"Sorge" wegen Erdogan reicht nicht Wo Seehofer recht hat
23.05.2016, 12:25 Uhr
Das Verhältnis von Merkel und Seehofer wird zusehends schlechter.
(Foto: imago/CommonLens)
Kanzlerin Merkel reist in die Türkei. Wieder einmal wird sie mit der türkischen Führung über den Flüchtlingsdeal sprechen. Und wieder einmal speist sie die drangsalierten Kurden im Land mit warmen Worten ab.
Erst warf Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel vor, sie tue nicht genug, um Europas Grenzen zu schützen. Als sie sich daranmachte, den Deal mit der Türkei voranzutreiben, hieß es aus seiner CSU, das klappe eh nicht. Und jetzt, da der Deal offensichtlich Wirkung zeigt – in der EU kommen kaum noch Flüchtlinge an –, ist Seehofer plötzlich besorgt wegen der moralischen Zugeständnisse, die Merkel der Türkei für den Deal macht. Besonders besorgt um Menschenrechte war er dagegen nicht, als es darum ging, Flüchtlinge in Griechenland, Italien oder an den neuen Grenzzäunen im Osten Europas verelenden zu lassen.
Eigentlich könnte Merkel die jüngste Kritik aus Bayern also getrost an sich abperlen lassen. Da wettert jemand des Wetterns willen. Mit der Besorgnis um die Menschenrechte ist das aber tatsächlich so eine Sache.
Angeblich hat die prokurdische HDP, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Monaten drangsaliert, Merkel um ein Treffen bei ihrem Türkei-Besuch gebeten. Ob es nun eine offizielle Anfrage gegeben hat oder nicht – die HDP hätte sich so ein Treffen auf jeden Fall gewünscht. "Die Kurden sind sehr enttäuscht von Merkel", sagte der HDP-Abgeordnete Ziya Pir der Deutschen Presseagentur. Von Pir kam auch ein Satz, der Seehofers Kritik fast im Wortlaut gleicht: Die von der Bundesregierung geäußerte "Sorge" über die politische Entwicklung in der Türkei reiche nicht aus. "Das ist lächerlich."
Ein bisschen Opposition darf sein
Kurz vor ihrer Abreise in die Türkei sprach Merkel mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie ging in dem Interview auch darauf ein, dass das türkische Parlament in der vergangenen Woche die Immunität von mehr als 100 Abgeordneten aufgehoben hat. Vor allem HDP-Politiker müssen nun Repressalien fürchten. "Das erfüllt mich mit großer Sorge", hatte Merkel gesagt.
Viel mehr kann eine Bundeskanzlerin auch kaum sagen. Das gebieten die diplomatischen Gepflogenheiten. Stumpfes Geschimpfe hilft unter Partnern ja auch nicht weiter. Merkel hätte allerdings deutlich mehr tun können.
Die CDU-Chefin reiste bereits am Sonntag in die Türkei. Am Abend traf sie erstmals seit den Verhandlungen mit Ankara Vertreter der Zivilgesellschaft. Das war ein Schritt voran. Bei früheren Türkei-Besuchen zog sie sich noch darauf zurück, die Lage der Menschen- und Bürgerrechte maximal abstrakt mit ein paar Zeilen zu erwähnen.
Das Problem nur: Merkel traf am Sonntagabend weder bekannte Journalisten, die in der Türkei zusehends mundtot gemacht werden, noch Vertreter der HDP. Oppositionelle ja, aber bitte nicht zu oppositionell – so das Motto. Merkels Versuch, auf die Menschenrechtslage in der Türkei einzugehen, ist zu halbherzig gemessen am Kurs, den Erdogan in der Kurdenfrage eingeschlagen hat. Da hat Seehofer recht.
Quelle: ntv.de