"Collinas Erben" bilanzieren Siebert auf Schiedsrichter-Überholspur unterwegs
28.12.2021, 10:18 Uhr

Beim Arab Cup leitete Siebert unter anderem das Finale.
(Foto: REUTERS)
Auf internationaler Ebene hat Schiedsrichter Felix Brych seine überaus erfolgreiche Laufbahn kürzlich beendet. Bei der kommenden WM wird nun voraussichtlich Daniel Siebert die deutschen Referees vertreten. Zwei andere Unparteiische aus der Bundesliga rücken in wenigen Tagen auf die FIFA-Liste.
Seine herausragende internationale Karriere beendete Schiedsrichter Felix Brych am 7. Dezember nicht mit irgendeinem Spiel, sondern standesgemäß mit einer Partie zweier ruhmreicher Klubs vor ansehnlicher Kulisse. Real Madrid gegen Inter Mailand lautete die Paarung, mit 2:0 gewannen die Gastgeber dieses Spiel in der Champions League, rund 47.000 Zuschauer im Estadio Santiago Bernabéu bezeugten den letzten, einmal mehr souveränen Auftritt des deutschen Referees in der europäischen Königsklasse. Den Mut zur Konsequenz, der ihn stets auszeichnete, zeigte Brych auch in dieser Begegnung, als er den Mailänder Nicolò Barella nach einer Tätlichkeit mit der Roten Karte des Feldes verwies.
Der 46-Jährige hatte bereits nach der Europameisterschaft im Sommer angekündigt, zum Jahresende vom internationalen Parkett zurückzutreten. Der Jahreswechsel - und nicht das Saisonende - ist seit jeher der Zeitpunkt, zu dem FIFA und UEFA personelle Veränderungen bei ihren Unparteiischen vornehmen und bekannt geben. Brych wartete nicht ab, ob ihm trotz der Altersgrenze von 45 Jahren eine weitere Fortsetzung seiner internationalen Laufbahn gewährt wird wie dem Niederländer Björn Kuipers, der sogar schon 48 Jahre alt war, als er im Sommer das EM-Finale zwischen England und Italien pfiff. Der Münchner bestimmte selbst, wann für ihn auf europäischer Bühne der Vorhang fallen würde. In der Bundesliga wird er noch bis zum Alter von 47 Jahren eingesetzt.
Brych ging als doppelter Rekordhalter: Mit 69 Spielleitungen in der Champions League plus 16 weiteren Einsätzen in der Qualifikation für diesen Wettbewerb liegt er deutlich vorne, ebenso mit insgesamt acht Partien bei Europameisterschaften, davon alleine fünf im Turnier im vergangenen Juni und Juli, auch das war bis dahin noch keinem Schiedsrichter vergönnt. Im Juni 2017 pfiff Felix Brych das Finale in der Champions League zwischen Juventus Turin und Real Madrid (1:4), davor und danach wurde er immer wieder mit hochkarätigen, entscheidenden, potenziell brisanten Spielen in den Finalrunden des bedeutendsten europäischen Klubwettbewerbs im Fußball betraut.
Brych erfährt international eine größere Wertschätzung
Die Chefs der europäischen Referees, Roberto Rosetti genauso wie sein Vorgänger Pierluigi Collina, wussten ganz genau, wie sehr sie sich auf Brych verlassen konnten. Paradoxerweise genießt der Jurist wahrscheinlich auf internationaler Ebene ein größeres Renommee als in Deutschland, auch wenn er hierzulande gleich fünfmal vom DFB zum Schiedsrichter des Jahres gekürt wurde. Doch als Münchner darf er keine Spiele des FC Bayern leiten, deshalb kam und kommt er etwa für die besonders stark beachteten Auseinandersetzungen des deutschen Rekordmeisters mit Borussia Dortmund nicht infrage. Im Europapokal hatte er mehr und häufiger klangvolle Begegnungen zu pfeifen als in der Bundesliga.
Hinzu kommt, dass Felix Brychs Stil international letztlich mehr Wertschätzung erfährt als national. Seine distanzierte, bisweilen kühl wirkende Art im Umgang mit den Spielern, gepaart mit einer teilweise energischen Körpersprache, und sein großer Mut zu unpopulären, aber notwendigen Entscheidungen und Konsequenzen auch gegenüber den absoluten Superstars haben Brych noch in den hitzigsten Spielen des FC Barcelona, von Juventus Turin oder Manchester United viel Respekt und Anerkennung eingebracht. Bei der Europameisterschaft lobte ihn selbst Gary Lineker überschwänglich - der englische Ex-Nationalspieler und TV-Experte übt sonst oft heftige Kritik an den Referees.
Wenn dagegen die Bundesliga-Profis nach den besten Schiedsrichtern gefragt werden, nennen eher wenige Felix Brych. Deutlich häufiger fielen zuletzt vor allem die Namen von Manuel Gräfe - der im vergangenen Sommer die Altersgrenze erreichte und deshalb aufhören musste - und Deniz Aytekin. Es sind Unparteiische mit einem anderen, nahbareren Auftreten und meist zurückhaltender Gestik. Sie sind deshalb aber nicht weniger mutig und nicht weniger konsequent, sie versehen ihr Amt nur mit einem anderen persönlichen Stil, der in der Bundesliga teilweise besser ankommt und eher akzeptiert wird. Anforderungsprofile können eben unterschiedlich sein.
