Politik

"Nie inhaltlich etwas bewegt" Wo die Deutschen sich in Kurz geirrt haben

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Sebastian Kurz: Kommt er zurück oder lässt er sich nur kurz blicken?

(Foto: picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com)

Korruption, Machtmissbrauch, Postenschacher: Es war ein regelrechter Polit-Sumpf, in dem Österreichs Kanzler Sebastian Kurz Ende 2021 versunken ist. Lange als Shootingstar der europäischen Konservativen gefeiert, musste der 35-Jährige nach Razzien und Korruptionsermittlungen zurücktreten. Ihm drohen gleich zwei Gerichtsverfahren wegen Bestechlichkeit und wegen Falschaussage vor dem "Ibiza-Ausschuss".

Seinen Lebensunterhalt verdient Kurz seit einigen Monaten beim Trump-Unterstützer Peter Thiel im Silicon Valley. Nun taucht Kurz überraschend wieder auf der politischen Bühne auf - beim Parteitag seiner ÖVP in Graz am Samstag. Auch wenn Gerüchte um ein Comeback sich zerstreuten: Der lange Schatten des Sebastian Kurz verfolgt die ÖVP und die gesamte österreichische Politik noch immer. Der Kabarettist Florian Scheuba hat in seinem neuen Buch "Wenn das in die Hose geht, sind wir hin" eine launische Bilanz der Ära Kurz gezogen. Im Interview mit ntv.de erklärt Scheuba, was Deutschland nie so recht an Kurz und Österreich verstanden hat - und an welchen gefallenen deutschen Polit-Shooting Star ihn Kurz erinnert.

Zur Person
(c) Christian Heredia

Florian Scheuba, Jahrgang 1965, gehört zu den bekanntesten Kabarettisten Österreichs. In seinen Programmen und seinem Podcast "Scheuba fragt nach" beschäftigt er sich seit Jahren mit den Untiefen der Wiener Innenpolitik.

ntv.de: Sebastian Kurz hat am Muttertag im größten Boulevardblatt des Landes "Krone" ein Comeback "zu 100 Proent" ausgeschlossen. Hand aufs Herz: Sind Sie als Kabarettist nicht ein wenig traurig darüber?

Florian Scheuba: Eine Form von Comeback wird es ja geben - vor Gericht. Was ein politisches Comeback angeht, würde ich nicht von Trauer sprechen. Ich bin ja auch Staatsbürger, und als solcher finde ich nicht, dass er unbedingt zurückkommen muss. Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass so ein Comeback realistisch ist.

Auf dem Parteitag der ÖVP am Samstag in Graz wird Kurz wohl eine Art Abschiedsrede halten - eine gute Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen: Was ist das Vermächtnis dieses Mannes, der als politisches Jahrhunderttalent galt und wegen Korruptionsermittlungen zurücktreten musste?

Da fällt mir wenig ein. Personell waren noch einige Altlasten in der Regierung, mit denen die ÖVP gerungen hat. Bleibend ist ansonsten einzig und allein die Enttabuisierung gewisser Aussagen: Angesichts ertrinkender Kinder im Mittelmeer zu sagen, es werde unschöne Bilder geben - das wäre vor ein paar Jahren für einen ÖVP-Politiker aufgrund der christlichen Fundierung der Partei ein No-go gewesen. Das hätte für einen Aufstand gesorgt, jetzt gehört es quasi zum Pragmatismus: Man muss ja die Wähler der rechtspopulistischen FPÖ bei der Stange halten, die Kurz neu dazugewonnen hat.

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Florian Scheuba: Wenn das in die Hose geht, sind wir hin: Chats, Macht und Korruption. Eine Spurensuche. Zsolnay Verlag 2022.

Gewonnen hat er die Wahlen nicht nur mit einem strikten Kurs in der Migrationspolitik, sondern auch mit dem Slogan "Zeit für Neues" und dem Versprechen auf tiefgreifende Reformen. Was ist davon übrig geblieben?

