Hungrige Löwen reiben sich Bauch Die unglaubliche Dauerkrise des NFL-Giganten
28.11.2024, 12:06 Uhr
Caleb Williams soll irgendwann einmal die Dauerkrise beenden.
(Foto: AP)
Ein Top-Talent als Quarterback, aber ansonsten viel Mittelmaß: das sind die Chicago Bears 2024. Nach gutem Start gab es zuletzt fünf Niederlagen nacheinander. Die Saison scheint erneut eine verlorene zu sein. Und am heutigen Donnerstag könnte es ganz böse kommen.
Heute ist es in den USA wieder soweit: Thanksgiving. Einer der wichtigsten Feiertage des Jahres. Rund 80 Millionen Menschen sollen in diesem Jahr unterwegs sein, um den "Turkey Day" bei und mit ihren Liebsten zu verbringen, etwas abzuschalten, gut zu essen und dankbar zu sein. Zu den Reisenden gehören auch die Chicago Bears. Allerdings ist es für sie ein Business Trip. Die Bears spielen bei den Detroit Lions, dem Divisions-Rivalen (18:30 Uhr/Nitro und RTL+).

Kevin Warren, der Präsident der Bears, hat auch schon einmal bessere Laune gehabt.
(Foto: USA TODAY Sports via Reuters Con)
Es ist das 20. Aufeinandertreffen an Thanksgiving. Die vergangenen drei Duelle (2018, 2019, 2021) hatte alle Chicago gewonnen. Detroits letzter Sieg liegt bereits zehn Jahre zurück. Allerdings ist es diesmal ein Duell, das unterschiedlicher kaum sein könnte. Chicago hat die vergangenen fünf Spiele verloren, Detroit hingegen neunmal nacheinander gewonnen. Gut möglich, dass die Bären ein Fressen für die Löwen aus der Autostadt werden - ausgerechnet an Thanksgiving.
Vom goldenen Oktober in grauen November
Während die Lions derzeit als der große Titelfavorit gelten, herrschen in Chicago, der "Windy City", mal wieder stürmische Zeiten. Die Saison sei ein "orientierungsloser freier Fall", war in diesen Tagen in der Tageszeitung "Chicago Tribune" zu lesen. Der letzte Sieg liegt anderthalb Monate zurück, datiert vom 13. Oktober, als Chicago 35:16 gegen die Jacksonville Jaguars gewann und somit nach sechs Spielen tatsächlich eine 4:2-Bilanz hatte. Doch diese goldenen Oktober-Tage sind dem tristen November-Grau gewichen.
"Ich war jetzt vier, fünf Jahre nacheinander in der Krise", meinte Jaylon Johnson zu Wochenbeginn. Der Cornerback ist so etwas wie der personifizierte Chicago Bear. Seit 2020 ist er im Verein und somit ein Mann, der es längst gewohnt ist, viele Spiele zu verlieren. Nur in seiner ersten Saison hatten die Bears eine ausgeglichene Saison (8:8) und erreichten sogar die Playoffs, wo aber sofort bei den New Orleans Saints (9:21) das Aus kam.
Die Hoffnung heißt Caleb Williams
Auch diesmal wird Johnson wohl keine "winning season" erleben, also eine Saison mit mehr Siegen als Niederlagen. 4:7 lautet die Bilanz bei noch sechs ausstehenden Partien. Er habe schon lange nicht mehr gelächelt, sagt Johnson. Denn es gibt derzeit auch nichts zu lachen. Er sei frustriert und allen anderen im Verein gehe es ebenso, schimpft der 25-Jährige.
Ein wenig Hoffnung gibt zumindest Caleb Williams. Er war die Nummer eins der diesjährigen, viel gehypten Draft-Klasse, in der gleich sechs Quarterbacks in der ersten Runde ausgewählt wurden. Um Williams verpflichten zu können, schoben die Bears sogar Justin Fields zu den Pittsburgh Steelers ab. Dabei hatten sie Fields gerade erst 2021 geholt, an elfter Stelle des Drafts. Doch er konnte die in ihn gesteckten Erwartungen nicht - oder nicht schnell genug - erfüllen. Und Caleb Williams galt eben als dieser mögliche Franchise-Spieler und potenzieller Superstar. Diese Versuchung war einfach zu groß, um ihr nicht zu erliegen.
Kleine, sichere Schritte, kein Harakiri
Nach elf Spielen lässt sich sagen: Williams hat bislang Dienst nach Vorschrift geleistet. Er hatte tolle Momente gehabt, kleine, sichere Schritte gemacht. Nichts Übertriebenes. Kein Harakiri. Aber es hat - und das muss man ihm als Rookie einfach zugestehen - auch Aktionen gegeben, in denen seine Unerfahrenheit ganz deutlich wurde.
Dennoch: bei der 27:30-Niederlage nach Verlängerung gegen die Minnesota Vikings am Sonntag war der 23-jährige Rookie jener Anführer, den sich die Bears in den kommenden Jahren wünschen. 32 von 47 Pässen kamen an, Würfe für 340 Yards Raumgewinn, zwei Touchdowns und das fünfte Spiel nacheinander ohne Interception. Als Chicago weniger als zwei Minuten vor Schluss mit 16:27 hinten lag, marschierte Williams vorne weg und brachte die Bears tatsächlich noch zum 27:27, ehe die Partie dann in der Verlängerung verloren wurde.
Trainer Eberflus: "Caleb wächst vor unseren Augen"
Trainer Matt Eberflus lobte Williams' "mutigen Auftritt" und die "wirklich gute Ausführung" der Spielzüge. Seine Leistung sei "eine Inspiration für die gesamte Mannschaft" gewesen, so der Coach weiter. "Caleb wächst vor unseren Augen", meinte Eberflus mit freudiger Stimme.
Andererseits muss auch gesagt werden, dass die Bears die Partie auch zweistellig hätten verlieren können. Und dass sie in der Verlängerung das Momentum der Elf-Punkte-Aufholjagd nicht nutzen konnten, war eben auch so kennzeichnend für dieses Team und diesen Verein ist. Allerdings - und auch das ist typisch Chicago - fällt es mittlerweile ziemlich leicht, auf noch schlimmere Spielzeiten, noch gruselige Saisonphasen zu verweisen. 2022 zum Beispiel. Da verloren die Bears in Eberflus' erster Saison als Cheftrainer tatsächlich zehn Spiele nacheinander. Also ist doch derzeit quasi alles nur halb so schlimm. Es kommt eben einfach auf den Blickwinkel an.
Zurück zu Jaylon Johnson, dem Krisenerfahrenen Cornerback. Er gehört zu den besseren Profis ligaweit auf seiner Position. Er würde mit seinen Qualitäten auch bei einem Verein unterkommen, der garantiert die Playoffs erreicht. Doch an einen möglichen Wechsel denkt Johnson nicht. Nein, er gucke sich nicht um, betonte der 25-Jährige nach der Niederlage gegen Minnesota - und ergänzte: Es werde besser, wenn es besser werde. Ein Satz voller Resignation. Er hätte auch sagen können, irgendwann werde es in der Atacama-Wüste schon mal regnen …
Quelle: ntv.de