Lindner und die Eurokrise Wie schrecklich ist der FDP-Börsenschreck?
06.10.2017, 16:34 Uhr
Christian Lindner lässt die Griechen erzittern.
(Foto: dpa)
Im Wahlkampf traten die Liberalen mit einer harten Linie gegenüber Athen auf. Unter Griechen geht die Angst um, "dass ein FDP-Finanzminister zum absoluten Alptraum für sie werden könnte". Ist die Sorge berechtigt?
Die deutsche Ausgabe der "Huffington Post" veröffentlichte einen Tag nach der Bundestagswahl "5 Fakten, die den FDP-Chef beschreiben". Das sind nach Meinung des Onlineportals: "Er liebt seine Frau." - "Er unterstützt ein Kinderhospiz." - "Er liebt die Politik" - "Er versteht die sozialen Medien." - "Er liebt Autos." Aufgelistet in exakt dieser Reihenfolge.
Mindestens eine Eigenschaft fehlte. "Er geht neuerdings als Börsenschreck durch." Die "Zeit" fing damit an, als sie Mitte Juli fragte: "Börsenschreck Christian Lindner?" Zwei Monate später war das Fragezeichen verschwunden. "Christian Lindner, der Schreck der europäischen Finanzmärkte", schrieb die "Süddeutsche Zeitung". Kurz danach folgte das "Manager Magazin" mit der Überschrift: "Gestatten, Christian Lindner, Börsenschreck von der FDP".
Tatsächlich erwiesen sich Lindner und seine Liberalen als Schreckgespenst für die Börse - allerdings mit territorial eng begrenzter Wirkung. Während das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September etwa die Höhenflüge von Dax und Euro Stoxx, der den Kapitalmarktwert von 50 Großkonzernen mit Sitz in der Eurozone widerspiegelt, nicht stoppte, erlebte die Börse in Athen einen regelrechten Kurssturz, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Die griechischen Banken traf es besonders hart.
In Athen gibt es "eine gewisse FDP-Panik"
Die FDP hatte sich im Wahlkampf klar positioniert: Sie forderte ein Insolvenzrecht für Eurostaaten und warnte vor einer gemeinsamen Haftung für Staatsschulden. Die bisherige Politik der Euroretter erklärte Lindner für gescheitert, allen voran die für Griechenland, wo es seiner Ansicht nach "keinen echten Fortschritt" gibt. Für ihn heißt das: "Wenn Griechenland entschuldet wird, dann geht das nur außerhalb des Euro - also Grexit." Das Land sollte so lange aus der Währungsunion ausscheiden, bis es ökonomisch das Zeug zum Euro hat. Laut Lindner soll das Land nicht fallen gelassen, sondern als EU-Mitglied solidarisch aus Brüssel unterstützt werden: "Subventionen müssen nicht zurückgezahlt werden, haben aber eine Zweckbindung für Investitionen in Infrastruktur, Mittelstand und die Modernisierung des Staates."
Allerdings entfalten solche Aussagen auch ungeachtet aller Differenziertheit Wirkung. Der Ökonom Jens Bastian, der seit Jahren als Berater in Athen lebt, beobachtet nach eigener Aussage unter Griechen "eine gewisse FDP-Panik" sowie "große Verunsicherung". Die Regierung von Alexis Tsipras habe auf eine große Koalition gehofft, sagte Bastian der "Wirtschaftswoche". "Die Griechen fürchten, dass ein FDP-Finanzminister zum absoluten Alptraum für sie werden könnte."
Die FDP selbst befeuerte diese Ängste, als sie sich einen verbalen Schlagabtausch mit Blackrock lieferte, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Martin Lück, bei Blackrock hauptverantwortlicher Kapitalmarktstratege für Deutschland und andere europäische Länder, hatte für den Fall, dass sich die Liberalen mit ihrer harten Haltung in einer Koalition durchsetzen, prognostiziert, dass italienische Staatsanleihen wie zu schlimmsten Eurokrisenzeiten unter Druck geraten könnten. In einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" unterstellte FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer daraufhin Blackrock Eigeninteressen. Der Wall-Street-Gigant teile "die stabilitätsorientierte Haltung der FDP" nicht, weil er zu den Profiteuren der ultralockeren Geldpolitik gehöre.