Es gibt keinen Bereich, in dem er inhaltlich wirklich etwas bewegt oder angestoßen hat. Das war aber auch nicht seine Absicht. Ein Detail aus den berühmten Chats ist da sehr interessant: Um seinen damaligen Parteichef Reinhold Mitterlehner weg zu intrigieren, hat er ein Gesetz zur Kinderbetreuung verhindert. Nur um Mitterlehner zu schaden. Das hat ihn glaube ich viel Sympathie gekostet bei den Menschen, auch wenn dieser Chat nicht strafrechtlich relevant ist. Das ist nämlich nicht immer der entscheidende Punkt - es geht darum, dass sich sein Charakter offenbart hat in diesen Nachrichten.

Ist die Zuneigung zum langjährigen Umfragekaiser Sebastian Kurz deswegen so schnell erkaltet? Selbst ÖVP-Wähler halten laut aktuellen Befragungen den neuen Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer, der ja alles andere ist als ein Charismatiker, für den geeigneteren Mann.

Es erinnert mich an den ehemaligen Finanzminister Karlheinz Grasser, der war unglaublich beliebt, der Schwiegersohn der Nation - und sein Fall inmitten von Korruptionsaffären war dann doch sehr tief. Auch die Boulevardzeitungen, die ihm sehr lange die Treue gehalten haben, haben ihn aufgegeben. Ähnlich ist es bei Kurz, wobei noch persönliche Enttäuschung hinzukommt: Natürlich gibt es entsprechend der "versunkene Kosten"-Theorie einige, die sich ihren Fehler nicht eingestehen und bei Kurz bleiben, egal was passiert. Aber viele andere haben vielleicht wirklich geglaubt, er hätte einen ehrlichen Reformwillen, zum Beispiel beim Postengeschacher. Dabei hatte er gar nichts gegen das alte Proporzsystem, es sollte nur für seine Partei besser laufen. Für diese Menschen ist es natürlich sehr enttäuschend zu sehen, dass es unter Kurz' Führung noch schlechter lief als vorher.

In Deutschland leuchtete Kurz' Stern ja zumindest am konservativen Firmament fast noch heller als in Österreich selbst. "Warum haben wir nicht so Einen?", titelte die "Bild"-Zeitung einmal. Sie kennen Deutschland von einigen Auftritten - haben Sie eine Idee, warum die Kurz-Mania so groß war?

Es sind glaube ich zwei Gründe: Zum einen hatte er ein Sieger-Image. Er hat Wahlen gewonnen, mit einem Programm, das auch für deutsche Konservative interessant ist: ein Rechtspopulismus mit besseren Manieren. Das erscheint vielen auch in der CDU attraktiv - man muss nicht an die AfD anstreifen, aber wenn man das ein oder andere manierlich formuliert und es anders verpackt, kann man mit rechten Inhalten punkten.

Der zweite Grund trifft nicht nur, aber auch auf Deutschland zu: Wenn Kurz ein Superheld wäre, wäre sein Name "Projecto". Er war eine fantastische Projektionsfläche, weil de facto bei ihm ideologisch nicht viel da war. Sein Programm war: Ich, ich, ich. Deswegen hat er für sehr viele Leute funktioniert. Auch in Deutschland hat man ihn als jungen, dynamischen Hoffnungsträger gesehen, der das System nicht zerstören, aber reformieren will. Kurz war wie ein Theodor zu Guttenberg, der sein Studium rechtzeitig abgebrochen hat.

Eher linke Kreise in Deutschland wunderten sich dagegen, wie Sebastian Kurz erst so erfolgreich werden konnte. Was haben die Deutschen vielleicht insgesamt nicht an den österreichischen Verhältnissen verstanden?

Zum Einen ist der Rechtspopulismus schon länger da, seit Jörg Haider, einer wirklich schillernden Figur - wenngleich Haider im Vergleich zu Kurz noch ideologischer orientiert war. Er war schon ein Chamäleon, das seine Verhaltensweise immer der jeweiligen Umgebung angepasst hat, aber auch wenn er 90 Prozent seiner Ideologie sofort verkauft hätte, wenn es nützlich gewesen wäre, hatte Haider immer einen rechtsnationalen Kern.

