Person der Woche Dieser Mann ist verantwortlich für Griechenlands verblüffendes Wirtschaftswunder
02.07.2024, 08:49 Uhr Artikel anhören
Vor zehn Jahren stand Griechenland vor dem Bankrott. Heute mausert es sich zum Musterknaben der EU. Sogar die Sechs-Tage-Woche wird nun eingeführt. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat ein Vorbild: Ludwig Erhard.
Deutschland debattiert über die Vier-Tage-Woche, Saskia Esken (SPD) ist dafür, Friedrich Merz (CDU) dagegen, Grüne und Gewerkschaften sympathisieren damit, die FDP ist skeptisch, Institute suchen kreative Modelle, Arbeitgeber sind entsetzt und schlagen Alarm. Mitten hinein in die deutsche Debatte beschließt Griechenland die Einführung der Sechs-Tage-Woche als Option. Die verblüffende Nachricht aus Athen wirkt in der Standortdebatte wie ein Augenöffner. Denn die Griechen sind laut Statistikbehörde Eurostat ohnehin schon viel fleißiger als die Deutschen. Sie führen mit 39,8 Stunden die europäische Rangliste der Wochenarbeitsstunden an. Für Deutschland verzeichnet die Auflistung im Schnitt nur noch 34 Wochenstunden.
Ausgerechnet Griechenland zeigt Deutschland in der aktuellen Standortkrise, wie man ein Wirtschaftscomeback organisiert. Analysten und Investoren überschlagen sich derzeit im Lob: Comeback des Jahrzehnts, Aufsteiger Europas, Wirtschaftswunderland. Der "Economist" hat Griechenland zweimal hintereinander zur Volkswirtschaft des Jahres gekürt. Weltweit seien derzeit nur Indien und Argentinien ähnlich dynamisch unterwegs, ihre Wettbewerbsbedingungen zu verbessern.
International und polyglott
Vor zehn Jahren schien Griechenland hoffnungslos ruiniert. Vor dem Staatsbankrott und dem Totalabsturz rettete nur ein gewaltiger Euro-Rettungsschirm mit Hunderten Milliarden Hilfsgeldern. Heute kommen aus Athen andere Schlagzeilen: Die Arbeitslosigkeit ist halbiert, die Wirtschaft wächst schneller als im Rest Europas, die Staatsverschuldung sinkt rapide, kein anderes Land der Euro-Zone hat in den vergangenen zwei Jahren seine Schuldenquote so schnell gesenkt wie Griechenland. Das Rating wird angehoben. Die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen liegt derzeit mit rund 3,7 Prozent niedriger als in Großbritannien, Italien oder den USA. Zum Vergleich: Im März 2012 erreichte die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen ihr historisches Rekordhoch von rund 42 Prozent. Heute kann Griechenland seine Schulden sogar vorzeitig tilgen.
Das Comeback Griechenlands ist Folge einer konsequenten Reformpolitik des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Er musste nach seinem Amtsantritt gleich vier Krisen der Extra-Klasse bewältigen. Neben der Wirtschaftsdepression und der Corona-Pandemie musste Athen sich einer aggressiven, kriegslüsternen Türkei erwehren und obendrein auch noch das Flüchtlingschaos an seinen Grenzen und in Lagern wie Moria bewältigen. Zur Verblüffung der europäischen Öffentlichkeit gelang Mitsotakis all das erstaunlich geschickt.
Nach den schillernden sozialistischen Experimenten der wild-linken Regierungsgeneration von Alexis Tsipras bis Yanis Varoufakis wollten die Griechen das seriöse, bürgerliche Gegenbild - einen Mann der Mitte, der endlich für einen echten Aufschwung sorgt. Mitsotakis verkörpert das auf geradezu klischeehafte Weise. Der Ministerpräsident und ehemalige Investmentbanker entstammt einer der ältesten Politikerdynastien des Landes, der Vater war bereits Ministerpräsident, seine ältere Schwester schon einmal Außenministerin, die ganze Familie lebte während der griechischen Militärdiktatur im Exil. Mitsotakis ist auch deshalb außergewöhnlich international und polyglott: Harvard, Stanford, McKinsey, geschliffenes Englisch. Dazu ein geschmeidiges, diplomatisches Auftreten mit Charisma. Fragt man Mitsotakis, wer sein Vorbild für die Reformpolitik sei, dann nennt er Ludwig Erhard. Und so tritt er schon mal auf dem deutschen Ludwig-Erhard-Gipfel auf.
Förderprogramme verleihen zusätzlichen Schub
Tatsächlich macht Mitsotakis seinem Vorbild alle Ehre. Mit seiner marktwirtschaftlichen Agenda lockt er Auslandsinvestitionen wieder ins Land, Kredite bekommt das Land wieder auf dem freien Markt. Das wichtige Tourismusgeschäft boomt (im laufenden Jahr werden mehr als 32 Millionen Besucher erwartet, mit Kreuzfahrtreisenden werden es sogar mehr als 35 Millionen) und zusätzlichen Schub sollten die von Mitsotakis geschickt ausgehandelten Förderprogramme der EU verleihen: Allein für den Zeitraum von 2021 bis 2027 wird Griechenland von der europäischen Konjunktur- und Resilienzfazilität 31 Milliarden Euro an Unterstützungsmaßnahmen zugewiesen bekommen. Zusätzlich erhält das Land bis 2027 39 Milliarden Euro aus dem europäischen Strukturfonds.
Und so folgen die leidgeplagten Griechen ihrem Mitsotakis-Erhard durch alle Reformen. Bei den Europawahlen erreichte seine Partei mit 28,31 Prozent doppelt so viele Stimmen wie die linke Syriza-Opposition. Warum? Weil das einstige Sorgenkind Europas sein Ludwig-Erhard-Wirtschaftswunder erlebt - zuweilen muss man dafür aber auch sechs Tage arbeiten.
Quelle: ntv.de