Schürrle über eine EM als Edeljoker "Man muss Ego hinten anstellen"

Andre Schürrle

Andre Schürrle

(Foto: picture alliance / dpa)

Gemeinsam mit Marco Reus und Mario Götze zählt der Leverkusener Andre Schürrle zu den offensiven Edelreservisten im DFB-Team. Zwei EM-Spiele lang hatte das hochtalentierte Trio nur auf Ersatzbank Spaß, erst gegen Dänemark durfte zumindest Schürrle sein Turnierdebüt feiern - und führte sich beinahe als Torschütze ein. Der 21-jährige Leverkusener weist mit sieben Treffern in 15 Länderspielen eine beeindruckende Quote auf und will sie möglichst noch bei dieser EM verbessern. Im Gespräch mit n-tv.de und dem "Mannheimer Morgen" spricht der Offensivallrounder über sein erstes großes Turnier, den Konkurrenzkampf im DFB-Team, Nachtgebete mit Thomas Tuchel und die entscheidende Einzelaktion im Viertelfinale gegen Griechenland.

n-tv.de: Herr Schürrle, Toni Kroos hat sich vor einigen Tagen öffentlich über seine Reservistenrolle beklagt. Sie sind gegen Dänemark eingewechselt worden, haben Ihre ersten 25 EM-Minuten gespielt. Ist das nur der Anfang, kommt da noch was?

André Schürrle: Klar ist man kurz nach einem Spiel, wenn man wenig oder gar keine Einsatzzeit hatte, immer ein bisschen unzufrieden. Das ist normal. Jeder will spielen und zeigen, was er kann. Aber die Unzufriedenheit verfliegt dann auch wieder sehr schnell, weil man sich daran erinnert, dass es hier nicht um den Einzelnen geht, sondern um unser großes Ziel, das wir gemeinsam erreichen wollen. Dann muss man sein Ego hinten anstellen.

Es ist Ihr erstes großes Turnier ...

Und natürlich ein geiles Erlebnis. Man darf sich aber nicht damit zufriedengeben, nur dabei zu sein. Mein Ehrgeiz ist so groß, dass ich alles versuche, Einsatzzeiten zu bekommen.

Mit welchen Erwartungen sind Sie zur EM gereist?

Ich glaube, ich hatte eine gute Vorbereitung in den Testspielen und im Training. Ich habe schon gehofft, viel zu spielen. Aber das Turnier ist ja noch nicht vorbei. Jetzt habe ich meine Chance gegen Dänemark bekommen, habe das ganz ordentlich gemacht und hoffe auf weitere Einsätze.

Ihr dänischer Gegenspieler Jacobsen hat Sie nach dem Spiel über den grünen Klee gelobt. Hat Herr Löw davon gehört und bringt Sie gegen Griechenland von Anfang an?

Das wird schwer für mich. Poldi hat gut gespielt, ein Tor erzielt. Aber wenn der Bundestrainer das Gefühl hat, dass er neuen Schwung braucht, bin ich immer da. Er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann. Und ich spüre sein Vertrauen.

Sie haben selbst gesagt, dass Lukas Podolski in seinem 100. Länderspiel gut gespielt hat. Konnten Sie sich als sein direkter Konkurrent richtig über sein Tor freuen?

Natürlich freut man sich da, wir wollen als Mannschaft Erfolg haben. Man freut sich, egal wer das Tor macht.

Sie selbst haben eine große Chance vergeben, und hätten statt Lars Bender der Held des Abends sein können. Ärgert man sich da nachher mehr als nach einem Bundesliga-Spiel?

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(Foto: picture alliance / dpa)

Natürlich hätte ich mich riesig gefreut, wenn mein Schuss reingegangen wäre. Ich treffe den Ball ganz ordentlich, aber der Torwart hält den auch gut. Aber so was muss man schnell vergessen und die nächste Chance nutzen.

Seid ihr auf dem Platz nervös geworden, als klar war, dass ihr bei einem Tor von Dänemark heimgeflogen wärt?

Nein, auf dem Feld hat man das nicht so empfunden. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir das Spiel im Griff haben und zulegen können.

Sie haben auffallend innigen Kontakt mit Mario Götze und Marco Reus. Eint das Schicksal des Edel-Reservisten?

Nein, gerade bei uns dreien ist es so, dass wir einfach Freunde sind. Wir treffen uns auch während der Saison. Das ist nicht erst hier entstanden, weil wir zusammen auf der Bank sitzen.

Ihr schaut im "Dwor Oliwski" fast alle EM-Spiele. Ist Deutschland mittlerweile der Top-Favorit auf den Titel?

Sicher sind wir an einem guten Tag schwer zu schlagen. Aber Spanien hat auch schon gut gespielt in der Vorrunde. Sie präsentieren sich bei der EM in sehr guter Form.

Viele Experten halten Griechenland für ein relativ leichtes Viertelfinal-Los. Was erwarten Sie am Freitag für ein Spiel?