Siebert wird wohl auch bei der WM pfeifen
Wer aber wird nun die neue Nummer eins bei den deutschen Unparteiischen auf internationaler Ebene? Zur höchsten Kategorie der UEFA-Referees, der "Elite", zählten zuletzt außer Felix Brych auch Deniz Aytekin, Felix Zwayer und Tobias Stieler. Doch für die Europameisterschaft nominierte der europäische Fußballverband neben Brych keinen aus diesem Trio, sondern bekanntlich Daniel Siebert, was diesen selbst völlig überraschte. Offenbar traute ihm die sportliche Leitung der UEFA-Schiedsrichter mehr zu, obwohl Siebert im Sommer noch gar nicht zur höchsten Gruppe der Unparteiischen gehörte. Der Berliner rechtfertigte seine Berufung jedoch vollauf, er überzeugte bei allen drei Einsätzen während der EM.
Davon, dass er auch bei der Weltmeisterschaft Ende des kommenden Jahres in Katar der Vertreter der deutschen Referees sein wird, darf man ausgehen. Schließlich hat ihn die FIFA dort unlängst beim Arab Cup eingesetzt - bei jenem Wettbewerb mithin, der diesmal statt des Confed Cup den Probelauf für das Turnier in einem Jahr darstellte. Siebert leitete vier Spiele, darunter das Finale, in dem Algerien gegen Tunesien nach Verlängerung mit 2:0 gewann. Der 37-Jährige, den die UEFA zum 1. Januar 2022 nun auch formal in ihre "Elite"-Kategorie befördert, hat also einen gewaltigen Karrieresprung hingelegt.
Schwierige Zeit für Felix Zwayer
Dabei durfte sich bis zur Bekanntgabe der EM-Schiedsrichter auch Felix Zwayer Hoffnungen machen, Brychs Nachfolger als führender deutscher Unparteiischer zu werden. Inzwischen aber hat der 40-Jährige, auch wenn er weiterhin zur Top-Kategorie der UEFA zählt, selbst auf nationaler Ebene viel Akzeptanz eingebüßt: Nach dem Spiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München Anfang Dezember, das die Bayern durch einen strittigen Handelfmeter gewannen, kritisierte der BVB ihn scharf. Jude Bellingham warf Zwayer indirekt sogar Bestechlichkeit vor, indem er auf dessen Rolle im Schiedsrichter-Skandal um Robert Hoyzer vor 17 Jahren anspielte. Zwayers anschließendes Gesprächsangebot wies BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zurück.
Lutz Michael Fröhlich, dem sportlichen Leiter der Bundesliga-Schiedsrichter, blieb schließlich kaum etwas anderes übrig, als bekannt zu geben, dass Felix Zwayer schon zu dessen eigenem Schutz vorerst nicht mehr bei Spielen von Borussia Dortmund eingesetzt werden wird. Wie es mit der Laufbahn des Berliners weitergeht, ist derzeit schwierig zu prophezeien. Anders sieht es bei Sven Jablonski und Daniel Schlager aus. Die beiden, 31 respektive 32 Jahre alt, wurden für Felix Brych und den ebenfalls aus Altersgründen ausgeschiedenen Marco Fritz auf die FIFA-Liste berufen. Jablonski pfeift seit 2017 in der Bundesliga, Schlager seit 2018.
Jablonski und Schlager neu auf der FIFA-Liste
Vor allem Jablonski erfreut sich der zunehmenden Wertschätzung vonseiten der sportlichen Leitung der Unparteiischen, wie sich beispielsweise an seinem Einsatz als Schiedsrichter beim Spiel zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem FC Bayern (1:5) Mitte Oktober erkennen ließ, als diese Partie die des Tabellenzweiten gegen den Spitzenreiter war. Der Bremer regelt viel über seine Persönlichkeit und kommt im Schnitt mit nur drei Gelben Karten pro Begegnung aus, in 59 Bundesligaspielen verwies er zudem lediglich zwei Spieler mit Gelb-Rot und einen Spieler mit glatt Rot des Feldes.
Mit Robert Schröder, Florian Badstübner und Matthias Jöllenbeck drängen weitere junge Schiedsrichter nach vorne, ihre Beförderung zu FIFA-Referees dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Schröder überzeugte bereits in der vergangenen Saison etwa beim schweren Abstiegsduell zwischen dem FC Augsburg und Werder Bremen (2:0) und brachte in dieser Spielzeit unter anderem das traditionell emotionsgeladene Lokalderby zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach (4:1) geräuschlos über die Bühne. Badstübner und Jöllenbeck, beide erst seit der vergangenen Saison als Unparteiische in der Bundesliga aktiv, haben sich schnell im Oberhaus etabliert und kommen mit ihrer kommunikativen Art und ihren mutigen, sicheren Spielleitungen gut an. Schiedsrichter-Chef Fröhlich muss also um die Zukunft nicht bange sein.
Abzuwarten bleibt dagegen, was der Start der "DFB Schiri GmbH" am 1. Januar 2022 für konkrete Folgen zeitigen wird. Der Elitebereich der Unparteiischen in den höchsten drei Ligen und dem DFB-Pokal wird damit als eigenständiger Geschäftsbereich ausgegliedert, der DFB wird Mehrheitsgesellschafter mit 51 Prozent sein, die DFL 49 Prozent der Anteile an der GmbH halten. Für den sportlichen Bereich bleibt Fröhlich verantwortlich, für den administrativen wie bisher Florian Götte. Zweifellos wird aber der Einfluss der DFL auf das Schiedsrichterwesen zunehmen, das bislang komplett unter dem Dach des DFB war. Was das in der Praxis heißt, wird sich vermutlich schon in den nächsten Monaten zeigen.
Quelle: ntv.de