Und zweitens die ewige Große Koalition aus SPÖ und ÖVP, Rot und Schwarz, im Prinzip seit der Nachkriegszeit. Als Österreich sich als neutraler Staat neu gegründet hat, mit der These, es sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen, da war schon der Konsens: Zwischen Schwarz und Rot darf es nie wieder Konflikt geben. Dadurch ist der Proporz einfach sehr viel stärker als in Deutschland, jeder hatte seine Machtbereiche, was auch zu einer Lähmung geführt hat. Vom Bedürfnis, diese Lähmung aufzubrechen, hat Kurz profitiert. Wenn man ihn auf einen Punkt festnageln konnte, dann auf seine Ablehnung der SPÖ.

In Ihrem aktuellen Buch "Wenn das in die Hose geht, sind wir hin", nähern Sie sich der Ära Kurz quasi über Nachrichten aus dem Maschinenraum der Macht - besonders natürlich den berühmten Chats, von "Ich liebe meinen Kanzler" bis "Kurz scheißt sich voll an". Gehört österreichische Innenpolitik zu den Dingen, die man im Original gelesen haben sollte?

Es hat jedenfalls zweifelsohne dramaturgischen Wert. Der Begriff Operettenstaat für Österreich war nie ganz gerechtfertigt, aber zuletzt hatten wir schon eine Form der Soap-Opera-Politik, die echten Unterhaltungswert hat. Für deutsche Leser ist es vielleicht wie eine Serie, die können sich die Figuren anschauen und sagen: Das ist ja unglaublich, was dort abgeht. Der deutsche Leser hat den Vorteil, dass es ihn weniger betrifft, dass er einen kleinen Grusel haben kann, aber letztlich fein raus ist. Aber: Wer weiß, wann es wieder passiert. Das Phänomen Kurz war ja in Deutschland sehr groß. Allein, wie die "Bild"-Zeitung für ihn ausgeritten ist… Und jetzt dient Ex-"Bild"-Chef Kai Diekmann dem neuen Kanzler Karl Nehammer als Spin-Doctor und hat offenbar gleich mal die ominöse Moskau-Reise zu Putin eingetütet und begleitet.

Offensichtlich gibt es schon auch in Deutschland einige Leute, die neidvoll nach Österreich geschaut haben in den letzten Jahren und immer noch schauen: Könnte das ein Vorbild sein?

Die Kernfrage nämlich, wie man mit dem Rechtspopulismus umgehen will, stellt sich in Deutschland genauso. Kurz hat eben für Einbindung plädiert, für Entzauberung, indem man die FPÖ diszipliniert und gleichzeitig eh das Gleiche macht, aber es mit menschlichem Antlitz verkauft. Dieses Thema, fürchte ich, wird Ihnen auch in Deutschland sicher nicht erspart bleiben.

Mit der Inthronisierung von Karl Nehammer als Kurz' Nachfolger in der ÖVP versucht die Partei ja eine Art Häutung. Die Parteifarbe wechselt wieder von türkis auf schwarz, der Zusatz "neue" Volkspartei verschwindet. Gleichzeitig ploppt aber weiter ein Korruptionsskandal nach dem anderen auf, insgesamt wird gegen dutzende ehemalige und aktuelle ÖVP-Politiker ermittelt. Karl Nehammer meint trotzdem, die ÖVP habe kein Korruptionsproblem. Sieht so ein Neuanfang aus?

Das ist eine Pointe fürs Kabarett. Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem, natürlich. Und ein Bordell hat auch keine Sexualitätsproblem. Ich glaube, Karl Nehammer hat schnell realisiert, dass das jetzt nicht brillant formuliert war. Das wird ihm noch öfter um die Ohren fliegen. Das Thema geht ja weiter. Das Handy des Kurz-Vertrauten Thomas Schmid, dem wir die berühmten Sätze "Kriegst eh alles, was Du willst" und "Ich liebe meinen Kanzler" verdanken, ist ja noch nicht komplett ausgewertet. Die Soap Opera geht also weiter. Ja, das hängt wie ein Damokles-Handy weiter über Karl Nehammer und der Partei.

Mit Florian Scheuba sprach Christian Bartlau

Quelle: ntv.de

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