Person der Woche

Person der Woche Wenn Nancy Faeser den Seehofer macht

IMG_ALT
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden

Schlittert Deutschland in eine neue Flüchtlingskrise? Die Stimmung im Land erhitzt sich und die AfD holt Grüne wie SPD in Umfragen fast ein. Nun plant Ministerin Nancy Faeser eine Wende in der Asylpolitik mit alten CSU-Rezepten. Horst Seehofer jubelt bereits.

Normalerweise schweigen Ex-Minister über ihre Nachfolger ziemlich eisern. Horst Seehofer bricht derzeit mit dieser Regel des politischen Betriebs. Er ist über die asylpolitische Wende seiner Amtsnachfolgerin Nancy Faeser so begeistert, dass das Lob schier aus ihm herausplatzt: "Ich begrüße diesen Schritt und wünsche Frau Faeser eine glückliche Hand", lobt der CSU-Grande seine SPD-Amtsnachfolgerin. Sie habe eine gute Chance, das zu realisieren, was ihm versagt geblieben sei.

Nancy Faesers Pläne für ein geändertes Asylsystem ähneln dem, was Horst Seehofer in seiner Amtszeit nicht durchsetzen konnte.

Nancy Faesers Pläne für ein geändertes Asylsystem ähneln dem, was Horst Seehofer in seiner Amtszeit nicht durchsetzen konnte.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seehofer hatte nach der Flüchtlingskrise von 2015 immer wieder eine "Asylwende" sowie den "Schutz der Außengrenzen" eingefordert und musste dafür harte Kritik einstecken. Als CSU-Chef, Bayerns Ministerpräsident und später als Bundesinnenminister hatte er "Transitzentren" an den Außengrenzen ins Gespräch gebracht, in denen über Asylbegehren entschieden und aus denen Abgelehnte sofort zurückgeschickt werden sollten. Nun schwenkt ausgerechnet die Ampelregierung just auf diesen Seehofer-Kurs mit strengeren Asylregeln um.

Innenministerin Nancy Faeser sieht gar "ein historisches Momentum". Zusammen mit anderen europäischen Staaten könne Deutschland es schaffen, ein "gemeinsames Asylsystem auf den Weg zu bringen, wo an den Grenzen die Asylverfahren stattfinden". Sogar Schnellverfahren an den Grenzen und bewachte Zäune sowie Mauern zur Grenzsicherung will Faeser plötzlich durchsetzen.

Jusos äußern sich entsetzt

Diese Asylwende wäre nicht nur eine massive Revision der jahrelang gültigen Merkel-Asylpolitik, sie bedeutet auch einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Linie von SPD und Grünen. Im Innenministerium wird Faeser mit spöttischem Verweis auf Horst Seehofer schon "Honcy Faesofer" tituliert, das Magazin "Spiegel" beschreibt sie als "Seehofers Erbin", die linke Wochenzeitung "Der Freitag" zitiert entsetzte Jungsozialisten und meint: "Faeser macht CSU-Politik".

Bei Faesers neuer Migrationspolitik steht fortan die Begrenzung der Flüchtlingszahlen im Zentrum. Auch die Sprache der Innenministerin klingt plötzlich nach Law-and-Order-Haltung: "Wir werden für eine verlässliche Identifizierung, Registrierung und Überprüfung von Menschen bereits an den EU-Außengrenzen sorgen", verkündet Faeser. Die dafür notwendige "Screening-Verordnung" habe man durchgesetzt, dies sei "ein wichtiger Durchbruch" gewesen. "Jetzt verhandeln wir über Verfahren an den EU-Außengrenzen, um dort binnen kurzer Fristen über den Schutz von Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl in der EU zu entscheiden", sagte Faeser. "Dann können abgelehnte Asylbewerber schnell, bereits von den EU-Außengrenzen aus, zurückgeführt werden."

Faesers Asylwende wird innerhalb der EU weithin begrüßt. Deutschland schließe sich damit der Mehrheitshaltung der Staaten endlich an, heißt es aus Brüssel. "Es ist wichtig, verpflichtende Grenzverfahren zu haben. Das ist notwendig, um irreguläre Migration zu steuern und funktionierende, schnelle, aber menschenwürdige Rückführungen sicherzustellen", bekräftigt die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson.