Es wird ähnlich wie gegen Dänemark. Die Griechen werden wie in jedem Spiel sehr defensiv stehen, ihre Kompaktheit halten und dann auf Konter oder Standardsituationen lauern. Aber darauf sind wir eingestellt.

Also genau das richtige Spiel, bei dem Andre Schürrle mit einer seiner typischen Einzelaktionen für den Unterschied sorgen kann.

(lacht) Ja, klar. Eine Einzelaktion geht in jedem Spiel. Von daher bin ich einmal gespannt, ob ich meine Chance bekomme.

Hatten Sie schon Zeit für die hübsche Danziger Altstadt?

Nein, wir hatten bisher kaum Freizeit. Ich spiele ein bisschen Billard im Hotel, mache Krafttraining, schaue mir Filme oder die anderen Spiele an.

Als Sie 2009 mit Mainz 05 deutscher A-Jugendmeister wurden, galten Sie als größtes Mainzer Talent der vergangenen Jahrzehnte. War Ihnen damals schon klar, dass Sie das Zeug zum Nationalspieler haben?

Mir wurde gesagt, dass danach was kommen kann, wenn ich hart arbeite. Wenn man A-Jugendmeister wird, denkt man nicht sofort: Ich kann auch in der Bundesliga mithalten. Bei mir war es so, dass ich ins kalte Wasser geworfen wurde. Und ich habe ab dem ersten Bundesliga-Spiel für Mainz gemerkt, dass ich auf diesem Niveau mithalten und was reißen kann.

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(Foto: picture alliance / dpa)

Welchen Anteil hat Ihr früherer Mainzer Trainer Thomas Tuchel am Nationalspieler Schürrle?

Er hat eine prägende Rolle in meiner Entwicklung gespielt. Schon in der A-Jugend hat mich Thomas Tuchel gefördert und gefordert, mir alles abverlangt. Da ist es ab und an schon zu Reibereien gekommen. Aber dennoch war es ein Glücksfall, dass er Bundesliga-Trainer wurde und mich direkt mit nach oben genommen. Er hat mir das komplette Vertrauen geschenkt, mich geformt und weitergebracht.

Gibt es während des Turniers noch Kontakte zu Ihrem früheren Klub Mainz 05?

Ja, sicher. Gerade mit Adam Szalai habe ich noch viel Kontakt, auch mit Chefscout Benjamin Weber.

Schließen Sie auch Tuchel in Ihre Nachtgebete ein?

Das nicht gerade, aber wir schreiben uns ab an aber noch SMS.

Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Schürrle, der sein erstes Bundesliga-Spiel gemacht hat und dem heutigen Schürrle?

Ich habe neulich ein Spiel aus meiner ersten Bundesliga-Saison angeschaut, da gibt es riesige Unterschiede zu heute. Mein Spiel ist viel ruhiger und klarer geworden. Auch körperlich bin ich stabiler geworden. Ich habe Muskeln aufgebaut und wiege jetzt 76 Kilogramm. 2009 waren es 69.

Mehr Kilo machen aber auch langsamer …

Die richtigen Muskeln machen schneller und spritziger. Ich arbeite weiter daran, meine Explosivität und Aggressivität im Sprint zu verbessern.

Laut Philipp Lahm ist das drückende Klima, nun ja, drückend ...

Ja, das ist es. Gerade in Charkow war es ganz extrem. Da muss man sich seine Kraft schon sehr genau einteilen.

Mittlerweile erkennt Sie jeder auf der Straße. Wie haben Sie sich als Mensch verändert, seit Sie als 16-Jähriger Ludwigshafen für die große Fußball-Karriere verlassen haben? Spüren Sie, dass die Menschen Ihnen anders begegnen, weil Sie jetzt prominent sind?

Ja, bei manchen ist das schon so. Aber meine Familie und mein bester Freund behandeln mich noch so wie früher, ganz normal. Das will ich auch so. Aber wenn man jemanden länger nicht gesehen hat und ihn dann wieder trifft, dann wird man schon anders angesprochen.

Ihr bester Freund ist immer noch einer aus Ludwigshafener Jugendtagen?

Ja, er ist auch bei den Spielen dabei und war in Danzig. Das ist mir auch ganz wichtig und tut gut.

Sind auch Ihre Eltern aus der Ludwigshafener Gartenstadt und Ihre Freundin vor Ort?

Ja, meine Freundin ist hier in Danzig. Meine Eltern fliegen zu den Spielen und dann zurück nach Deutschland.

Ist es grundsätzlich schwer, die Bodenhaftung im Fußball-Geschäft mit dem riesigen Medieninteresse und den Millionengagen zu behalten?

Ja, gerade in der Zeit in Mainz, als es schnell nach oben ging, habe ich gemerkt, wie wichtig die Familie und die engsten Freunde sind. Nur so kann man immer wieder runterkommen und sich treu bleiben.

Mit Andre Schürrle sprach Alexander Müller

Quelle: ntv.de

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