Realitätsverlust bei Joseph Blatter Lord Triesman kanzelt die FIFA ab
22.10.2011, 19:58 Uhr
Es gab Zeiten, da haben sich Lord David Triesman (l.) und FIFA-Präsident Joseph Blatter besser verstanden. Damals wollte England aber auch noch die WM ausrichten, trotz korrupter FIFA-Funktionäre.
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Der frühere englische Fußballverbandschef Lord David Triesman kritisiert die jüngsten Reformpläne des Fußball-Weltverbandes FIFA heftig. Er rechne nicht damit, dass sie positive Folgen haben werden. Die Maßnahmen seien vielmehr eine verpasste Chance und zeigten, dass FIFA-Boss Joseph Blatter den Bezug zur realen Welt verloren habe.
Lord David Triesman, der frühere Vorsitzende des englischen Fußballverbandes FA, hat dem Fußball-Weltverband FIFA ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Die von FIFA-Präsident Joseph Blatter am Freitag vorgestellten Pläne, mit denen Transparenz und Anti-Korruptions-Maßnahmen etabliert werden sollen, seien keine Reformen, sondern eine verpasste Chance. "Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich verstanden habe, was Blatter präsentiert hat und wann es umgesetzt werden soll", sagte Triesman der BBC.

Markenzeichen der FIFA sind immer neue Kommissionen, bei denen irgendwann nichts Neues herauskommt.
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Der FIFA-Präsident hatte ein noch nicht gegründetes "Good Governance Komitee", dessen Zusammensetzung offen blieb, sowie vier Task Forces angekündigt. Diese sollen in den kommenden Monaten Reformen ausarbeiten und dann dem Exekutivkomitee vorschlagen. Umgesetzt werden sollen die Reformen frühestens im Juni 2012. Die letzten Beschlüsse kündigte Blatter sogar erst für Juni 2013 an - und sprach dennoch von einem "Formel-1-Zeitplan".
Immer neue Organisationen
Triesman hält das für Zeitspiel. Die FIFA sei sehr gut darin, "neue Organisationen zu kreieren und sie dann mehrere Jahre vor sich hinarbeiten zu lassen". Das beste Beispiel ist in Triesmans Augen das Ethik-Komitee, das "absolut nichts" tue. Auch die von Blatter angekündigte Reform des Gremiums dürfte das kaum ändern, da die zuständige Arbeitsgruppe vom aktuellen Vorsitzenden des Ethikkomitees, Claudio Sulser (Schweiz), geleitet wird.
"Es tut mir leid, das sagen zu müssen, ich würde liebend gern das Gegenteil sagen: Aber ich rechne nicht damit, dass bei den Maßnahmen etwas herauskommt", sagte Triesman. Wenn ihn überhaupt ein Detail auf Besserung hoffen lasse, dann nur die Tatsache, dass ein Mitglied von Transparency International dem neuen "Good Governance Komitee" angehören soll. Die international agierende Organisation zur Korruptionsbekämpfung habe in der Vergangenheit durchaus Erfolge vorzuweisen gehabt.
Keine neue FIFA-Kultur in Sicht
Allerdings läuft Transparency International Gefahr, diesen guten Ruf zu verspielen. Obwohl die FIFA-Pläne weit hinter den Vorschlägen zurückbleiben, die TI selbst in einem Arbeitspapier vorgeschlagen hatte, lobte die Organisation Blatter.
Für Triesman hat der FIFA-Präsident hingegen die große Chance verpasst, ernsthafte Schritte gegen die grassierende Korruption einzuleiten und die Wahrnehmung der FIFA als Hort korrupter Fußball-Funktionäre zukünftig zu ändern. "Knapp die Hälfte des FIFA-Exekutivkomitees wurde entweder schon hinausgeworfen oder sieht sich mit laufenden Ermittlungen konfrontiert", sagte Triesman – trotzdem dürften alle Mitglieder im Amt bleiben.
Die FIFA brauche jedoch eine neue Kultur, um ihre großen Probleme zu lösen. Die könnte aber nicht entstehen, solange selbst an schwerbelasteten Funktionären festgehalten werden. Leute, die teilweise schon seit Jahrzehnten im FIFA-Exekutivkomitee sitzen und keine zeitgemäßen Ansichten vertreten und deshalb auch kein Unrechtsbewusstsein haben. Viele FIFA-Leute würden einfach nicht realisieren, dass die Öffentlichkeit den Verband für korrumpiert hält.

"Herr Präsident" lebt laut Triesman in Limousinen und Luxushotels - wie es in der wirklichen Welt vor sich geht und wie die FIFA dort wahrgenommen wird, dafür fehlt ihm jedes Gespür.
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"Es ist sehr leicht, in einer prominenten öffentlichen Position – und Blatter hat so eine – den Bezug zur realen Welt zu verlieren. Du fährst in großen Autos herum, wohnst in den besten Hotels, jeder nennt dich Herr Präsident. Ich glaube, das trifft auf Blatter zu und es ist endemisch in der FIFA."
Vorwürfe gegen FIFA-Quartett
Triesman hatte im Mai 2011 die Exekutivmitglieder Jack Warner (Trinidad & Tobago), Nicolas Leoz (Paraguay), Ricardo Teixeira (Brasilien) und Worawi Makudi (Thailand) vor einer parlamentarischen Anhörung im englischen Unterhaus schwer belastet. Alle vier sollen im Zuge der englischen Bewerbung um die WM 2018, die letztlich Russland bekam, ihre Stimmen zum Kauf angeboten haben - was England während des Bewerbungsprozesses allerdings noch nicht öffentlich machte. Das FIFA-Ethikkomitee sprach keine Strafen gegen die Beschuldigten auf. Bis auf Warner sind die Funktionäre weiter im Amt.
Triesman war bis Mai 2010 Präsident des englischen Fußballverbandes und Chef des Bewerbungskomitees für die WM 2018. Beide Posten musste er aufgeben, nachdem ein Mitschnitt eines privaten Gespräches in der Zeitung "Mail on Sunday" veröffentlicht worden war. Darin hatte Triesman den Veracht geäußert, Spanien könnte seine WM-Bewerbung für 2018 zugunsten von Russland zurückziehen, wenn die Russen im Gegenzug bei der WM 2010 Schiedsrichter pro Spanien bestechen würden.
Quelle: ntv.de