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Die Flanke ist offen An diese Woche wird Friedrich Merz noch lange denken

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Den von ihm angestrebten Politikwechsel hat Merz unwahrscheinlicher gemacht.

Den von ihm angestrebten Politikwechsel hat Merz unwahrscheinlicher gemacht.

(Foto: IMAGO/epd)

Wenn die Union am Wahlabend weniger als 30 Prozent erhält, dann wird der Grund im Vorgehen von Friedrich Merz zu suchen sein. Er setzt ein Thema auf die Agenda, von dem die AfD profitiert. Und beschädigt seine Glaubwürdigkeit.

Die gestrige Debatte im Deutschen Bundestag war reich an Schlüsselmomenten. Da waren die Sätze von Bundeskanzler Olaf Scholz über die Glaubwürdigkeit des CDU-Vorsitzenden. Er habe den Zusicherungen von Friedrich Merz "wirklich geglaubt", mit den extremen Rechten keine gemeinsame Sache zu machen. Auch viele Bürger hätten auf sein Wort vertraut. "Aber was sind diese Worte jetzt noch wert?"

Scholz' Motive mögen durchsichtig sein, es mag überzogen sein, wie er Merz als "Umfaller" darstellt, als "Zocker", der "den Grundkonsens unserer Republik im Affekt" aufgekündigt habe. Aber es ist Wahlkampf. Schon lange, bevor der CDU-Chef Kanzlerkandidat wurde, verbreiteten SPD-Politiker, Merz sei ihr Wunschkandidat: Er sei unbeherrscht und werde im Wahlkampf Fehler machen. Es klang wie das Pfeifen im Walde. Aber der Fehler ist passiert.

Erstmals kam im Deutschen Bundestag eine Mehrheit nur mit den Stimmen der AfD zustande. Deren anschließendes "Feixen", das Merz sogar vorhergesagt hatte, war eine realistische Einschätzung dessen, was da gerade passiert ist: Merz hat die AfD auf- und seine Union abgewertet. Es war ein Fehler wie aus dem Lehrbuch. Die Union habe das Thema Migration prominent auf die Agenda gesetzt, obwohl Themen wie die Wirtschaft von der Bevölkerung als wichtiger angesehen würden, sagte Forsa-Chef Peter Matuschek ntv.de. Das sorge für Mobilisierung, "allerdings nicht bei der Union, sondern bei SPD und AfD".

Der Freitag kommt erst noch

Dass die SPD diese Mobilisierung nun noch zu verstärken versucht, kann man ihr kaum vorwerfen. Denn sie hat einen Punkt: Wer soll Merz jetzt noch glauben, dass er nach der Wahl nicht genau dasselbe macht?

In diese Kerbe schlägt am Tag danach ausgerechnet die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie halte es für "falsch", ließ sie wissen, "sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen". Merz wird diese Wortmeldung ärgern, aber sie wird ihm auch zusätzlich schaden. Sie schwächt seine Autorität in der CDU und dürfte die Union weitere Stimmen kosten.

Am Freitag wird Merz seinen Fehler nicht nur wiederholen, sondern noch ausweiten. Die Unionsfraktion hat einen Gesetzentwurf zur Migrationsbegrenzung auf die Tagesordnung gesetzt, der nur mit den Stimmen der AfD die Chance auf eine Mehrheit hat. Ein Gesetz, beschlossen mit den Stimmen der AfD? Es wäre ein weiterer Tabubruch - am Mittwoch ging es nur um unverbindliche Forderungen. Ja, Merz hat recht, wenn er betont, dass Union und AfD allein keine Mehrheit im Bundestag haben. Aber ohne die AfD geht es nicht. Darin liegt der Tabubruch. Der Wortbruch.

Wenn Merz und andere Unionspolitiker nun versichern, dass es nach der Bundestagswahl keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, so kann man ihm zwar glauben, dass er dies wirklich so meint. Aber kann man absolut sicher sein, dass er dieses Wort hält? Was passiert, wenn SPD und Grüne nach der Wahl noch immer so wütend auf die Union sind, dass eine Koalition nicht zustande kommt? Was passiert, wenn die Union infolge ihrer dramatischen und anhaltenden Fehlkalkulation am Wahlabend deutlich unter 30 Prozent liegt und es nicht für ein Zweierbündnis reicht? Wird Merz dann Stimmen der AfD in Kauf nehmen, um Bundeskanzler zu werden? Man mag das für ausgeschlossen halten, aber letztlich hat Scholz recht: Seit Mittwoch ist das nicht mehr sicher.

Merz hat eine Flanke geöffnet, die er bis zur Wahl nicht mehr schließen kann. Er hofft wohl, mehr Wähler am rechten Rand zu gewinnen, als er in der Mitte verliert. Es wäre eine große Überraschung, wenn das gelingt. Sollte es schiefgehen, wird er noch lange an diese Woche denken.

Quelle: ntv.de

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