
"Es gab eine sehr solidarische Diskussion, in der sich alle nach vorne gerichtet unterhalten haben", sagt Scholz über die MPK.
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Die Bund-Länder-Runde beschließt, in der Corona-Politik Kurs zu halten. Das mag geboten sein, doch die Selbstdarstellung von Olaf Scholz irritiert zunehmend. Der Bundeskanzler sieht nur Erfolge, stellt Probleme in Abrede und verspielt so Glaubwürdigkeit.
Die am Montagabend zu Ende gegangene Ministerpräsidentenkonferenz zum Umgang mit der Corona-Pandemie fällt auf den ersten Blick in die Kategorie 'überraschungsarm'. Das von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene und von seiner Parteikollegin, Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey, bekräftigte Motto der Veranstaltung lautet "Kurs halten". Das klingt gut, klingt nach "alles im Griff". Doch die Rhetorik trügt: In den kommenden Wochen werden sich Millionen Menschen mit dem Coronavirus-Erreger infizieren. Eine gebremste Teil-Durchseuchung passiert, auch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer Durchseuchung immer gewarnt hat. Doch weil wichtige Vorbereitungen unterlassen worden sind, streckt Deutschland die Waffen vor der Omikron-Variante. Scholz sagt das aber nicht. Er redet stattdessen die Lage schön, genauso wie er den Verlauf des Bund-Länder-Treffens in ein übertrieben positives Licht stellt.
Seit Scholz Kanzler ist, werden er und die SPD nicht müde, eine vermeintlich neue Einigkeit und Effizienz der Ministerpräsidentenkonferenzen zu loben. Dass die CDU/CSU-regierten Länder meist unzufrieden zurückbleiben, dass das von einem Grünen regierte Baden-Württemberg und von einem Linken regierte Thüringen die MPK-Beschlüsse regelmäßig in den Beschlüssen angehängten Protokollerklärungen kritisieren, darüber schweigt Scholz. Auch an diesem Montag sprach er von einer "sehr guten" Konferenz und betonte auf Nachfrage, der Austausch mit den Ministerpräsidenten sei "solidarisch" und "nach vorn gerichtet gewesen".
Welcher Streit?
In Wahrheit haben gleich mehrere Länderchefs Lauterbach die Leviten gelesen für die so überraschende wie unangekündigte Verkürzung der Genesenen-Frist durch das Robert-Koch-Institut am vergangenen Freitag. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier warf Lauterbach in der Videoschalte vor, so eine Kommunikation in 30 Jahren noch nicht erlebt zu haben. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach hernach von "Holterdipolter"-Kommunikation und "kritischen Bemerkungen über die Parteigrenzen hinweg".
Doch auf der anschließenden Pressekonferenz tat Scholz ahnungslos und lobte seinen "großartigen Minister", der in so kurzer Amtszeit noch gar nicht Gelegenheit hatte, so etwas wie Großartigkeit unter Beweis zu stellen. Scholz' Schönfärberei des Eklats ist gleich zweifach problematisch. Erstens scheint der Bundeskanzler nicht unbedingt aufrichtig über den Verlauf der Ministerpräsidentenkonferenz zu informieren. Zweitens redet er ein Problem klein, das aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger sehr wohl ein großes ist: Es fehlt in der Corona-Politik an Verlässlichkeit. Was wurde den Menschen nicht alles versprochen, wenn sie sich ja nur impfen lassen. Jede weitere Enttäuschung, jede weitere überraschende Regeländerung kostet die Politik Vertrauen. Transparenz und Selbstkritik könnten dem entgegenwirken, aber Scholz will lieber geräuschlos und nach außen geschlossen regieren.
Vom PCR-Mangel überrascht
Was aber noch schlimmer wiegt: Deutschland verliert so vermeidbar wie absehbar Kontrolle und Übersicht über das Pandemiegeschehen. Obwohl schon im Dezember tägliche Neuansteckungen im sechsstelligen Bereich prognostiziert worden waren, scheinen Bund und Länder von der Überlastung der PCR-Testkapazitäten überrascht worden zu sein. Weder in den vergangenen Monaten noch kurzfristig ist ein Versuch zur Erweiterung dieser Kapazitäten unternommen worden.
Lauterbachs Verweis bei "RTL aktuell", die 400.000 PCR-Tests, die allein die Stadt Wien stemmen kann, seien nur eine Art Light-Version des deutschen Labortests, ist wieder so ein Schönreden. Österreich behält damit trotzdem den Überblick und die Bürger des Landes eine ordentliche Grundlage zur eigenen Isolierung und frühzeitigen Behandlung möglicher Symptome. In Deutschland sollen sich die Menschen künftig mit Selbsttests in die Quarantäne hinein- und heraustesten, mit ungelösten Fragen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die am Montag vereinbarte, noch nicht terminierte Testverordnung hierzu steckt offenbar noch in den Kinderschuhen.
"Priorisieren" heißt Einschränken
Derweil behauptet die Bundesregierung, die Schnelltests verschafften ausreichend Sicherheit, obwohl auch Erkrankte mit Symptomen zuhauf von falsch-negativen Testergebnissen zu berichten wissen. Zudem setzt diese Ausweichstrategie darauf, dass sich wider sämtliche Erfahrungswerte alle Menschen umsichtig verhalten und gründlich selbst testen werden; in Testzentren fahren, die nicht überall so schnell zu erreichen sind, wie in Berlin-Mitte oder sich selbst im Internet Tests beschaffen, denn die Schnelltest-Versorgung im Einzelhandel ist nicht zuverlässig. Doch auch davon wissen Scholz und Lauterbach nach eigenem Bekunden nichts.
Die PCR-Tests werden ja auch nur - noch so eine rhetorische Schönfärberei - "priorisiert". Gemeint ist aber: Der Zugang wird eingeschränkt und die statistische Erfassung der Infizierten praktisch aufgegeben. Wie viele Menschen infiziert sind, wird künftig anhand der Krankschreibungszahlen und der Krankenhausauslastung hochgerechnet. Wer auf solche Zahlen reagieren muss, reagiert spät.
Nichts als Erfolge
Auch in der leidigen Impffrage lässt Scholz ausschließlich Erfolge gelten und schweigt sich über Probleme aus. Jeweils 30 Millionen Impfungen hatte Scholz für Dezember und Januar angepeilt. Das hat im Dezember gut geklappt, als die Impfwilligen endlich ein breites Booster-Angebot erhielten. Zum Januar räumt Scholz erst auf Nachfrage ein: "Das werden wir nicht mehr zielgerecht erreichen an dem Tag, wo ich mir das wünschen würde." Viel lieber redet er deshalb darüber, dass Deutschland die erfolgreichste Booster-Kampagne auf die Beine gestellt habe. Dabei lassen sich im europäischen Vergleich noch erfolgreichere Länder finden.
So sind die Beispiele von Scholz' Schönrednerei zahlreich und für die Bürgerinnen und Bürger auch leicht zu durchschauen. Angesichts des Ernstes der Lage und der wachsenden Zahl an verpassten Chancen, die Pandemie klüger zu handhaben, wirkt das mindestens unangemessen. Der ewig pragmatisch denkende Kanzler mag den von ihm verbreiteten Zweckoptimismus für geboten halten. Wer aber Konflikte permanent in Abrede stellt und Probleme klein redet, verliert an Glaubwürdigkeit und Vertrauen - das wichtigste Gut eines gewählten Politikers.
Quelle: ntv.de