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Lang und Nouripour gewählt Grüne ernennen die Kapitäne fürs Beiboot

Die erfolgreichste Parteiführung der Grünen-Geschichte ist weg. Ihre Nachfolger stehen vor einer schweren Aufgabe: Lang, Nouripour und Büning sollen Scharnier sein zwischen der Partei und ihren Bundesministern. Doch das grüne Machtzentrum liegt nicht mehr in der Parteispitze.

Sollte Ricarda Lang über ihr Ergebnis von 76 Prozent bei der Wahl zur Grünen-Bundesvorsitzenden tatsächlich enttäuscht sein, sei hier an den richtigen Maßstab erinnert: Dieser sind nicht die historisch guten 97 Prozent, die Langs Vorgängerin Annalena Baerbock im November 2019 erhielt. Vielmehr bieten Baerbocks 67 Prozent bei ihrer ersten Wahl vor vier Jahren Orientierung.

Aller Anfang ist schwer, erst recht wenn Mann und Frau in so große Fußstapfen treten. Lang, ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour, der mit rund 83 Prozent der Stimmen etwas stärker abschnitt, sowie die mit 88 Prozent gewählte neue Politische Geschäftsführerin Emily Büning stehen am Beginn einer denkbar schwierigen Mission. Sie sollen die Partei ins Kanzleramt führen, doch über das Gelingen dieser Aufgabe entscheiden andere - ihre Vorgänger Baerbock, Robert Habeck und die weiteren grünen Bundesminister und Staatssekretäre.

Über den 16-köpfigen Parteirat werden Habeck und Baerbock auch weiterhin Verantwortung für die Bundespartei übernehmen. Die enge Verzahnung macht Sinn. Gerade Lang und Büning sind zwar für ihre jungen Jahre schon reich an Erfahrungen im politischen Geschäft und auch ein Geschäftsführer Michael Kellner hat mal jung angefangen, doch Zeit zur Einarbeitung in die neue Verantwortung gibt es keine. Die Grünen-Spitze muss auf Anhieb funktionieren, weil die Vorsitzenden die Partei im Koalitionsausschuss vertreten und zusammen mit Büning wegweisende Landtagswahlen im Mai mit auf den Weg bringen müssen. Im Konfliktfall, insbesondere mit den Bundesministern, geht Lang und Nouripour die Autorität vorerst noch ab. Sie sind nämlich auch Vorstände von ihrer Vorgänger Gnaden.

Gelegenheit zur schnellen Emanzipation bietet die Aufarbeitung der am Ende doch enttäuschenden Bundestagswahl: Nach engagierter Gegenrede von Habeck ist am Freitag ein Parteitagsantrag gescheitert, der die Analyse des Rennens ums Kanzleramt dem Vorstand entreißen und in die Hände einer eigenen Arbeitsgruppe legen wollte. Doch die vielen Ja-Stimmen deuten auf ein Misstrauen in der Partei hin, wie ausgeprägt die Fähigkeit zur Selbstkritik und -reflexion in der Berliner Parteizentrale tatsächlich ist. Büning hat in ihrer Rede bereits deutlich gemacht, dass sie strukturelle Probleme in der Bundesgeschäftsstelle ausräumen will. Ob Büning aber eine öffentlichere Fehleranalyse betreiben wird als ihr Vorgänger Kellner, bleibt abzuwarten.

Ein permanenter Balance-Akt

Ein Rumoren der Basis über ihre Regierenden ist nicht zu vernehmen, im Gegenteil. Der Vorschuss an Vertrauen aus der Partei ist so groß wie das Selbstbewusstsein ihrer Bundesminister. Die Grünen trauen sich viel zu, auch wenn die durch die Koalitionszwänge eingegangenen Kompromisse die Partei spürbar verunsichern. Bei sozialen Themen ist der Ampelvertrag deutlich hinter den Ambitionen der Grünen zurückgeblieben. Die Energiewende zu stemmen, wird in Zeiten leerer Kassen und explodierender Energiepreise noch mehr zum Kraftakt als ohnehin schon. Ein kleiner Teil der Partei ist entsetzt darüber, dass die Grünen als Teil der Ampel bewaffnete Drohnen anschaffen und die atomare Teilhabe fortsetzen wollen.

Für die Identität der Partei wichtige Bündnispartner aus der Klima- und Friedensbewegung könnten schnell auf Distanz gehen zu der Regierungspartei. Es wird dann an Lang und Nouripour sein, zu entscheiden: Wann bringen sie Bundesminister auf Parteilinie, wann werben sie in der Partei für den Ampelkurs? Es wird ein permanenter Balance-Akt, der nur gelingen kann, wenn die grünen Kabinettsmitglieder ihre Vorsitzenden in Wort und Tat unterstützen. Genauso wie Außenministerin Baerbock und Vizekanzler Habeck ihren Vorsitz-Nachfolgern in Medien und Öffentlichkeit Raum lassen müssen, damit sie nach außen glänzen und in die Partei hineinstrahlen können. Ob Lang und Nouripour ihre Scharnierfunktion zwischen Partei und Regierung werden ausüben können, haben sie vorerst nicht selbst in der Hand.

Quelle: ntv.de

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