Sehnen sich die Griechen bald nach Schäuble?
Dabei wird Lücks Meinung von Experten an den Börsen und in der Wirtschaftswissenschaft geteilt. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa, etwa sagte n-tv.de: "Die FDP im Finanzministerium würde für die gesamte Eurozone etwas mehr Unsicherheit bringen." Abzuwarten sei, ob Kanzlerin Angela Merkel auf Drängen der FDP ihren Europa- und Eurokurs korrigieren werde. "Vor allem in Griechenland könnte man sich irgendwann nach Wolfgang Schäuble sehnen." Sein Fazit: "Es könnten unruhige Zeiten für die Peripherieländer der Eurozone, die aktuelle Europhorie, Herrn Macron und die Anleihemärkte werden."
Eine Regierungsbeteiligung der FDP "könnte wichtige Auswirkungen auf die Geschwindigkeit und Tiefe der Integration des Euro-Währungsgebiets haben", meint auch Giacomo Barisone, Geschäftsführer der deutschen Ratingagentur Scope. Das Wahlergebnis habe Merkel geschwächt.
Blackrock-Stratege Lück verweist ausdrücklich auf einen anderen wichtigen Faktor: die Europäische Zentralbank. "Die EZB wird früher oder später ihre ultralockere Geldpolitik aufgeben", erklärt er auf Anfrage von n-tv.de Grundsätzlich sei die Forderung nach Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien richtig. "Das tun die anderen Parteien auch. Nur die FDP benennt auch Konsequenzen für Griechenland." Aus Lücks Sicht ist die Entscheidung, das Land im Euro zu halten, "vor allem eine politische, weniger eine ökonomische. Daran werden auch die Liberalen nichts ändern. Daher muss sich niemand sorgen, dass die schärfere Rhetorik der FDP zu einem Crash am Anleihemarkt führt."
Macron nennt FDP "Alptraum für Europa"
Lück rät der FDP obendrein dazu, sich die Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron anzuschauen. "Die künftige Bundesregierung würde eine große Chance für Europa vergeben, wenn der neue Finanzminister sich den Ideen von Macron konsequent in den Weg stellt und sich etwa jeder Angleichung der Unternehmensbesteuerung verweigert, nur um den freien Markt zu predigen", erklärt Lück. Auch Schäubles Idee, einen Europäischen Währungsfonds (EWF) zu gründen, sollte den Koalitionären eine Überlegung wert sein. "Ihm geht es schließlich darum, dass sich Europa freimacht von den Auflagen des IWF für Euroländer, die unter Beteiligung des Fonds Milliardenkredite erhalten, um der Staatspleite zu entgehen."
Macron soll gegenüber einem anonym gebliebenen Besucher im Elysée-Palast sein politisches Ende vorausgesagt haben, sollte sich Merkel mit der FDP einlassen. "Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, dann bin ich tot." Ungeachtet von Lindners Lobeshymne, wonach Macron "Europa besser machen will", soll der Franzose laut "Le Monde" den FDP-Vorsitzenden als "Alptraum" für Europa bezeichnet haben. Dabei stoßen diverse Vorschläge der deutschen Liberalen bei Macron auf offene Ohren, etwa die Insolvenzordnung für Eurostaaten.
Lindners Stellvertreter Wolfgang Kubicki wiederum bezeichnete Macrons jüngste Europa-Rede als "sensationell". Seiner Meinung nach entsprach sie zu 80 Prozent der Haltung der Liberalen. Nur "gegen die Idee, dass Deutschland das alles bezahlen soll", wehre sich die FDP. Und im Übrigen: "Der muss vor den Liberalen keine Angst haben. Wenn wir so wirkungsmächtig bereits wären, wie Herr Macron das sagt, dann würde Putin die Krim freiwillig rausrücken."
Quelle: ntv.de