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Syrer in Deutschland Rein geht immer, raus geht nimmer?

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Jens Spahn von der CDU hat vorgeschlagen, jedem syrischen Flüchtling, der nach Syrien zurückkehrt, den Flug und ein Startgeld von 1000 Euro zu zahlen.

Jens Spahn von der CDU hat vorgeschlagen, jedem syrischen Flüchtling, der nach Syrien zurückkehrt, den Flug und ein Startgeld von 1000 Euro zu zahlen.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Der syrische Regimewechsel bringt den finalen Test für das deutsche Asylsystem: Verlassen die Schutzbedürftigen Deutschland, wenn sie keinen Schutz mehr brauchen? Und wie wird entschieden, wer bitte bleiben soll?

Noch weiß niemand, ob das neue Regime in Syrien besser für die Menschen sein wird als das alte. Manches spricht dafür, weil fast alles menschlicher sein dürfte als die Assad-Herrschaft. Aber fest darauf bauen kann heute wohl keiner, wie auch? Das ist ein Grund, sich nicht vorschnell auf Prognosen oder gar handfeste Konsequenzen festzulegen. Aber es ist definitiv kein Grund, das Denken einzustellen oder eine Debatte abzuwürgen, die an den Kern des deutschen Asylsystems führen wird. Führen muss.

Jens Spahn von der CDU hat vorgeschlagen, jedem syrischen Flüchtling, der nach Syrien zurückkehrt, den Flug und ein Startgeld von 1000 Euro zu zahlen. Was an Kritik von Grünen und SPD prompt über ihm zusammenschlug, ist ein lächerlicher Reflex, der größere Teile der Gesellschaft zu Recht verstören dürfte: Zum einen gibt es solche Programme seit Langem, ganz offiziell vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration. Zum anderen sollte eine zivilisierte Debatte über die hiesigen Folgen des Regimewechsels jetzt beginnen, auch wenn dessen finale Gestalt vorerst vage bleibt. Es ist natürlich, wenn sich alle Syrer in Deutschland fragen, was die letzten zehn Tage für sie bedeuten. Aber ebenso selbstverständlich ist es, wenn sich die Deutschen und alle, die schon lange hier leben, das auch fragen: Was bedeutet es für uns? Das ist doch nicht zynisch.

Vor allem aber: Was bedeutet der Regimewechsel für das deutsche Asylsystem? Nämlich den finalen Test auf Tauglichkeit, und das vor den Augen aller Wähler.

"Subsidiärer" Schutz für Hunderttausende könnte erlöschen

Mehr als zwei Drittel der in Deutschland lebenden Syrer, an die 700.000 Menschen, konnten keine individuelle politische Verfolgung geltend machen. Sie sind auch keine Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Sie haben stattdessen einen befristeten, sogenannten "subsidiären" Schutz. Das ist eine untere Schutzkategorie, gebunden an einen drohenden "ernsthaften Schaden", vor allem durch Bürgerkrieg oder totale staatliche Willkür.

Wenn diese Bedingungen entfallen, weil der Bürgerkrieg zu Ende ist und mindestens bestimmte Regionen des Landes unter keiner staatlichen Willkür leiden - dann müsste auch das Bleiberecht in Deutschland über kurz oder lang erlöschen. Andernfalls macht das Ganze keinen Sinn. Wenn die Prüfung der Umstände wie eine Einbahnstraße nur in die Richtung "Bleiberecht" führt, können wir es auch gleich ganz sein lassen. Genau dieser Eindruck ist leider entstanden in den letzten Jahren: Wer es einmal bis nach Deutschland in ein Asylverfahren schafft, kann derzeit mit über 90 Prozent Sicherheit davon ausgehen, bleiben zu dürfen. Ganz gleich, wie sein Verfahren ausging. Man wird das Gefühl nicht los: rein geht irgendwie immer, raus so gut wie nimmer.

So gesehen dürfte der Regimewechsel in Syrien eine Chance werden, dem deutschen Asylsystem neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen: bei denen wohlgemerkt, die seine unvermeidlichen Lasten zu tragen haben. Das könnte die Bundestagswahl mitentscheiden.

Ist Deutschland ein Einwanderungs- oder ein Fluchtland?

Wer keinen Schutz mehr braucht, der sollte in sein Herkunftsland zurückgehen. So pauschal das klingt, heißt es nicht, dass alle Syrer automatisch zurückmüssen oder zurücksollen, wenn sich die neue Lage als stabil und sicher erweist. Es heißt vielmehr, dass das Fluchtland Deutschland beweisen könnte, dass es ist, was es aus ökonomischen Gründen so oft vorgibt zu sein: ein "Einwanderungsland".

Im Sommer sagte der Bundeskanzler: "Dürfen wir uns aussuchen, wer nach Deutschland kommt? Ja." Tatsächlich sucht sich ein Einwanderungsland seine Einwanderer so gut es geht selber aus, nach welchen Kriterien auch immer. Ein Fluchtland hingegen nimmt Flüchtlinge auf, wenn und wie sie kommen und solange die Mittel reichen. Im Übergang vom einen zum anderen müssten die Verantwortlichen in Deutschland nun bestimmen, welche Menschen, die als Flüchtlinge in den letzten zehn Jahren aus Syrien kamen, trotz der neuen Umstände bitte bleiben sollen. Und welche, bitte, wegen der neuen Umstände gehen sollen. Weil sie, noch im Asylverfahren, keinen Schutz mehr brauchen. Weil sie, mit befristetem Bleiberecht, nicht gut integriert sind und nicht regulär arbeiten. Vielleicht auch, weil ihnen eine Rückkehr wirklich zuzumuten ist. Wie gesagt: Es wären Bürgerkriegsflüchtlinge aus einem Land, in dem der Bürgerkrieg beendet ist.

Man merkt sofort: Diese Abwägungen sind außerordentlich heikel und in jede Richtung sehr leicht verhetzbar. Die möglichen Wege, die Entscheidungen zu vollziehen, sind es erst recht. Wahlkampf hin oder her, die gesellschaftliche Debatte sollte trotzdem so schnell wie möglich beginnen. Sich ihr stellen muss man in jedem Fall: Wenn wir wissen wollen, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht.

Quelle: ntv.de

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