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Rad-Renndirektor über "Massaker" Vingegaard erleidet Lungenquetschung bei Horrorsturz

Vingegaard liegt derzeit im Krankenhaus.

Vingegaard liegt derzeit im Krankenhaus.

(Foto: IMAGO/Sirotti)

Halswirbelbruch, Rippenbrüche, Schlüsselbeinbrüche, Lungenquetschung, Pneumothorax: So liest sich das verheerende Ergebnis eines Massensturzes der Radprofis. Gleich mehrere Topstars fallen damit lange aus. Der Renndirektor von Paris-Roubaix zieht einen heftigen Vergleich.

Tour-Sieger Jonas Vingegaard hat sich bei seinem schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt stärker verletzt als bisher angenommen. Wie sein Team Visma - Lease a bike mitteilte, erlitt der Däne zusätzlich zu einem gebrochenen Schlüsselbein sowie mehreren gebrochenen Rippen auch eine Lungenquetschung sowie einen Pneumothorax. Das ergaben weitere Untersuchungen im Krankenhaus.

Bei einem Pneumothorax dringt Luft in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand. Dadurch kann sich die Lunge nicht mehr so ausdehnen wie zuvor. Sie fällt in sich zusammen. Es kann zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen. Der Zustand von Vingegaard sei stabil, teilte sein Team weiter mit. Er habe eine ruhige Nacht hinter sich und bleibe bis auf Weiteres unter ärztlicher Aufsicht.

Vingegaard war am Donnerstag auf der vierten Etappe wie Primoz Roglic, Remco Evenepoel und fünf weitere Fahrer rund 35 Kilometer vor dem Ziel in einer Rechtskurve von der Fahrbahn abgekommen. Vingegaard rauschte mit hoher Geschwindigkeit in einen Betongraben. Der Belgier Evenepoel zog sich neben einem Bruch des Schlüsselbeins eine Fraktur des Schulterblatts zu und muss operiert werden. Noch schlimmer erwischte es den Australier Jay Vine mit einem Halswirbelbruch und zwei Brüchen der Brustwirbelsäule.

Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Vingegaard minutenlang in stabiler Seitenlage von Betreuern erstversorgt wurde. Der Rücken des 27-Jährigen war blutüberströmt. Er musste mit einer Trage abtransportiert werden und wurde in eine Klinik gefahren. Das Rennen wurde lange unterbrochen.

"Hundertprozentig die Schuld der Fahrer"

Der Massensturz hat große Diskussionen hervorgerufen. Simon Geschke sieht die Ursache bei den Fahrern. "Es war hundertprozentig die Schuld der Fahrer. Die waren einfach zu schnell. Die Straße war gut, es war trocken. Es war keine Kurve, die völlig überraschend kam", sagte der Teilnehmer des Rennens. "Ich bin froh, dass keiner im Koma liegt", so der 38 Jahre alte Routinier, der nach dieser Saison aufhört.

Mögliche Straßenschäden und die zunehmend aggressivere Fahrweise im Feld gerieten in den Fokus bei der Suche nach Ursachen. "Es ist diese Wer-bremst-verliert-Mentalität", sagte Geschke, der an der Unfallstelle vorbeigefahren war und dabei schon vermutete, dass die Favoriten betroffen waren. "Es ist super tragisch, aber es ist aus meiner Sicht die Nervosität der Fahrer. Jeder wollte in die ersten Zehn in dieser Abfahrt rein. Und wenn dann keiner bremst, dann passiert so etwas. Aber es ist schwer, einen Schuldigen auszumachen." Fahrer bräuchten sich laut Geschke nicht "über Streckenführung und schlechten Straßenbelag beschweren", meinte er: "Viele Stürze sind die Schuld der Fahrer."

"Angst darf man nicht haben"

Ein Grund dafür ist, dass die Fahrer der Angst trotzen, so Nils Politt. "Man sollte schon Respekt haben", sagte der Kölner der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Aber Angst darf man nicht haben. Wenn Angst mitfährt, fährt man vorsichtig. Und dann hat man mehr oder weniger schon verloren." Wer bremst, verliert.

Ein strukturelles Problem sieht Politt aber nicht. Es werde genug für die Sicherheit der Fahrer getan, sagte der 30-Jährige: "Vieles hat sich geändert in den letzten Jahren." Ein vergrößertes Gefahrenpotenzial begründet er mit diversen Veränderungen in seiner Sportart, vor allem im technischen Bereich. "Wir werden immer schneller, weil das Material immer weiterentwickelt wird. Das ist wie in der Formel 1, kann man sagen", so Politt, "von Aero-Helmen oder Stoffen für das Trikot, die besser im Wind stehen, bis hin zu Laufrädern. Alles wird schneller, alles wird besser." Auch im Peloton nimmt er eine neue Entwicklung wahr. Politt spricht von einem "deutlich höherem Stresslevel".

Paris-Roubaix entschärft - oder nur ein Witz?

Bei dem am Sonntag stattfindende Eintagesrennen von Paris nach Roubaix ist die berühmt-berüchtigte Schneise durch den Wald von Arenberg einer der größten Stressfaktoren. Die Veranstalter reagierten. Vor der Einfahrt in die Kopfsteinpflaster-Passage wurde eine Schikane eingebaut. Sie soll das Feld ausbremsen.

"Seit Monaten warnen wir alle. Die Rennveranstalter stellen zig Dinge auf die Beine. Aber wir stellen fest, dass die Stürze nur zunehmen", sagte Renndirektor Thierry Gouvenou der "L'Equipe" und nahm wie Geschke und Politt die Fahrer in die Pflicht. Die Stürze seien nicht nur auf die Strecke zurückzuführen: "Die Fahrer (der Begleitfahrzeuge, Anm.d.Red.) bei den Rennen, die sehr erfahrene Leute sind, sagen mir, dass sie keinen Sicherheitsabstand mehr haben, wenn sie vor den Radfahrern abfahren. Die Abfahrten auf den Pässen werden mit über 100 km/h gefahren", so Gouvenou. Er wurde sehr deutlich: "Stopp, stopp, stopp, lassen Sie uns das Massaker beenden."

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Es sei an der Zeit, sich Grenzen zu setzen. "Man hört von völlig überzogenen Übersetzungen, die verwendet werden." Bei der Aerodynamik und beim Bremsen habe es enorme Fortschritte gegeben, erklärte Gouvenou, das gehe aber viel zu schnell: "Leider ist man, sobald man von der Straße abkommt, nicht geschützt, weil das Radfahren auf der Straße von Herrn Jedermann stattfindet."

Die neue Schikane unmittelbar vor der Schlüsselstelle birgt jedoch ihr eigenes Risiko. Vor der Engstelle dürfte es zu Positionskämpfen kommen. Die Reaktionen fielen daher gespalten aus. "Soll das ein Witz sein?", kommentierte Weltmeister und Titelverteidiger Mathieu van der Poel.

Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa

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