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Mitschuld an der Misere Schröders Werk und Merkels Beitrag

"Niemand will einseitig und völlig einseitig von Russland abhängig werden", sagte Merkel 2019 - hier bei einem Besuch im Kreml im August 2021.

"Niemand will einseitig und völlig einseitig von Russland abhängig werden", sagte Merkel 2019 - hier bei einem Besuch im Kreml im August 2021.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Das Denkmal, das der Ex-Kanzlerin schon zu Lebzeiten errichtet worden ist, befindet sich gerade im Einsturz. Langsam fällt der Groschen, was Angela Merkel Deutschland hinterlassen hat - nicht nur Gutes.

"Deutschland ist eines der leistungsfähigsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Welt. Und die Voraussetzung, dass das auch so bleibt für unsere Unternehmen, ist, dass wir eine wettbewerbsfähige Energieversorgung haben", hieß es. Und weiter: "Unsere Bürger vertrauen darauf, dass Strom zu jedem Zeitpunkt ausreichend verfügbar ist. Und unsere Energieversorgung soll klimaverträglich, umweltverträglich sein." Danach wurde der "Anspruch" der Bundesregierung formuliert: "Wir wollen unseren Stromverbrauch selbstständig erzeugen, das heißt, nicht von Stromimporten abhängig sein." Und um das alles zu schaffen, "brauchen wir eine neue Architektur unseres Energiewesens".

Wer das gesagt hat? Annalena Baerbock im Wahlkampf? Robert Habeck als Wirtschaftsminister? Falsch. Angela Merkel. Und zwar am 30. Mai 2011, als sie den Atomausstieg verkündete. Als Motiv nannte die Christdemokratin den Tsunami vom 11. März 2011, der auch das AKW Fukushima traf, das weniger gegen Naturkatastrophen geschützt war als vergleichbare Anlagen in Deutschland, wo vor einem Jahrzehnt deutlich höhere Sicherheitsstandards galten als in Japan.

Heute steht der Atomausstieg als eklatantes Beispiel für Merkels Regierungskurs, der sich vor allem nach Umfragen ausrichtete und nicht nach einer inneren Richtschnur oder gar konservativer Politik. Hauptsache, die Union, die das 16 Jahre lang bedingungslos mitmachte, gewinnt auch die nächste Wahl, lautete die Devise. Erst Monate vor dem Atomausstieg hatte Merkels Kabinett den Beschluss der rot-grünen Bundesregierung zum Verzicht auf Kernkraft rückgängig gemacht. Schon damals war klar, dass es der Kanzlerin zwar auch um die Sache ging, vor allem aber darum, dem linken Lager, insbesondere den Grünen, ein hochemotionales Wahlkampfthema zu nehmen. Wer es in jenen Wochen wagte, den Atomausstieg zu kritisieren, wurde als reaktionäre Steinzeitfigur verunglimpft.

Das Denkmal stürzt ein

Wie immer drückte sich Merkel davor, selbst Entscheidungen zu treffen, wie es konkret weitergehen sollte. Für die "neue Architektur unseres Energiewesens" wurde eine "Ethikkommission" ins Leben gerufen, was nebenbei die Frage aufwirft, warum sich Deutschland einen Regierungsapparat mit Tausenden Beamten leistet, wenn dann doch Fundamentales nach außen delegiert wird.

So nachvollziehbar der Atomausstieg jenseits aller Parteitaktik unter dem Eindruck der Tsunami-Katastrophe war, so überstürzt, stümperhaft und teuer wurde er vollzogen. Was dabei herauskam, ist inzwischen bekannt: Merkel machte die deutschen und russischen Energiekonzerne, Diktator Wladimir Putin und seinen Vasallen Gerhard Schröder glücklich. Deutschland ist von russischen Energielieferungen so abhängig, dass es aus Sicht der Ampelkoalition Öl- und Gaslieferungen nicht boykottieren kann.

"Unsere Bürger vertrauen darauf, dass Strom zu jedem Zeitpunkt ausreichend verfügbar ist", hatte Merkel 2011 versprochen, aber kümmerte sich nicht entschlossen genug um den Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern um die Eurorettung, die Flüchtlingskrise und in der letzten Amtszeit um Auslandsreisen, damit sie sich überall noch einmal anhören durfte, was für eine geniale Kanzlerin sie doch gewesen sei. Aber das Denkmal, das Merkel schon zu Lebzeiten errichtet worden ist, befindet sich gerade im Einsturz.

