
Wetter? Klima? Hauptsache Abkühlung.
(Foto: picture alliance/dpa/XinHua)
Eine französische Idee erobert Europa: Zweifel vieler Bürger am menschengemachten Klimawandel könnte man doch einfach wegregulieren! Es ist ein Turbolader für die Rechtsextremen.
Der WDR hat allen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf den Mond wünschen, ein Sommerferiengeschenk bereitet: In einem Beitrag über eine PR-Aktion bei Penny interviewten die Reporter nebst echten Zufallsbesuchern im Supermarkt auch eine Kollegin. Penny hatte "wahre Preise" ausgewiesen, also höhere, die dann auch die ökologischen Zusatzkosten enthielten. Die Zufallsbesucher fanden das blöd, die Kollegin super. Blöd, ja. Ein Versehen sei das gewesen, sagte der WDR-Chef später.
Der Streit ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt. Die deutschen Rechtspopulisten leugnen den Klimawandel, dass es nur so kracht. Wo immer es heiß ist, regnet oder schneit, bricht derselbe Streit aus: Die einen warnen in schrillen Tönen, dies sei ein unmissverständliches Zeichen des Planeten, dass die Katastrophe vor der Tür steht oder längst im Wohnzimmer Platz genommen hat. Die anderen lachen sich demonstrativ kaputt und verkünden, derlei habe es immer schon gegeben, die Wetterlage sei nicht dasselbe wie das Klima.
Der Streit ermattet: Polarisierende Themen wie diese gelten nach der an dieser Stelle schon zitierten Untersuchung des Reuters-Instituts als eine der Ursachen für die steigende Nachrichtenmüdigkeit. Wäre es nicht schön, wenn man diese Unsicherheit einfach beseitigen könnte? Wenn nicht jede Klimaaussage in den Medien durch Querschüsse von beiden Seiten durchlöchert würde, sondern es eine einfache, klare Auskunft gäbe? Eine Art Klimameinung per Gesetz?
Ein bisschen George Orwell
Was ein bisschen wahnsinnig klingt und ziemlich nach George Orwells Wahrheitsministerium, wird in Frankreich ernsthaft debattiert. Dort haben sich Politiker über einige Parteigrenzen hinweg zu einer Initiative zusammengeschlossen, um Desinformation beim Thema Klima zu bekämpfen. Dem Portal Reporterre zufolge gehören zu dem Bündnis Politiker aller Parteien in der Nationalversammlung außer den Konservativen, also den Republikanern, und dem Rassemblement national, früher bekannt als Front National. Das Bündnis wirbt für einen Gesetzentwurf gegen Klimaskeptizismus.
Wie dieser aussehen könnte, zeigt der Entwurf eines Öko-Thinktanks. "Die Medien sind der ökologischen Dringlichkeit nicht gewachsen", hatte das Rousseau-Institut etwas lapidar festgestellt. Im Präsidentschaftswahlkampf hätten sich nur 3,6 Prozent der Medieninhalte mit dem Klima beschäftigt, 74 Prozent mit, womöglich nicht allzu verwunderlich, Covid-19. Auch problematisch: 39 Prozent der Franzosen würden nicht an den menschlichen Beitrag zum Klimawandel glauben. Die Medien stellten Hitze immer noch zu positiv dar, etwa wenn sie Menschen bei Spaß in der Sonne zeigten.
Das angedachte Gesetz soll vor allem die französische Medienbehörde Arcom stärken, ihr Befugnisse im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Klimawandel verleihen, den Klimawandel stärker in Redaktionsstatuten verankern und sie als Behörde gegen Desinformation in Klimafragen installieren.
Das heimliche Meinungsgesetz ist längst da
Frankreichs Medienregulierung war schon immer besonders. Schon ein Gesetz von 1881 ermächtigt theoretisch, gegen Falschnachrichten vorzugehen, wurde aber kaum eingesetzt, um die Pressefreiheit zu schonen. Doch die Idee, Klimafakten per Gesetz durchzudrücken, ist keine rein französische - es ist längst eine europäische. Auch in Deutschland gilt bald ein Gesetz gegen Klima-Desinformation. Es wurde praktisch undebattiert verabschiedet und greift still und heimlich ab 25. August: Dann verpflichtet das Digitale Dienste Gesetz diverse soziale Medien zu einem gigantischen Katalog von Pflichten, darunter auch das verstärkte Vorgehen gegen Desinformation.
Es gibt einen Grund, warum über dieses auf EU-Ebene geschriebene Gesetz nicht gestritten wird: Brüssel ist fern und das Vorhaben ist derart hochkompliziert, dass in Deutschland allenfalls eine kleine Handvoll Fachleute es komplett durchdringen. Was es bedeutet, könnte allerdings bald Twitter erfahren, das wir nun ja "X" nennen sollen. EU-Kommissar Thierry Breton, wiederum Franzose, hatte X-Eigentümer Elon Musk mit drastischen Worten zu besserer Regulierung der Plattform gemahnt: "You can run, but you can’t hide", schrieb er.
Das ist ein interessanter John-Wayne-Tonfall eines politischen Entscheidungsträgers gegenüber einem privat geführten Kommunikationsraum. Breton war es übrigens auch, der soziale Medien bei Unruhen schließen wollte - das war die Ankündigung eines Verfassungsbruchs, denn Breton hat dafür keinerlei Rechtsgrundlage.
Ein Geschenk für die Rechtsextremen
Das Digitale Dienste Gesetz sieht allerdings durchaus allerlei Krisenmechanismen vor: Wenn es knallt und kracht (genauer definiert das Gesetz "Krise" nicht), kann die EU-Kommission härter zugreifen, den Plattformen genaue Vorgaben machen, sogar staatliche Informationen hervorheben lassen. Es ist ein tiefer Eingriff in die Freiheit der Kommunikation. Er wäre eigentlich verfassungswidrig, wenn der Staat direkt zupackte, aber das tut er ja nicht. Er setzt nur knallharte Anreize, damit die Plattformen diesen Job übernehmen. (Detaillierter habe ich diesen Trick kürzlich für die F.A.Z. ausgeführt.)
Die Idee einer regulierten Klimameinung ist hochexplosiv. Sie vereint zwei Themen, mit denen die AfD gerade Stimmung macht: Klimawandel ("Klimaideologie" würde die AfD wohl sagen) und Europa. Der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke verkündete gerade, Europa müsse "sterben", der Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl, Maximilian Krah, bezeichnet die EU als "bürokratisches Monstrum", das durch ein "Europa der Vaterländer" ersetzt werden müsste.
Nichts würde diesen Rechtsextremen besser in die Hände spielen als eine europäische Wahrheitspolitik für Klimafragen. Auch das öko-linke Parteienspektrum muss sich daher fragen, welches der beiden Szenarien für die Klimapolitik schlimmer ist: eine Medienberichterstattung, die mehr Raum für Klimaskeptizismus lässt, als sich die Fachwelt wünscht und damit wichtige klimapolitische Maßnahmen verhindert - oder ein Aufblühen des paneuropäischen Rechtsextremismus.
Die seltsame Idee der verordneten Klimameinung wird bisher vor allem in rechten Medien debattiert, "Epoch Times" etwa, oder auf den neurechten Wutkanälen um Julian Reichelts "Nius". Das Thema Kommunikationsfreiheit sollte aber kein Markenthema des rechten Rands sein. Es geht uns alle an, Klima hin oder her.
Quelle: ntv.de