Wunderkind Caitlin Clark Der nächste Mega-Star des US-Basketballs ist eine Frau
29.12.2024, 08:19 Uhr
Ruhe hat Caitlin Clark selten.
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Nach dem Start ihrer College-Karriere 2020 dauert es nicht lang, da überstrahlt Caitlin Clark ihr Team, die Iowa Hawkeyes. In den nächsten vier Jahren wird sie zum größten College-Athleten des ganzen Landes. Sie ist das Gesicht des Frauenbasketballs, bevor sie Profi wird. Was zur Hölle ist da los?
"Ich sehe Ihnen jetzt in die Augen und sage Ihnen die Zukunft voraus. […] Sie werden Meisterschaften gewinnen. Es ist eine amerikanische Geschichte, deswegen werden die Amerikaner sie lieben. Man wird Sie hochjubeln. Gott, und wie hoch. Denn wenn man herausragend ist und neu, wird man geliebt. Sie werden zu etwas, das noch gar nicht existiert. Sie werden die verdammte Welt verändern. Aber wissen Sie was? Sobald Sie so hoch oben auf dem Sockel sind, wie es nur geht, reißt man Sie da wieder runter. Das ist ein absolut vorhersehbares Muster. Wir machen Sie zu etwas, das noch nicht existiert und das heißt Sie müssen versuchen genau das zu sein. Die ganze Zeit. Jeden Tag. So läuft das nun mal."
Es gibt über Caitlin Clark unzählige lobpreisende Zitate. Das ist keines. Es ist die Rede von Matt Damons Figur Sonny Vaccaro, der im Film "Air" Michael Jordan von einer Partnerschaft mit dem Schuh-Ausrüster Nike überzeugen will. Und doch passt es. Denn seit der Ankunft Michael Jordans hat der US-Basketball nichts vergleichbar Unvergleichliches wie Caitlin Clark erlebt. In der NBA folgten auf Jordan unzählige weitere Elite-Spieler. Kobe Bryant, LeBron James, Kevin Durant. Sie haben ihre eigenen Schuhe bekommen, Rekorde gebrochen, dem Spiel neue Facetten hinzugefügt. Wie Jordan. Business as usual. Aber eine junge Frau, die bereits am College zu einem nationalen Phänomen wird? Die dafür sorgt, dass TV-Quoten und Ticketpreise explodieren wie nie zuvor und NBA-Stars ins Schwärmen geraten? Das ist etwas, das noch nicht existiert.
"Die beste Spielerin aller Zeiten"
Das Fundament für den gigantischen Hype um ein Mädchen aus Des Moines, Iowa ist bereits in der High School ihre spektakuläre Offensive. Sie fliegt durch ihre Gegenspielerinnen hindurch, kaum eine Verteidigerin scheint sie in der Qualität ihrer Abschlüsse zu beeinflussen. Clark beweist stets ein gutes Auge für freie Mitspielerinnen. Und sie verwandelt zuverlässig Würfe von jenseits der Dreierlinie. Nicht jeder Zuschauer traut den Lobeshymnen. Bei einem Auswärtsspiel mit ihrer Dowling Catholic High School skandiert eine Gruppe heimischer Schüler laustark "Overrated!" (Überschätzt) in ihre Richtung. Clark zieht unbeeindruckt ihr Warm-Up durch und antwortet mit 42 Punkten auf dem Platz. Am 4. Februar 2019 gelingen ihr gegen die Mason City High School sogar 60 Punkte. Sie führt ihre Schule mehrfach unter die besten acht, einmal sogar unter die besten vier Teams des Bundesstaates. Doch ein Titel bleibt ihr verwehrt. Sie wird dennoch zu einer der begehrtesten High-School-Spielerinnen des Landes und schließt sich 2020 schließlich unweit ihrer Heimat der University of Iowa an.

Die Begeisterung rund um Caitlin Clark kennt keine Grenze. Die Superlative auch nicht.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Aufmerksamkeit und Rekorde potenzieren sich am College in schwindelerregende Höhen. Ihre de facto nicht zu verteidigenden Sprungwürfe vom Logo in der Mitte des Platzes erobern die sozialen Medien. Der Zuschauerschnitt der Iowa Hawkeyes explodiert während der vier Clark-Jahre (2020-2024) von 4000 auf 17000. Ein Testspiel vor ihrer letzten Saison sehen im College-Football-Stadion Iowas 55.646 Menschen. Alle wollen das Mädchen von nebenan sehen, das in den nächsten Jahren den Frauen-Basketball erobern wird. Geno Auriemma, Trainer-Urgestein des Frauenbasketballs, nennt Clark vor einem Spiel seines Teams Uconn gegen die Hawkeyes "die beste Spielerin aller Zeiten". Eine College-Athletin.
