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"Jetzt die kompletten Idioten" Handball-Farce kulminiert in "Scheißtag"

Stell dir vor, es ist ist Spitzenspiel - und du sollst am selben Tag auch Champions League spielen. Im Handball geht das.

Stell dir vor, es ist ist Spitzenspiel - und du sollst am selben Tag auch Champions League spielen. Im Handball geht das.

(Foto: imago/Bildbyran)

Rekordmeister gegen Meister, das ist auch in der Handball-Bundesliga ein Topspiel. Der Leckerbissen zwischen THW Kiel und Rhein-Neckar Löwen schmeckt diesmal aber bitter - denn der Handball ist der große Verlierer.

Es gibt Tage, an denen eine ganze Sportart verliert. Der Samstag war so einer für den deutschen Handball. Der THW Kiel siegte zwar im Bundesliga-Spitzenspiel gegen die Rhein-Neckar Löwen und errang mit dem Erfolg über den Deutschen Meister und Tabellenführer endlich wieder einen großen Sieg. Aber der glänzte nicht so hell wie er es eigentlich tun sollte, denn es lag ein langer Schatten über dieser Partie. Die Löwen waren an diesem Tag nämlich zwei Mal im Einsatz. Mit ihrer Profi-Mannschaft verloren sie das Bundesliga-Topspiel 22:27 in Kiel. Ihre zweite Mannschaft mussten die Badener nach Kielce schicken, wo sie im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League erwartungsgemäß 17:41 unterging. Ein bizarrer Terminstreit hatte zu dem Kuriosum geführt, der den nach Professionalität gierenden Handball amateurhaft erscheinen lässt.

"Wir sind jetzt die kompletten Idioten", schimpft Löwen-Spielmacher Andy Schmid.

"Wir sind jetzt die kompletten Idioten", schimpft Löwen-Spielmacher Andy Schmid.

(Foto: imago/Bildbyran)

Frank Bohmann war nicht nach Kiel gekommen, um das Topspiel zwischen dem ehemaligen und dem aktuellen Dominator der Bundesliga anzuschauen. Der Chef der Handball- Bundesliga (HBL) ging auf diese Weise elegant einer Frage aus dem Weg. Einer Frage, die er in den vergangenen zwei Wochen schon beantworten musste, die aber dadurch nicht weniger unbequem geworden ist: Wie ist es möglich, dass eine nationale Liga und der europäische Verband (EHF) einen Klub an einem Tag an zwei unterschiedlichen Orten zu einem wichtigen Spiel nötigen?

"Wir sind jetzt die kompletten Idioten", schimpfte Andy Schmid. Der Kapitän der Löwen hatte vor dem Spiel der Profis in Kiel ein paar Minuten der Partie der eigenen Reserve in Kielce am Laptop gesehen und damit ein Match verfolgt, bei dem eigentlich er, einer der besten Spielmacher weltweit, auf dem Feld stehen sollte. Die Löwen-Klubführung hatte sich am Ende eines peinlichen Terminstreits dazu entschlossen, Schmid die Chance zu nehmen, mit seinen Kollegen um den Viertelfinaleinzug in der Königsklasse zu kämpfen. EHF und HBL hatten den Klub vor die Wahl gestellt.

Nerviger Machtkampf auf Kosten der Klubs

Die HBL hat durch einen im vergangenen Sommer in Kraft getretenen Fernsehvertrag die Chance, zwei Bundesligaspiele pro Saison live zur besten Sportschau-Zeit am Samstagabend in der ARD auszutragen, wenn die Fußball-Bundesliga pausiert. Die HBL und die beteiligten Klubs erreichen damit auf Klubebene eine lukrative und äußerst seltene Zuschauer-Reichweite. Deshalb nahmen sie die Terminkollision mit der EHF bewusst in Kauf, deren Champions-League-Termine länger als ein Jahr im Voraus festgelegt werden - und setzten darauf, dass in Abstimmung mit dem europäischen Verband und den betroffenen Klubs im Ausland eine Lösung gefunden werden würde. In der Vergangenheit hatten sich auch auf europäischer Ebene deutsche Interessen meist durchgesetzt. Diesmal gab es Gegenwehr.

Die Fronten zwischen der EHF und der HBL sind seit Jahren verhärtet, darunter leiden die Champions-League-Teilnehmer der Bundesliga. Es geht um die Hoheit über die Sportart, die sowohl der europäische Dachverband als auch die sich selbst so titulierende "stärkste Liga der Welt" für sich beanspruchen. Während die Rangordnung im Fußball klar geregelt ist, schwelt bei den Handballern ein Machtkampf. Deutschland ist innerhalb der EHF der größte (Werbe-)Markt und hatte viele Jahre sportlich und wirtschaftlich die Führungsrolle inne, doch inzwischen sind der Verband und die europäischen Topklubs nicht mehr bereit, sich dem Diktat der Deutschen zu unterwerfen. Vielmehr solle "die Lokomotivfunktion" der europäischen Wettbewerbe anerkannt werden. Das sorgt für absurde Konstellationen, die der Sportart ein amateurhaftes Antlitz verleihen.

"Hoffentlich wird so etwas nie mehr passieren"

Bei der aktuellen Zuspitzung hätte es einen Ausweg gegeben, den der THW Kiel genutzt hat. Er sollte ursprünglich am Samstag in der Champions League beim SC Szeged (Ungarn) antreten und löste die Terminkollision, indem er das Heimrecht tauschte – und schon am Mittwoch seine Aufgabe in der Königsklasse löste. Dazu waren die Löwen nicht bereit, die sich schon im November eine heftige Auseinandersetzung mit der EHF geliefert hatten. Damals mussten die Profis innerhalb von 24 Stunden die Auswärtsspiele in Leipzig (Bundesliga) und Barcelona (Champions League) bestreiten.

Jetzt gab es nicht einmal mehr diese Chance. "Das war ein Scheißtag für uns, ein Scheißtag für den Verein und ein Scheißtag für den Handball", sagte Schmid nach der Niederlage der Löwen in Kiel. In der Ostseehalle war das Terminwirrwarr gar kein großes Thema mehr, die Verantwortlichen der Klubs hatten sich an dem Thema schon in den Tagen zuvor abgearbeitet. "Hoffentlich wird so etwas nie mehr passieren", fasste Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen die Wünsche aller zusammen.

In den kommenden Jahren wird sich an der verzwickten Lage aber nur wenig ändern. Die aktuellen TV-Verträge gelten bis 2020 und der Rahmenterminkalender der EHF sieht weiterhin Überschneidungen vor. Im November 2018 und im März 2019, wenn die ARD weitere Handball-Live-Spiele zur Sportschau-Zeit plant, sind Champions-League-Termine angesetzt. Erst ab 2020, wenn die Verträge der EHF mit den TV-Partnern in ganz Europa neu ausgeschrieben sind, ist eine Änderung des Ist-Zustandes denkbar. Denkbar ja, aber sicher ist das nicht.

Quelle: ntv.de

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