Radprofis in die Knie gezwungen "Hölle" wird zum Sturzfestival im Schlamm
03.10.2021, 19:57 Uhr
Gezeichnet, aber glücklich: Sieger Sonny Colbrelli.
(Foto: imago images/Panoramic International)
Das traditionsreiche Radrennen Paris-Roubaix trägt seinen Beinamen "Die Hölle des Nordens" nicht umsonst. In diesem Jahr kommen zum Kopfsteinpflaster auch noch üble Wetterbedingungen hinzu. Die Fahrer müssen sich durch Schlamm und Wassermassen kämpfen. Stürze bleiben nicht aus.
Nils Politts Hoffnungen versanken jäh im tiefen Schlamm, John Degenkolb krachte schmerzhaft auf den spiegelglatten Untergrund: Der legendäre Klassiker Paris-Roubaix hat seinem Beinamen "Hölle des Nordens" bei der denkwürdigen 118. Auflage alle Ehre gemacht und nicht nur die deutschen Radprofis in die Knie gezwungen.
Beim von vielen Stürzen und Defekten geprägten Kampf gegen die Elemente hatte Sonny Colbrelli das beste Ende für sich. Der italienische Europameister vom Team Bahrain-Victorious überquerte dreckverschmiert nach 257,7 Kilometern die Ziellinie im berühmten Velodrom von Roubaix und durfte wenig später die begehrte Pflasterstein-Trophäe in die Höhe stemmen. Das Podium komplettierten Florian Vermeersch (Belgien/Lotto-Soudal) und Mitfavorit Mathieu van der Poel (Niederlande/Alpecin-Fenix). Bester Deutscher wurde Jonas Rutsch (EF Education-Nippo/+ 1:16 Minuten) als Elfter.
Ein Unwetter in der Nacht zu Sonntag hatte die holprigen Feldwege in Nordfrankreich in regelrechte Schlammpisten verwandelt. An den Rändern der insgesamt 55 Kilometer langen Pavés bildeten sich teils tiefe Pfützen, der matschige und rutschige Untergrund verlangte hohe Aufmerksamkeit und fahrerische Höchstleistungen. Stürze blieben unvermeidlich. Zu den vielen betroffenen Fahrern zählten auch Ex-Sieger Degenkolb (Gera/Lotto-Soudal), der deutsche Meister Maximilian Schachmann (Berlin/Bora-hansgrohe), Max Walscheid (Neuwied/Qhubeka-NextHash) und der dreimalige Weltmeister Peter Sagan aus der deutschen Bora-Mannschaft.
Und doch war Degenkolb stolz: "Das ist etwas für Geschichten für die Enkel", sagte er. "Ich bin mega happy. Darauf kann ich stolz sein", so der Roubaix-Sieger von 2015, der mit über zwölf Minuten Rückstand den 48. Platz belegte: "Man kann es nicht in Worte fassen. Das stellt alles in den Schatten, was ich im Radsport bisher erlebt habe. Es ist richtig krass."
Van der Poel reißt aus
Regen und Windkanten hatten das Rennen allerdings schon weit vor dem ersten Pave-Sektor nach 96,3 Kilometer bei Troisvilles unglaublich erschwert. Dennoch gelang einer Gruppe die Flucht, zu der auch Walscheid zählte. Der deutsche Hoffnungsträger Politt, bei der vorherigen Ausgabe im Frühjahr 2019 Zweiter, war schon vorher zurückgefallen und hatte früh keine Siegchance mehr.
An der Spitze verkleinerte sich die Gruppe der Ausreißer. Dahinter machten die Top-Favoriten Tempo. Im gefürchteten Wald von Arenberg bei Kilometer 162, in dem das Pflaster für besonders heftige Einschläge sorgt, drückte van der Poel aufs Tempo und riss erstmals eine Lücke zu seinem nominell schärfsten Rivalen Wout Van Aert. Der Niederländer van der Poel, Enkel der französischen Rad-Ikone Raymond Poulidor, zeigte sich auch in der Folge als einer der stärksten Fahrer im Feld. Nach einem Radwechsel schloss der 26-Jährige scheinbar mühelos die Lücke.
Im Finale führte Cross-Weltmeister van der Poel die Jagd auf Gianni Moscon an, der als Solist den Sieg vor Augen hatte. 30 Kilometer vor dem Ziel kostete den Italiener erst ein Reifenschaden wertvolle Zeit, dann stürzte Moscon. 16 Kilometer vor dem Ziel, auf dem letzten schweren Pavé Carrefour de l'Arbre, hatten die Verfolger aufgeschlossen. Die Entscheidung fiel im Sprint im Velodrom. Colbrelli wurde dabei seiner Favoritenrolle gerecht.
Van Vleuten schwer verletzt
Paris-Roubaix war im Vorjahr wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden. In diesem Jahr wurde der Termin aus dem Frühjahr in den Herbst verlegt. Am Samstag hatte bei der überfälligen Premiere des Frauenrennens die Britin Elizabeth Deignan (Trek-Segafredo) nach 116,5 Kilometern als Solistin triumphiert. Bahn-Olympiasiegerin Lisa Brennauer (Durach/Team Ceratizit-WNT) verpasste das Podium als Vierte knapp.
Für die Zeitfahr-Olympiasiegerin Annemiek van Vleuten endet das Rennen im Krankenhaus. Die 38-jährige Niederländerin erlitt einen doppelten Schambeinbruch, als sie aufs rutschige Kopfsteinpflaster stürzte. Sie bekam mehrere Wochen Bettruhe verordnet, ihre Saison ist damit zwangsweise beendet. "Ich kann nicht mehr laufen", hatte die dreimalige Weltmeisterin noch vor der Diagnose in den sozialen Netzwerken mitgeteilt. Nach der Diagnose twitterte sie: "Bye bye Urlaub. Bye bye Aufladen."
Quelle: ntv.de, ara/sid