Zumindest machen es Clarks Leistungen Beobachtern schwer, noch andere Superlative zu finden. Ihr Aufenthalt in Iowa strotzt nur so vor neu geschriebener Sportgeschichte. Als erste Spielerin überhaupt wird sie am College in drei Jahren hintereinander als bester Point Guard des Landes ausgezeichnet, dreimal wird sie zur besten Spielerin des Landes gewählt, zweimal ohne Gegenstimme. Sie wird zum besten Scorer in der Geschichte ihres Teams und schließlich auch zum besten Scorer der gesamten NCAA Division 1. Kein Mann und keine Frau haben in der College-Liga so häufig gepunktet wie Clark.
"Must-See-TV"
Die Flut an Punkten und ihre genialen Spielmacher-Momente bringen ihr schnell einen Vergleich aus dem obersten Regal ihres Sports ein. "Sie ist ein weiblicher Stephen Curry. Sie wirft besser als ich", sagt Luka Dončić, NBA-Star der Dallas Mavericks im April 2024 gegenüber ESPN. Die Parallelen zu Curry sieht die komplette Basketball-Welt. Der legendäre Spielmacher der Golden State Warriors selbst sagt über Clark, sie ist "Must-See-TV". Das sieht nicht nur der viermalige NBA-Champion so.
Als die bis dahin titellose Caitlin Clark im Frühjahr 2024 ein letztes Mal versucht, ihre Zeit am College mit einer Meisterschaft zu krönen, vermelden TV-Stationen Quoten jenseits von Gut und Böse. Schon das Viertelfinale wird mit weitem Abstand mit 12,3 Millionen Zuschauern das größte College-Basketball-Spiel der Frauen. Lange hält die Marke nicht. Über 14 Millionen Menschen sehen das Halbfinale. Es ist das meistgesehene Basketball-Spiel in der Geschichte(!) ESPNs. Die Partie überflügelt zudem jedes Spiel der NBA-Finals 2024 zwischen Boston und Dallas. Wer sogar live vor Ort sein wollte, muss historisch (na klar) tief in die Tasche greifen. Der durchschnittliche Ticketpreis lag auf dem Resale-Markt bei 2323 Dollar. Für das Finale zwischen South Carolina und Iowa schalten dann sogar knapp 19 Millionen Menschen ein. Doch trotz der großen Unterstützung will es mit dem Titel nichts werden. Clarks Hawkeyes unterliegen, das Wunderkind verabschiedet sich ohne Krone aus dem College-Basketball und in die WNBA.
A Fever you can't sweat out
Der WNBA Draft markiert dann schließlich den Startschuss von Clarks professioneller Karriere. Die Indiana Fever wählen mit dem ersten Pick Caitlin Clark. Zweieinhalb Millionen Zuschauer verfolgen die Talente-Auswahl. Nicht nur für den Draft selbst ein Höchstwert, sondern für jedes WNBA-Event seit 2000. Das nächste Highlight ihrer Karriere. Doch das von Sonny Vaccaro (also Matt Damon) angesprochene "absolut vorhersehbare Muster", macht auch vor ihr nicht Halt. Denn während die Auftritte für die Iowa Hawkeyes etliche Menschen begeistern, die vorher keinen Frauen-Basketball (oder sogar überhaupt keinen Basketball) geschaut haben, erwartet die WNBA die Ankunft des Supertalents mit gemischten Gefühlen.
"Du siehst übermenschlich aus, wenn du gegen 18-Jährige spielst. Aber jetzt wird sie auf erwachsene Frauen treffen, die schon lange Profi-Basketball spielen", sagte vor der Saison etwa Diana Taurasi, sechsfache Olympiasiegerin mit Team USA und ein Urgestein der Liga. Auch A'ja Wilson, Star-Spielerin der Las Vegas Aces, nervten die "ständigen Fragen" zu Clark.
