
Auf ihrem digitalen Parteitag tauschen die Grünen ihre Führungsspitze aus. Die Bundesminister Baerbock und Habeck machen Platz. Ricarda Lang und Omid Nouripour bekommen solide Ergebnisse. Unter die Dankbarkeit für den bisherigen Vorstand mischt sich Kritik der Basis.
Die Grünen haben sich für neue Vorsitzende entschieden: Die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende Ricarda Lang tritt in die Fußstapfen von Annalena Baerbock, der Außenpolitiker Omid Nouripour beerbt Robert Habeck. Lang, die als einzige Frau für den Parteivorsitz kandidierte, erhielt am Samstag auf dem digitalen Parteitag in Berlin 75,9 Prozent der 727 gültigen Delegiertenstimmen. Nouripour kam auf 621 von 752 Delegiertenstimmen, das entspricht rund 82,6 Prozent der Stimmen. Die digitale Wahl muss per Briefwahl bestätigt werden, das Ergebnis soll in zwei Wochen vorliegen.
Die 28-jährige Lang war Sprecherin der Grünen Jugend und bleibt als Mitglied des bisherigen Vorstands Teil des sechsköpfigen Führungsgremiums. Der 46-jährige Bundestagsabgeordnete Nouripour war bisher außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Sein auch in der Partei weitgehend unbekannter Gegenkandidat Ilka kritisierte eine mangelhafte Beteiligung der Parteibasis und eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Er kam auf 17 Stimmen.
Lang geht in die Offensive
Lang sprach ihre leidenschaftlich vorgetragene Bewerbungsrede wegen einer Corona-Infektion aus ihrer Wohngemeinschaft heraus. Die Partei-Linke legte den Schwerpunkt auf soziale Fragen. "Die Verbindung von Klimaschutz und Gerechtigkeit zur Grundlage unserer Politik zu machen", sei die Aufgabe der Grünen im Jahr 2022. Die Partei übernehme Verantwortung, um eine Realität zu gestalten, die sie sich nicht aussuchen könne. "Dafür bin ich gerne bereit, auch mal eine schwierige Situation auszuhalten", sagte Lang mit Blick auf absehbare Spannungen zwischen Partei und Ampelkoalition.
Lang war zuletzt persönlichen Anfeindungen aus dem rechtsradikalen Lager ausgesetzt. Hierzu sagte die designierte Parteivorsitzende: "Ich bin 28 Jahre alt. Ich sehe aus, wie ich aussehe und ich bin verdammt stolz, Mitglied einer Partei zu sein, in der nichts davon darüber entscheidet, was mir zugetraut wird."
Nouripour will nicht mehr kellnern
"Wir sind die Unbeugsamen und wir sind das in Tradition", zog Nouripour eine historische Linie von Marianne Birthler und Milan Horacek zur Grüne-Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich und der sächsischen Landtagsabgeordneten Franziska Schubert, die beide immer wieder Anfeindungen ausgesetzt sind. Nouripour lobte den Ampelkoalitionsvertrag und betonte die Chancen darin für die Grünen. "Als Student habe ich gekellnert, heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz", sagte Nouripour unter Anspielung darauf, dass in der rot-grünen Regierung von 1998 bis 2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder den Grünen die Kellner-Rolle in der Koalition zugewiesen hatte.
Zur neuen Politischen Geschäftsführerin wurde Emily Büning gewählt. Die bisherige Organisatorische Geschäftsführerin beerbt damit Michael Kellner. Die 36-Jährige erhielt 88,4 Prozent der Stimmen. Eine Gegenkandidatur gab es nicht. Auch der Schatzmeister Marc Urbatsch wurde trotz Gegenkandidatur wiedergewählt. 67 Prozent der Stimmen trotz glänzender Zahlen sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass viele Delegierte sich an der Affäre um selbst genehmigte Corona-Bonuszahlungen stören.
Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Pegah Edalatian und Heiko Knopf gewählt. Edalatian ist Landtagsabgeordnete in Düsseldorf, Knopf wirkt als Vorsitzender der Grünen-Stadtratsfraktion in Jena. Im weiteren Verlauf des zweiten und letzten Tages der Bundesdelegiertenkonferenz wählt die Partei noch den 16-köpfigen Parteirat, dem beide Vorsitzende und der politische Geschäftsführer angehören, wird neu gewählt. Auf Kellners Nachfolge bewirbt sich einzig die bisherige organisatorische Geschäftsführerin Emily Büning.
Kellner geht mit Freude
Am Freitag waren Baerbock und Habeck tränenreich verabschiedet worden. Am Samstag folgten Dankesreden für die bisherige Vize-Vorsitzende Jamila Schäfer und für Michael Kellner, der sein Amt acht für die Partei besonders erfolgreiche Jahre ausgeübt hatte. "Parteien brauchen Wechsel und immer wieder neue Ideen", sagte der sichtlich bewegte Kellner. "Ich gehe mit Freude, weil der Plan, die Partei auf eine neue Stufe zu heben, aufgegangen ist."
Kellner blickte auf die größten Erfolge bei der Ausübung seines "Traumjobs" zurück, darunter eine Verdoppelung der Mitgliederzahl, die Beteiligung an zehn Landesregierungen und der neuen Bundesregierung sowie das "Comeback" der Grünen im Osten, wo die Partei wieder in allen Landesparlamenten vertreten ist. In seiner Laudatio auf Kellner pries DGB-Chef Reiner Hoffmann den neuen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium als "leidenschaftlichen Wahlkämpfer" und "klugen Strategen".
Kleine Klatschen für scheidenden Vorstand
Das in den vergangenen Jahren so dominante Spitzen-Trio Baerbock, Habeck und Kellner erhielt zwar viel Lob, bekam auf dem Parteitag dennoch ein paar Spitzen mit auf den Weg. Die prominenteste Kritik am für die Partei enttäuschenden Bundestagswahlergebnis übte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann: "Wir sind als Bündnispartei in diesen Bundestagswahlkampf gestartet und als Milieupartei gelandet", mahnte Kretschmann einen stärker auf die Mitte der Gesellschaft orientierten Kurs an.
Ein Antrag, die Aufarbeitung der Bundestagswahl einer eigenen Arbeitsgruppe aufzutragen und nicht dem Parteivorstand zu überlassen, erhielt - trotz einer engagierten Gegenrede von Habeck - immerhin 239 Ja-Stimmen. 370 Delegierte folgten dem neuen Bundeswirtschaftsminister. In einem Punkt, der dem Bundesvorstand noch wichtiger war, konnte sich die scheidende Parteispitze nicht durchsetzen: Inmitten des Bundestagswahlkampfes war die Partei über Wochen mit der Bearbeitung von mehr als 3300 Anträgen zum Wahlprogramm befasst.
Der Vorstand wollte deshalb durchsetzen, dass Antragsteller künftig die Unterstützung von 0,01 Prozent der Mitglieder brauchen, das wären derzeit 125 Mitglieder. Bislang reichte die Zustimmung von 20 Grünen zu einem Antrag, damit der Parteitag sich mit ihm befassen muss. Die gescheiterte Kanzlerkandidatin Baerbock hatte sich vergeblich hierfür starkgemacht. Am Ende einer langwierigen Abstimmung verständigte sich die Partei, das Quorum auf 50 Mitglieder anzuheben. Die für die Identität so wichtige basisdemokratische Beteiligung wog schwerer als der von den neuen Bundesministern gepriesene Effizienzgedanke.
Quelle: ntv.de