Die Neue in Downing Street 10 Wie tickt Theresa May?
12.07.2016, 15:01 UhrEs gibt leichtere Aufgaben: Theresa May muss als neue Premierministerin und Nachfolgerin von David Cameron den Brexit aushandeln. Der Großbritannien-Experte Gerhard Dannemann erklärt, warum er May für geeignet hält - obwohl er ihr das Amt vor einem Jahr nicht zugetraut hätte.
n-tv.de: Ein kurzer Wahlkampf und eine schnelle Lösung: Mit Theresa May gibt es nun schon früher eine Nachfolgerin für Premierminister David Cameron als angenommen. Ist das gut für Großbritannien?

Gerhard Dannemann hat den Lehrstuhl für englisches Recht sowie britische Wirtschaft und Politik am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin.
(Foto: HU Berlin)
Gerhard Dannemann: Es ist sicher gut, dass wir nicht bis September warten müssen, um zu wissen, wer neuer Premierminister wird. Das ist besser, als dass alles so lange stillsteht und die Frage des Brexits nicht weiter geklärt werden kann.
Wie tickt Theresa May und was ist in dieser Ausnahmesituation von ihr zu erwarten?
Theresa May ist eine sehr erfahrene Politikerin, allerdings eher auf dem Feld der Innenpolitik. Sie war seit 2010 Innenministerin und hat sich mit einem Kurs profiliert, der in sich genommen geradlinig war, aber trotzdem Elemente vereint, die man nicht nebeneinander vermuten würde. Sie hat den Überwachungsstaat vorangetrieben und eine harte Immigrationspolitik gestaltet. So hat sie den Familiennachzug und allgemein die Vergabe von Visa stark erschwert. Andererseits hat sie sich sehr für Gleichstellung und gegen Rassendiskriminierung eingesetzt. May hat sich bisher nicht als Außen- oder Wirtschaftspolitikerin zu erkennen gegeben. Ihr erstes Statement, das sie zur Wirtschaftspolitik verlesen hat, könnte aus dem Wahlprogramm der Labour Party stammen. Sie will offensichtlich in die Mitte rücken.
In den Berichten über Theresa May stößt man häufig auf Vergleiche mit der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher, aber auch mit Kanzlerin Angela Merkel. Ist das angemessen?
Nicht so ganz. Margaret Thatcher war ja nahezu besessen von ihren politischen Vorstellungen und hat sie auch gegen starken Widerstand selbst in der eigenen Partei durchgesetzt. Theresa May kann zwar auch ein Sache stark vorantreiben und hart verhandeln, aber sie ist nicht ideologiegetrieben. Sie ist aber nicht so konsensorientiert wie Angela Merkel. Ich würde May also zwischen diesen Frauen verorten.
Was unterscheidet May von ihrem Vorgänger David Cameron?
Cameron war ein vergleichsweise glatter Politiker, der versucht hat, seine eigene Position in der Partei zu festigen. Er kennt sich in der englischen Politik hervorragend aus, in der britischen schon nicht mehr ganz so gut und in der europäischen eher wenig. In der Frage des Brexits hat sich Cameron verzockt. Er wollte eine innerparteiliche Fehde ruhigstellen und damit seine Macht sichern. So etwas wird von Theresa May nicht zu erwarten sein. Sie hat einen klaren politischen Auftrag und will diesen auch durchführen. Die Persönlichkeiten sind da relativ unterschiedlich, die Prioritäten werden auch anders sein.
Was erwarten Sie, wie May das, was von Großbritannien übrig bleibt, aus dieser Krise führen wird?
Das ist eine Riesenaufgabe für sie. May hat sich nicht besonders stark für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt, war aber nicht für den Brexit. Dennoch muss sie ihn nun organisieren. Der Brexit-Wahlkampf enthielt die Forderungen "Keine Geltung von EU-Recht", "kein Beitrag zum EU-Budget" und "keine Freizügigkeit". Deswegen ist es für May schwierig, etwas von dem Zugang Großbritanniens zum gemeinsamen europäischen Markt zu retten. Dieser Herausforderung muss sie nun gerecht werden. Gleichzeitig hat sie sich vorgenommen, das Land zu befrieden, das sich im Zuge des Referendums gespalten hat - zwischen Jüngeren und Älteren, Städtern und Menschen auf dem Land, Arm und Reich.
May zeigt großen Mut, dass sie in so einer Situation das Steuer übernimmt. Aber ist sie die Richtige in dieser schwierigen Lage?
Wenn Sie mich vor einem Jahr gefragt hätten, hätte ich Nein gesagt. Aber ich glaube, dass sie die Beste war unter den Kandidaten, die zur Auswahl standen.
Warum hätten Sie ihr die Fähigkeit für das Amt vor einem Jahr noch abgesprochen?
Ich kannte sie nur als Innenpolitikerin. Es gibt außerdem etwas, wo man wirklich auf sie aufpassen muss. May will Großbritannien seit Jahren aus der Europäischen Menschenrechtskonvention herausführen, weil sie sich über Urteile des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg ärgert. Sie meint, dadurch würde Großbritannien unzulässig stark in seiner Gesetzgebung beeinflusst. Ich halte das für sehr gefährlich. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist der letzte Rettungsanker für Leute, die in zunehmend autoritären Ländern wie beispielsweises Russland oder der Türkei politisch verfolgt werden. Es wäre ein fatales Signal, wenn ein Land wie Großbritannien mit einer starken demokratischen Tradition sich da ausklinkt. Das könnte andere Länder mitreißen. Die negativen Folgen schätze ich nicht geringer ein als die, die der Brexit verursacht. Ich muss jedoch hinzufügen: May hat inzwischen versprochen, dass sie in der laufenden Wahlperiode diesen Plan nicht verfolgen wird.
Ursprünglich sollte der neue britische Premier sein Amt erst im September antreten. Ist es nun wahrscheinlich, dass Großbritannien seit Austrittsverfahren nach Artikel 50 schon früher auslöst?
May hat sich von allen Kandidaten in dieser Frage am vorsichtigsten geäußert. Ich denke, sie will zunächst eine eigene Strategie entwickeln, mit welchen Forderungen und Vorstellungen sie in die Verhandlungen gehen wird, bevor man den Artikel 50 auslöst. Das wird eine Weile dauern und das ist wohl auch vernünftig. Denn die zwei Jahre, die der Artikel einräumt, sind sehr kurz, um diese sehr komplexen rechtlichen Beziehungen mit den anderen EU-Staaten und anderen Handelspartnern neu zu verhandeln. Ich denke, May wird Artikel 50 irgendwann vor Jahresende auslösen. Sie wird bald signalisieren, wann die EU mit dem Antrag rechnen kann.
Mit Gerhard Dannemann sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de