durch, laut denen er sich jahrelang von einer Numerologin beraten ließ, die ihm ein Amulett mit Eigenurin gegen drohende Gefahr verpasste, das Strache genauso getragen haben soll wie einen Glücksbringer in der Unterhose - eine Metallplatte, von einem Schamanen geweiht.
Strategisch wichtiger und vorteilhafter: Dank der Überläufer aus der FPÖ und ihrer Mandate im Gemeinderat stand Strache ein Platz in den TV-Duellen zu, die in Österreich traditionell inflationär ausgetragen werden. Mit Elefantenrunden plus Duellen im Modus Jeder gegen Jeden, und das auf insgesamt vier Sendern. "Das war Gold wert", meint Dietrich Kops, "wir konnten wegen Corona kaum normalen Wahlkampf betreiben".
Dreikampf um Straches (Ex-)Wähler
Wer auch nur eine Handvoll Duelle verfolgte, konnte deutlich die Spuren erkennen, die Strache in Österreichs Politik hinterlassen hat. Gleich drei Kandidaten stritten sich um das rechte Wählerreservoir, das Strache bis 2015 im Roten Wien aufgebaut hat - neben Strache selbst sein FPÖ-Nachfolger Dominik Nepp und die ÖVP von Spitzenkandidat Gernot Blümel, Finanzminister und enger Vertrauter von Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Kurz hat sich auf seinem Weg ins Kanzleramt ausgiebig bei der FPÖ bedient und damit die ÖVP nach rechts gerückt. "Strache-Light", so hat der Wiener Politikberater Thomas Hofer auf ntv.de einmal seinen Kurs beschrieben. Gernot Blümel verzichtete im Wiener Wahlkampf weitestgehend auf das "light": Gemeindebauwohnungen nur bei Deutschkenntnissen, verpflichtende Nikolausfeiern in Kindergärten, ein Ende der "Willkommenskultur", viel Platz zur rechten Wand bleibt da nicht mehr übrig.
Auftritt Dominik Nepp, der neben dem Slogan "Wien uns Wienern" eine Abwandlung eines altbekannten Strache-Spruches plakatierte: Daham statt Islam. Der stammt zwar aus der Feder des FPÖ-Reimbeauftragten und Ex-Innenministers Herbert Kickl, Strache schmäht Nepp trotzdem konsequent als "Papagei".
Das Duell der Rechtspopulisten-Generationen geriet denn auch zur "Paartherapie", wie ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher ätzte. "Anpatzungen und Verrat" ortete Strache bei Nepp, den er "aufgebaut" habe, und griff ganz tief in die Historie: "Auch Du, mein Sohn Brutus!" Der Konter von Nepp: "Bei Dir ist immer Programm: Ich, ich, ich! Ich bin der Schönste, ich bin der Beste."
Erinnerungen an Haider
Thurnher wird sich vielleicht, wie einige Zuschauer, an ein legendäres TV-Duell aus dem Jahr 2008 erinnert haben, das sie ebenfalls moderierte: Damals saß Jörg Haider seinem einstigen Ziehsohn gegenüber, versuchte eine Charmeoffensive - und ein unbeeindruckter Strache entzog ihm eiskalt das Du.
Kurz vor Haiders Tod haben sich die beiden angeblich versöhnt, am Wahltag jährt sich Haiders Unfall zum elften Mal, und auf dem Adler-Markt stellt sich Strache auf seine Art in die Tradition des Erfinders des Rechtspopulismus: "Er konnte sich nicht mehr wehren. Mein Vorteil: Ich lebe, und ich kann mich wehren." Bis heute halten sich ja Gerüchte, eine fremde Macht, bevorzugt der Mossad, habe Haider aus dem Weg geräumt.
So sieht sich Heinz-Christian Strache: Nicht er hat auf Ibiza das Ticket für seinen Weg nach ganz unten gelöst, sondern eine fremde Macht hat ihn vom Olymp gestürzt. Jetzt fängt er wieder unten an. "Ein herzliches Glückauf!", ruft er seinen Anhängern zu. "Wir sind wieder da, liebe Freunde!" Was am Sonntag zu beweisen wäre.
Quelle: ntv.de