Person der Woche: Ramsan Kadyrow Kritikern lässt er die Fußnägel ausreißen
19.09.2023, 08:23 Uhr Artikel anhören

Kadyrow posiert auf einem T72-Kampfpanzer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny (Archivbild).
(Foto: picture alliance/dpa/Head of Chechen Republic)
Der Tschetschenenführer ist offenbar schwer krank. Putin droht nach Prigoschins Wagnertruppe die zweite Söldnerarmee zu verlieren. Eine besonders brutale dazu. Kadyrow ist eine grauenhafte Fratze des Putin-Regimes. Trotzdem haben sich westliche Stars von ihm einkaufen lassen - inklusive Lothar Matthäus.
Britische Boulevardmedien nennen ihn "Putin's Bloodhound" - denn die Grausamkeit des Tschetschenenführers ist atemraubend. Doch nun ist der 46-Jährige selbst angeschlagen. Die Gerüchte überschlagen sich, das ukrainische Medienportal "Obozrevatel" behauptet zunächst, Kadyrow liege seit Tagen im Koma, dann meldet er sich selbst als noch lebend mit einem Video, in dem er aufgedunsen mit Regenkapuze umher wankt. Der ukrainische Geheimdienst meint, Kadyrow sei "in ernstem Zustand" und leide unter einer schweren Nierenerkrankung. Der EX-KGB-Offizier und Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow behauptet, eine Nierentransplantation sei gescheitert. Einige Quellen wollen wissen, dass er aus Moskau geflohen sei. Andere, dass Kadyrow vergiftet wurde und nach der Ermordung von Prigoschin der nächste Kriegsfürst sei, an dem sich die russische Militärführung räche.
Egal, ob er nun schwer- oder todkrank, ob er tatsächlich Opfer der innerrussischen Machtkämpfe ist oder nicht : Die Nachrichten sind für Wladimir Putin ein politischer Schlag. Denn Ramsan Kadyrow ist ein dunkler Eckpfeiler von Putins Machtapparat. Er garantiert ihm nicht nur Stabilität in Tschetschenien, er stellt Putin auch eine komplette Söldnerarmee zur Verfügung und dient ihm als Untergrund-Geheimdienst, als Foltertruppe und Killer-Kommando.
"Wir sind die Infanterietruppen Putins"
Erst vor wenigen Tagen ist in Bayern ein Kadyrow-Mordkomplott zur Verurteilung gekommen. Der Tschetschene Mochmad Abdurachmanow sollte getötet werden, weil er einen Youtube-Kanal betreibt und in seinen Videos Kadyrow kritisiert. Der Auftragskiller wurde kurz vor der Tat gefasst und ist nun zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Dass Kritik an Kadyrow für Exil-Tschetschenen auch in EU-Ländern gefährlich werden kann, zeigen mehrere Attentate auf Kadyrow-Gegner in jüngster Zeit. In Lille wurde Imran Aliyev getötet, kurz darauf Mamihan Umarow in der Nähe von Wien. Auch sie hatten Kadyrow in den sozialen Medien kritisiert und sich über ihn lustig gemacht.
Kadyrow versteht sich als Spezialgeneral des Kreml. Bereits im Dezember 2014 erklärte er vor 20.000 bewaffneten Männern im Stadion von Grosny: "Wir sind die Infanterietruppen Putins." Es gebe Aufgaben, die keine Luftwaffe, keine Marine, keine Armee und keine Nuklearwaffen bewältigen könnten, sondern nur freiwillige Sondereinheiten.
Stütze im Ukraine-Krieg
Kadyrows Truppen sind auch im Ukraine-Krieg an der Seite Russlands im Einsatz. Die tschetschenische Sondereinheit "Achmat" hatte beispielsweise bei der Eroberung von Mariupol eine Schlüsselrolle inne. Im Februar 2022, gleich nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, schickte Kadyrow einen Teil seiner Nationalgarde mit dem Auftrag nach Kiew, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu töten. Am 3. Oktober 2022 erklärte Kadyrow im propagandistischen Überschwang, dass seine drei minderjährigen Söhne im Alter von 14, 15 und 16 Jahren an die Front in der Ukraine kommen würden, um dort mit den russischen Truppen zu kämpfen. Zwei Tage später wurde er auf Weisung von Putin zum Generaloberst im russischen Militär befördert.
Kadyrow hat eigenen Angaben zufolge Zehntausende Freiwillige zum Kämpfen in die Ukraine geschickt. Militärexperten halten die Zahl zwar für weit übertrieben. Doch seine Einheiten sind für ihre Rücksichtslosigkeit berüchtigt - innerhalb der regulären russischen Armee werden sie als brutale Konkurrenz zugleich verachtet und gefürchtet. Der Machtkampf zwischen den regulären Truppen und den Söldnerheeren ist vielerorts sichtbar geworden.