Der Frust einiger Kolleginnen entlädt sich nicht nur am Mikrofon, sondern auch auf dem Spielfeld. Am Ende ihrer ersten Saison ist Clark Ziel von 30 flagrant Fouls, also Fouls, ohne Chance auf einen Ballgewinn. Auch diese Rangliste führt sie an. Auf Youtube gibt es zehnminütige Compilations, gefüllt nur mit Regelverstößen gegenüber dem Rookie. Der US-Sport diskutiert in Clarks erstem WNBA-Jahr tosend laut über den richtigen Umgang der Liga mit seinem neuen Gesicht. So kritisiert nicht nur Clarks Trainerin die harten Fouls gegenüber ihrem Schützling, sondern auch Basketball-Ikone LeBron James. Auch die Olympischen Spiele in Paris bieten einen Anlass für Diskussionen, die die TV-Shows und Sport-Radio-Talks des Landes füllen. Denn Caitlin Clark steht nicht im Kader.
"Ihr solltet diesem Mädchen danken"
Die Nummer 22 der Indiana Fever nutzt die Entscheidung als Motivation. Später sagt sie selbst dazu, dass sie glaubt, sportlich einen Platz verdient zu haben und betont, dass sie das Narrativ nicht leiden kann, sie müsse nur mitgenommen werden, weil sie für Aufmerksamkeit sorgt. Die ist ihr nach wie vor gewiss. Der gigantische Hype, über den sie in einer ESPN-Dokumentation bereits am College sagte, dass es anstrengend sei, immer DIE Caitlin Clark sein zu müssen, ist in der WNBA nur größer geworden.
Auch hier steigen TV-Quoten und Zuschauerzahlen in ungeahnte Höhen. Wer die Indiana Fever empfängt, zieht häufig in die großen Hallen der NBA-Klubs um, statt in der eigenen zu spielen, damit die Ticketnachfrage erfüllt werden kann. Und natürlich sind unter ihren Fans längst auch Promis. Rap-Star Travis Scott besucht ihre Spiele bereits am College, in der WNBA sitzen Ashton Kutcher und Mila Kunis am Spielfeldrand. Kürzlich wurde sie von Taylor Swift in ihre Loge zu einem Spiel der Kansas City Chiefs eingeladen. Die vielen Diskussionen um die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird, die Fouls und die Missgunst, fasst Ex-NBA-Spieler Charles Barkley, 1993 MVP der Liga, wie folgt zusammen: "Ihr solltet diesem Mädchen dafür danken, dass sie euch private Charterflüge besorgt hat. Bei all dem Geld und der Publicity, die sie der WNBA bringt, solltet ihr nicht so kleinlich sein wie die Kerle. Hört zu, was sie erreicht hat, gönnt ihr die Blumen."
Allem Trubel zum Trotz liefert Clark auf dem Feld ab. Sie wird Rookie des Jahres, darüber hinaus Vierte bei der MVP-Wahl und führt die Indiana Fever in die Playoffs. Es sind die ersten seit 2016, dort ist in der ersten Runde gegen die Connecticut Sun Schluss. Die Pause nach der Saison nutzt Clark genau dafür: Eine Pause zu machen. Es ist in der WNBA keine Seltenheit, dass Spielerinnen in dieser Zeit in Europa spielen, oder in der neu gegründeten Kleinfeldliga "Unrivaled". In erster Linie geht es dabei natürlich um Geld, die gigantischen Millionen-Verträge aus der NBA sind für die Frauen weit entfernt.
Doch Clark schlägt all die Optionen aus. Sie geht Golfen und spricht lange mit dem "Time"-Magazin anlässlich ihrer Wahl zum "Athlete of the year". Sonst hört man nichts von ihr. Am 25. Okober veröffentlichen die Indiana Fever ein Video, in dem sie 25 Dreier am Stück versenkt, im Dezember folgt eines zum ersten Training mit dem neuen Coach Stephanie White. Die neue Saison startet erst im Mai. Caitlin Clark hat nach dem (bisher) turbulentesten Jahr ihres Lebens also noch viel Zeit, ihr beeindruckendes basketballerisches Repertoire in aller Ruhe zu erweitern. Und dann wird sie wieder versuchen, etwas zu sein, das noch nicht existiert. Die ganze Zeit. Jeden Tag. So läuft das nun mal.
Quelle: ntv.de