EM-Verschiebung alternativlos? Bundesliga-Klubs wollen ihre Saison retten
16.03.2020, 07:32 Uhr
Die Klubs der 1. und 2. Liga wollen heute über ihr näheres Schicksal bestimmen - mit offenem Ausgang.
(Foto: imago images/MIS)
Notfallplan, Solidarfonds, EM-Verschiebung: Die Bundesliga-Klubs beraten über notwendige Maßnahmen in der Coronakrise. Bei der Mitgliederversammlung in Frankfurt geht es um sportliche Lösungen, aber auch um einen ökonomischen Fallschirm für den Worst Case.
Der Profi-Fußball steht unter enormen Druck. Die Coronavirus-Pandemie bedroht mittlerweile das milliardenschwere Geschäftsmodell. Bei einer Krisensitzung in einem Frankfurter Flughafenhotel wollen die 36 Klubs aus Bundesliga und 2. Liga am Vormittag gemeinsam beraten, wie sie mit der prekären Situation umgehen.
Wann kann wieder gespielt werden?
Das ist die große Frage und im Moment kann sie niemand seriös beantworten. Die bislang avisierte Saisonunterbrechung bis zum 2. April mit der Streichung nur eines weiteren Spieltages vor der Länderspielpause reicht ziemlich sicher nicht aus. In Berlin sind die Stadien von Hertha BSC und 1. FC Union schon bis zum 19. April gesperrt. Womöglich erkennen die Klubs die Lage und verlängern von sich aus die Zwangspause, um dann ohne ständigen aktuellen Druck nach Lösungen für die Restsaison suchen zu können. "Die Realität überholt uns in diesen Tagen regelmäßig und innerhalb von Minuten", sagte Bayer Leverkusens Vereinschef Fernando Carro. Großes Ziel ist es, Zeit zu gewinnen, weshalb auch über internationale Themen wie die EM und die Champions League gesprochen werden wird.
Was passiert, wenn in der Bundesliga gar nicht mehr gespielt werden kann?
Das ist das schlimmste Szenario für die Bundesliga, sportlich, aber vor allem auch ökonomisch. Rund 85 Millionen Euro gehen den Klubs pro ausgefallenen Spieltag an Einnahmen aus TV-, Sponsoren, und Eintrittsgeldern verloren. Das macht bei neun Spieltagen rund eine dreiviertel Milliarde Euro. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge und BVB-Chef Hans-Joachim Watzke warnten schon vor möglichen Insolvenzen mittlerer und kleinerer Klubs. Ein Solidarfonds wird dennoch skeptisch bewertet, kleinere Klubs dürften aber sicher das Thema zur Sprache bringen.
Um sportliche Lösungen im Falle einer Komplett-Absage wird es auch am Montag schon gehen. Hier gibt es wohl zwei Optionen: Die Saison wird für beendet erklärt, aber es gibt sportliche Entscheidungen nach dem aktuellen Stand der Tabelle. Der FC Bayern wäre wieder Meister, Werder und Paderborn würden absteigen, Bielefeld und Stuttgart aufsteigen. Dagegen gibt es aber schon Widerstand aus Paderborn. Ein solches Szenario sei "undenkbar". Tatsächlich ist dies unwahrscheinlich, da nicht einmal alle Klubs gleichviele Spiele bestritten haben und der DFL eine Klagewelle drohen könnte. Wahrscheinlicher wäre daher:
Die Saison wird für beendet erklärt, es gibt keinen Meister, keine Auf- und Absteiger. In die Europacup-Wettbewerbe werden die gleichen Klubs wie im Vorjahr entsandt. Großer Gewinner wären Werder Bremen und der SC Paderborn, großer Verlierer der FC Bayern, der nicht Meister würde und vor allem die potenziellen Bundesliga-Aufsteiger aus Bielefeld, Stuttgart und Hamburg, die weiter zweitklassig blieben.
Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ist sich in jedem Falle sicher, dass die Rückkehr zur Normalität in dieser Saison nicht mehr stattfinden wird: "Ein normales Fußballspiel werden wir sehr lange nicht mehr erleben. Wenn wir in dieser Saison noch einmal spielen, dann werden es Geisterspiele sein. Das ist völlig klar", sagte Watzke am Sonntag in der ARD-Sportschau. Watzke war vorher einer der wenigen Bundesliga-Funktionäre, der die Absage des 26. Spieltags kritisch bewertete: "Der Fußball hat alles getan, um eine Risikominimierung vorzunehmen, auch wenn Geisterspiele an den Lebensnerv des Fußballs gehen. Wenn wir das Derby gespielt hätten, dann wären noch 80 Leute im Stadion gewesen. Das wäre eine vertretbare Situation gewesen und hätte die Liga um 75 Millionen Euro entlastet", sagte Watzke.
Steuermittel zur Rettung der Vereine sind für Jörg Schmadtke, Geschäftsführer von Liga-Konkurrent VfL Wolfsburg, indes keine Lösung für die drohenden Finanzprobleme der Klubs. "Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich die Vereine darum bitten, diesen Aspekt nicht aufzugreifen. Das würde nämlich zu null Verständnis führen und einen Imageschaden mit sich bringen, der aus meiner Sicht nicht mehr reparabel erscheint", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
"Aber man muss auch festhalten: Die deutschen Profiklubs haben unheimlich hohe Einnahmen, die auch zu hohen Ausgaben geführt haben. Dabei konnten sich die meisten Vereine nicht wirklich Speck anfressen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Aber für viele Profiklubs ist der Spielbetrieb am Ende ein Nullsummenspiel", unterstrich Schmadtke. "Und falls viel Geld von Vereinen zurückgefordert wird, weil sie bei einem vorzeitigen Saisonende nicht ihre vereinbarten Leistungen bringen können, wird so mancher vor großen Problemen stehen. Da hilft auch der Vorgriff auf künftiges TV-Geld nicht."
Was passiert mit EM und Europapokal?
Hier sind sich alle Klubs einig. Die EM kann nicht vom 12. Juni bis 12. Juli stattfinden. Bei einer Verschiebung hätte die Bundesliga möglicherweise bis zum 30. Juni Zeit, die Saison zu beenden. Ein entsprechender Auftrag wird an die deutschen Teilnehmer der Uefa-Videoschalte am Dienstag, DFB-Vize Rainer Koch und BVB-Chef Watzke, gehen. DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius sagte am Sonntag bereits, er "rechne fest mit einer Verlegung des Turniers." Alle Gedankengänge, die über eine Verschiebung der EM und die vorläufige Aussetzung der Klubwettbewerbe hinausgehen, wären angesichts der Entwicklungen jedenfalls hanebüchen.
"Kein Mensch kann aktuell seriös voraussagen, wie lange uns das Thema Coronavirus noch beschäftigen wird", sagte auch Bayern Münchens mächtiger Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: "Ich bin mir sicher, dass die Uefa mit Präsident Aleksander Ceferin an der Spitze eine seriöse und verantwortungsbewusste Entscheidung treffen wird."Möglicherweise gibt es unterschiedliche Ansichten über einen neuen EM-Termin. Der Sommer 2021 klingt logisch. Die großen Klubs könnten aber auch für den Dezember sein, damit sie sich weiter Hoffnung auf eine Teilnahme an der lukrativen Premiere der Fifa-Club-WM im kommenden Jahr machen können. So oder so: Über allem, forderte der ehemalige Bundesliga-Funktionär Andreas Rettig im Aktuellen Sportstudio des ZDF, stehe jedoch das "Brot- und Buttergeschäft", also die nationalen Ligen. "Wir können nicht die Existenzgrundlage oder das Schwungrad des Fußballs riskieren, nur weil wir einen nachgelagerten Wettbewerb spielen wollen", sagte er.
Das sagt auch Bayer Leverkusens Rudi Völler: "Das Wichtigste für den Fußball ist die nationale Liga. Ganz hintendran steht die EM." Ähnlich argumentierte Leverkusens Vorsitzender der Geschäftsführung, Fernando Carro, in der ARD-Sportschau. "Es ist die beste Lösung, im Sommer die nationalen Wettbewerbe zu Ende zu spielen"; sagte das Mitglied des UEFA-Komitees für Klub-Wettbewerbe: "Ich hoffe, dass die Entscheidung so kommt."
Einen Strich unter dei EM machte zum Abschluss Uli Hoeneß. Der langjährige Bayern-Boss machte im Sport1-Doppelpass klar: "Dieser Virus betrifft uns alle. Der Fußball sollte sich nicht zu wichtig nehmen. Es macht überhaupt keinen Sinn, die EM zu spielen. Und das noch in zwölf europäischen Städten!"
Quelle: ntv.de, ter/dpa