Putins Pfeiler im Pulverfass Kaukasus
Sollte Kadyrow sterben oder seine Autorität nicht länger ausüben können, droht Putin nach dem Putschversuch von Prigoschins Wagner-Truppe der Verlust seiner zweiten Söldner-Armee. Die ohnehin labile Frontlinie könnte (aus Sicht Moskaus) damit weiter geschwächt werden. Zugleich droht Putin dann offenes Ungemach aus Tschetschenien und in der gesamten Kaukasusregion: Kadyrows Tod würde sofort ein Macht-Vakuum bedeuten, denn seine Söhne sind zu jung für die Übernahme des Präsidentenamtes. Das amerikanische Sicherheits-Institut ISW fasst die Gemengelage so zusammen: "Die Destabilisierung von Kadyrows Herrschaft in Tschetschenien wäre ein schwerer Schlag für Putins Regime."
Kadyrows Feinde warten nur auf den Moment des Machtvakuums. So hat der Kommandeur des tschetschenischen Scheich-Mansour-Bataillons, Muslim Tscheberlojewskij, der Kadyrow öffentlich einen Verräter nennt, angekündigt, Tschetschenien von dessen Machtclique zu befreien.
Kadyrow hat seit seiner Amtseinführung 2007 die russische Teilrepublik in eine Diktatur von Moskaus Gnaden verwandelt, die Kritiker, politische Gegner und Dissidenten mit bestialischer Brutalität verfolgt, auch im Ausland. Kadyrow untersteht mit der Kadyrowzy eine eigene paramilitärische Einheit, die an keine Rechtsnormen gebunden ist und der von Menschenrechtsorganisationen schwere Verbrechen wie Entführung, Folter und Mord vorgeworfen werden. So seien Kritiker von Kadyrow von dessen Schergen regelmäßig die Zehen ausgerissen, Regimekritiker mit Elektroschocks gefoltert worden. Die "Zeit" berichtet im Jahr 2011: "Bei Folterungen soll Kadyrow nach Augenzeugenberichten zuweilen selbst Hand anlegen. Von Zeit zu Zeit zieht er in die Gebirgswälder aus, um dort Kämpfer zu erlegen. Zum Halali schreitet er die Strecke der Getöteten ab." Auch Homosexuelle werden in Kadyrows Regime brutal verfolgt und gefoltert. Kadyrow erklärte in einem CNN-Interview: "Wir haben hier solche Leute nicht. Wir haben keine Schwulen. Falls es welche gibt, nehmt sie mit nach Kanada."
"Das Geld kommt von irgendwo her"
Kadyrow wird international als ein Terrorpate Putins geächtet, er steht seit 2014 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und seit 2017 wegen grober Menschenrechtsverstöße auf der Magnitski-Liste der USA, was das Einfrieren sämtlicher Vermögenswerte vorsieht.
Trotz der westlichen Sanktionen lebt Kadyrow ein Leben in obszönem Luxus. Er wohnt mit Frau und Nebenfrau und zwölf offiziellen Kindern in Protz-Palästen, fährt einen der teuersten Lamborghinis der Welt, dazu einen Rolls Royce Drophead Coupe, Mercedes SLR McLaren sowie weitere Sportflitzer und Luxus-Geländewagen von Ferrari bis Audi. Seine Leibwächter fahren Porsche. Auf die Frage, wie er sich diesen Luxus leisten könne, antwortete Kadyrow einmal: "Allah sorgt für uns. Ich weiß es nicht. Das Geld kommt von irgendwoher." Und so tritt er auch während des Ukraine-Krieges demonstrativ in Prada-Stiefeln und Jacken von Louis Vuitton auf.
Matthäus an Kadyrows Seite
Auch westliche Stars kauft er sich gerne ein, um Reichtum und Macht zu demonstrieren. So veranstaltete er zu seinem 35. Geburtstag eine Feier, die vom russischen Konzern AFK Sistema organisiert wurde. Hierbei traten unter anderem der Popstar Seal, die Violinistin Vanessa-Mae und der Schauspieler Kevin Costner auf. Im Februar 2013 ernannte Kadyrow den französischen Schauspieler Gérard Depardieu zum Ehrenbürger von Grosny und schenkte ihm eine Luxus-Wohnung in der Stadt.
Im März 2011 wurde in Grosny ein Fußballspiel veranstaltet, bei dem eine tschetschenische Auswahl gegen eine brasilianische Weltmeistermannschaft antrat. Jeder Spieler habe umgerechnet 215.000 Euro erhalten, hieß es hernach. Während des Spiels feuerten die rund 10.000 Zuschauer ihre Mannschaft mit "Allah ist groß"-Rufen an. Im tschetschenischen Team spielte neben Ramsan Kadyrow (als Kapitän) auch ein Deutscher; die Brasilianer gewannen mit 6:4, Kadyrow schoss dabei zwei Tore. Der Deutsche war die Weltmeisterlegende Lothar Matthäus. Er hatte bei seiner Ankunft in Grosny der ARD gesagt, Fußball habe nichts mit Politik zu tun.
Quelle: ntv.de