Für Merkel blieb Russland ein Partner

Noch im Wahlkampf lobte der gescheiterte CDU/CSU-Kanzlerkandidat Armin Laschet Merkels Zeit als "16 gute Jahre für Deutschland". Ständig hieß es aus der Union und der Bevölkerung: "Wir werden sie vermissen." Ein großer Irrtum. Niemand ruft oder hat Sehnsucht nach einer, die dafür gesorgt hat, dass Deutschland energiepolitisch von einem mordenden Kriegsverbrecher abhängig ist. Selbst die "Zeit", wahrlich nie an vorderster Front der Merkel-Kritik, fällt in einer starken Analyse von Tina Hildebrandt ein bitteres Urteil: "Das, was gerade passiert, überschattet vieles, es verdunkelt auch Merkels Erbe."

Inzwischen dämmert es auch unter (früheren) Merkel-Anhängern: Deutschland ist nicht wegen, sondern trotz ihrer Politik eine starke Industrienation. Und: Dass die Welt aussieht, wie sie gerade aussieht, hat mit Merkel zu tun. Die Ex-Kanzlerin hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Georgien und die Ukraine 2008 keine Perspektive zum NATO-Beitritt erhielten. Die Bundeswehr verfügt über schrottreife Ausrüstung, bis heute ist nicht bekannt, ob und wie sich Konsequenzen aus der Berateraffäre unter der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Auftragsvergabe ausgewirkt haben.

"Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül - egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt", erklärte Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 16. Februar 2019. Den Bau von Nord Stream 2 verteidigte sie, da "die Frage, wie abhängig wir von russischem Gas sind", nicht davon abhänge, "durch welche Pipeline es fließt". Und weiter: "Niemand will einseitig und völlig einseitig von Russland abhängig werden. Aber wenn wir schon im Kalten Krieg russisches Gas bekommen haben - als ich noch auf der DDR-Seite saß und wir dort sowieso russisches Gas bekommen haben, aber als auch die alte Bundesrepublik in hohem Umfang russisches Gas eingeführt hat -, dann weiß ich nicht, warum die Zeiten heute so viel schlechter sein sollen, dass wir nicht sagen: Russland bleibt ein Partner."

"Eine heikle Nähe" im Wirtschaftsministerium zu russischen Konzernen

An diese Aussagen muss der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gedacht haben, als er neulich im Bundestag Merkel und dem Rest der deutschen Politik die Leviten las: "Als wir Ihnen sagten, dass die Nord-Stream-Leitungen Waffen sind und der Vorbereitung auf einen großen Krieg dienen, hörten wir die Antwort: Es geht hier aber um die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft."

Beteiligt waren daran Union und SPD - und nicht nur Putins deutscher Cheflobbyist Schröder. Wie es in der schon erwähnten "Zeit"-Analyse heißt, machte der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel "unglaublichen Druck" in der Großen Koalition, dass Nord Stream 2 gebaut wird. Die Union flankierte den Kurs damit, dass Gazprom staatlich unkontrolliert blieb und die meisten der deutschen Erdgasspeicher übernahm. Laut "Spiegel" fiel Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, ein Christdemokrat, nicht auf, dass die Unternehmen die Anlagen halb leer ließen, obwohl sie damit auf Milliarden verzichteten. Dem Magazin zufolge gibt es seit Gabriels Zeit im Wirtschaftsministerium "eine heikle Nähe zu den russischen Konzernen, unter Altmaier arbeiteten diese Seilschaften fleißig weiter".

Hinterher ist man immer schlauer - stimmt. Merkel wollte die Energiepreise niedrig halten - einverstanden. Sie ist integer und würde sich niemals wie Schröder von einem Diktator kaufen lassen. Aber als Kanzlerin trug sie Gesamtverantwortung für die Suppe, die Deutschland nun auslöffeln muss. Merkels Schweigen - nach einer allgemeinen Verurteilung des Krieges und Putins Zutun - ist bezeichnend. Ihr Umfeld ist schon dabei, auch das romantisch zu verklären und zu beteuern, sie, die edelmütige Ex-Kanzlerin, wolle ihrem Nachfolger Olaf Scholz nicht ungefragt Rat geben.

Wichtiger wäre, sich hinzustellen und einfach mal zu sagen: "Mist, ich habe mich getäuscht und grobe Fehler begangen." Das schafft Merkel nicht, dazu ist sie zu eitel. Schade.

Quelle: ntv.de

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