Faeser bekommt auch von der FDP direkte Unterstützung. Finanzminister Christian Lindner erklärte auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel, jetzt werde endlich "die jahrelange Zauderpolitik der Ära Merkel" beendet, und man bekenne sich zum "physischen Schutz der Außengrenzen". Auf Nachfrage bekräftigt Lindner, dass damit auch Zäune gemeint seien. Lindner und Faeser wollen die neue harte Linie flankiert wissen durch eine Reihe neuer Migrationsabkommen mit Drittstaaten zur geordneten Rückführung. Mit dem FDP-Politiker Joachim Stamp hat Faeser eigens dafür einen neuen "Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen" berufen. Faesers Kommentar dazu: "Wir wollen einen generellen Switch in der Migrationspolitik."

AfD holt SPD und Grüne in Umfragen fast ein

Innerhalb von SPD und Grünen stößt der große "Switch" auch auf Bedenken und Kritik. So meint der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt, Faeser gehe "Rechtspopulisten auf den Leim". Doch das Umfeld der Ministerin argumentiert, dass die neue Flüchtlingswelle schon wieder zu einer Polarisierung in der Gesellschaft führe. Tatsächlich steigen die Zustimmungswerte für die AfD seit Monaten, die Rechtspopulisten haben in ersten Umfragen sogar Grüne und SPD fast eingeholt.

Faeser will im Herbst in Hessen Ministerpräsidentin werden und spürt im Wahlkampf die angespannte Stimmung der Bevölkerung. Seit Jahresbeginn haben in Deutschland rund 100.000 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt. Nach den jetzt veröffentlichten Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommen derzeit mehr als 800 Menschen - überwiegend junge Männer - pro Tag. Viele Kommunen fühlen sich mit dem Ansturm überfordert, schlagen Alarm und verlangen zumindest mehr Geld vom Bund. Denn schon im Gesamtjahr 2022 hatte das Bundesamt 217.774 Asylerstanträge entgegengenommen.

Faeser geht mit ihrer neuen Politik ein hohes Karriere-Risiko ein. Sie weiß, dass die Asylwende eine mutige Revision der bisherigen Ampel-Politik bedeutet. Sie riskiert im eigenen Milieu den Rückhalt und als Seitenwechslerin getadelt zu werden. Zugleich läuft sie Gefahr, nach der großen Ankündigung die historische Asylwende möglicherweise nicht wirksam umsetzen zu können, weil die Ampelfraktionen sich querstellen oder weil EU-Partner nicht mitmachen. Dann stünde sie im hessischen Wahlkampf, der für Faeser bislang schwierig verläuft, als die große Versagerin da.

Zugleich aber liegt für sie auch eine enorme politische Chance in der Aktion. Bereits jetzt befürwortet eine große Mehrheit der Deutschen das Prinzip, Asylverfahren künftig an den EU-Außengrenzen zu führen. Für 79 Prozent geht dieser Vorschlag laut ARD-Deutschlandtrend in die richtige Richtung, nur für jeden Zehnten in die falsche. Sollte Faeser also erfolgreich sein und die deutsche Asylpolitik tatsächlich in kontrollierte Bahnen lenken, könnte ihr Ansehen in der Bevölkerung (und auch die Wahlchancen in Hessen) sehr rasch steigen. Die Unkenrufe über "Honcy Faesofer" klängen dann wie Komplimente.

Als "falsche" Partei die Weichen stellen

Mehr zum Thema

Für die politische Geschichte der Bundesrepublik wäre ein Erfolg Faesers mit einer Law-and-Order-Asylwende eine Fortschreibung der Serie von historischen Weichenstellungen aus der vermeintlich falschen Partei heraus. Der SPD-Kanzler Helmut Schmidt ermöglichte die unter Linken verhasste NATO-Nachrüstung, der CDU-Kanzler Helmut Kohl schuf die (unter Konservativen vehement verteidigte) D-Mark ab, der CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beseitigte die unter CSUlern hochbeliebte Wehrpflicht, und der SPD-Kanzler Gerhard Schröder setzte die wirtschaftsliberale Agenda 2010 durch.

Politologen mutmaßen daher schon seit einiger Zeit, dass auch die Asylpolitik nur von einer linken Führungsfigur konservativ geregelt werden könne. Es sei eine "Only-Nixon-Situation". Das Sprichwort "Only Nixon could go to China" - "Nur Nixon konnte China besuchen" - spielt auf den Besuch des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon in China 1972 an und untermalt die Ansicht, dass gerade altgediente Gegner politischer Reformen eine Revision der Haltung glaubhaft verkörpern können. Demnach war der Hardliner Nixon als bekannter Antikommunist besonders gut in der Lage, glaubhaft mit dem chinesischen Regime zu verhandeln und die diplomatischen Beziehungen zu verbessern, ohne dabei falscher Sympathien verdächtigt zu werden.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen